Jede Branche benötigt mehr und vor allem echte Nachhaltigkeit – auch die Sportwelt. Dennoch gab die Einladung der UNIDO (United Nations Industrial Development Organization), sich als ISPO am Greentech Festival 2024 in Berlin als Gast zweier Panels zu beteiligen, einen Anstoß zum Perspektivwechsel. Warum also ISPO und warum ausgerechnet der Sport? Die folgenden fünf Thesen sollen nachvollziehbar machen, warum der Sport im Sinne der Nachhaltigkeit unglaublich viel zu bieten hat. Ebenso ist es ein Aufruf, den Sport stärker zu nutzen, ihn zu fordern und zu fördern – und von ihm zu lernen.
Die Struktur des Sportmarktes ist so vielfältig wie international. Kaum eine andere Branche hat so viele kleine und mittelständische Unternehmen (KMUs) und agiert gleichzeitig so global wie die Sportbranche.
Dabei ist es egal, ob es sich um Sportartikel, Wettbewerbe/Sportevents, Tourismus o. ä. handelt. KMUs stehen vor zahlreichen Herausforderungen: Sie müssen hohe Investitionen tätigen, sich ständig internationalen, regulatorischen Komplexitäten (z. B. vielen unterschiedlichen nationalen und internationalen Gesetzgebungen) stellen und dabei zahlreiche Geschäftspartner und Stakeholder managen und auf eine Linie bringen. Hinzu kommt, dass der Markt sehr schnelllebig ist (die Sportartikelindustrie hat zwei bis vier Kollektionen im Jahr).
Auf dem Weg zur echten Nachhaltigkeit muss die Sportwelt also gleichzeitig viele Richtungen einschlagen, viele Lösungsansätze erstmals ausprobieren – und dabei hat sie weniger finanzielle Spielräume verglichen mit Unternehmen anderer Branchen. Logisch, dass dann zwangsläufig Fehler passieren, für die die Branche häufig kritisiert wird. Aber sie geht in vielen Fällen als Innovator voran und ebnet so den Weg für andere. Und diese Pionierleistung ist eine, die mehr Sichtbarkeit verdient – damit andere davon lernen und Nachhaltigkeit branchenübergreifend stärker in alle Industrien angewandt werden kann.
Lösungsansätze, Best Practices und Expert*innen zum Thema Nachhaltigkeit gibt’s hier: Auf der Green Stage und im Sustainability Hub der OutDoor by ISPO 2024 erfährst du alles, was du wissen musst.
Unter anderem in diesen Panels:
- How to make a positive impact on Biodiversity, the role of the Oudoor industry
- Breaking Business Barriers to Net Zero Emissions
- Why the outdoor industry can be amongst the most important climate solution providers
- Inspired by Nature: Circular Material Innovations for a Sustainable Transformation
- uvm.
Nachhaltigkeit wird häufig mit klimafreundlich oder ressourcenschonend gleichgesetzt. Dabei lässt sich die Definition von Nachhaltigkeit besser an den Sustainable Development Goals (SDGs) der UN nachvollziehen: 17 Nachhaltigkeitsziele mit 169 Unterzielen zur Verwirklichung einer weltweiten, nachhaltigen Gesellschaft – das ist der sogenannte Zukunftsvertrag der Weltgemeinschaft. Diese sind holistisch zu sehen und reichen von sozialer Gerechtigkeit, Zugang zu lebensnotwendigen Ressourcen, sauberer Energie bis hin zu Gesundheit, Gleichberechtigung, Frieden und Klimaschutz. Und der Sport wirkt an der Erreichung fast aller SDGs im großen Stil mit:
- Ein gesunder Mensch ohne Sport – unvorstellbar (Ziel #3).
- Eine friedliche Gesellschaft ohne Sport – schwierig (Ziel #16).
- Der Wille, den Planeten zu erleben und gleichzeitig zu schützen, ist bei Sport- und Outdoorenthusiasten riesig (Ziel #13).
Dabei kann der Sport noch deutlich stärker genutzt werden, schließlich erreicht kaum ein anderes „Medium“ so viele Menschen. Sport besitzt den Stellenwert einer Weltreligion und kann – richtig eingesetzt – Menschen, Gesellschaften, ja sogar Regierungen positiv beeinflussen. Die Ausrichtung von Großevents an Nachhaltigkeitsziele im Sinne der SDGs zu knüpfen, ist nur ein mögliches Beispiel. Die freiwillige „Unterwerfung“ der EURO 2024 an das Lieferkettengesetz ist dabei ein aktuelles und positives Signal.
Eine gute Outdoorjacke oder funktionelle Duffel Bag kann schnell aus über 100 Komponenten bestehen. Das reicht vom Reißverschluss über Knöpfe bis hin zu verschiedenen Shell-Materialien. Diese wiederum kommen meist aus unterschiedlichen Ländern und werden auf dem Weg der Fertigung wiederum in anderen Ländern veredelt. Es ist also möglich, dass ein solches Produkt schon vor Erreichen des Handels mehr Länder gesehen hat, als manche Menschen im Laufe ihres ganzen Lebens bereisen.
In den vergangenen Jahren hat die Branche in diesem Bereich echte Evolutionssprünge hingelegt: lokalere Lieferketten, mehr Designs und Kollektionen mit Fokus auf Monomaterialien, Reparierbarkeit, neue Fertigungstechnologien etc. Letztlich wird aber klar, dass der Ursprung der Wertschöpfungskette in den Fokus genommen werden muss. Soll heißen: Rohware und ihre Verarbeitung liegen meist in Zulieferhand – und die unterliegen anderen Regelungen. Oft ist es gar nicht die laxe Gesetzgebung in den üblichen Herstellerländern, sondern die kulturelle Differenz – und die ist häufig schwieriger zu managen als die Regulatorik.
Die Anstrengung der Marken fließt also derzeit stark in das Management ihrer Supply Chain und in ein vertrauensvolles, produktives Verhältnis zu den Lieferanten. Das bedeutet kontinuierliche Beziehungsarbeit, Aufklärung und Weiterbildung, Kontrolle und Zertifizierung. Zugegeben: Das Thema wurde auch viel zu lange vernachlässigt.
Aber die enorm hohe Nachfrage nach Plattformen wie ISPO Textrends in letzter Zeit beweist, dass Upstream im Fokus steht – und das lockt nachweislich auch andere Industrien an. Sie profitieren davon, weil sie ähnliche Herausforderungen meistern müssen, beispielsweise Möbelhersteller, Sattlereien der Automobilbranchen, Chemieunternehmen uvm.
Man spürt es zwar immer stärker, aber eigentlich ist der Generationswechsel beim Endverbraucher noch gar nicht vollzogen. Eine neue Generation verlässt gerade erst die Schulen und Universitäten – und diese hat hohe Werte, hohe Ansprüche und ist nicht bereit, Kompromisse einzugehen.
Dieser „positive Druck“ kommt in Sport und Gesundheit zuerst an. Warum? Weil gerade diese Generation Sport und Gesundheit holistisch versteht und zu einem Lifestyle erklärt. Es wird künftig also immer weniger möglich sein, sich hinter Greenwashing und großartigen grünen Stories zu verstecken. Die neue Generation reagiert allergisch auf jeden Versuch, Halbwahrheiten zu inszenieren. Bewaffnet mit Social-Media-Macht, die künstliche Intelligenz im Schlepptau und organisiert in digitalen wie physischen Communities wird sie künftig erbarmungslos agieren. Das wird für einige Marken im Sport tatsächlich unbequem werden, aber allein um relevant zu bleiben und das eigene Überleben zu sichern, wird der echte Nachhaltigkeitswandel im Sport- und Health-Sektor zuerst vollzogen werden müssen. Die Sportwelt bekommt das Greenwashing also zuerst ausgetrieben – ob sie will oder nicht.
Die gute Nachricht ist, dass die meisten Marken die nachhaltige Transformation selbst wollen – ein bisschen zusätzlicher Druck seitens der Verbraucher kann aber nicht schaden. Unterstützt wird das durch die Gesetzgebung, beispielsweise die EU Green Claims Direktive, die Unternehmen Regeln für die Nachhaltigkeitskommunikation vorgibt.
Alex Denker Category Manager Sustainability & Snowsports @ISPO
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Der weichste Faktor ist wahrscheinlich der wichtigste: Sport ist ein People Business. Und das zieht Menschen an, die sich dieser Welt auch emotional zugehörig fühlen. Die meisten im Sportsbusiness leben auch beruflich, was sie privat antreibt. Dazu gehört der Sportsgeist, sich immer verbessern zu wollen und an sich zu arbeiten, sowie das Wissen, dass wir in einem Zielkonflikt sind, dessen Spannung sich wahrscheinlich nie auflösen wird.
Dennoch wird hart daran gearbeitet, ihn so erträglich wie möglich zu machen: Wir wollen Natur erleben, also müssen wir sie bewahren! Unser „Sport- und Spielplatz“, der Planet Erde und seine großartige Natur, ist der einfache Grund für die schiere Existenz so vieler Marken im Sport- und Outdoorumfeld. Darum steigt die intrinsische Motivation, hier besser zu werden. Darum gibt es den resilienten Pioniergeist (siehe These #1). Und darum ist der Sport, wie wenig andere Märkte, immer noch stark von inhaber- und familiengeführten Unternehmen geprägt, die diese Werte verkörpern.
Immer mehr Athletinnen und Athleten nutzen ihre Reichweiten und Vorbildrollen, und auch Organisationen wie Protect Our Winters erheben ihre Stimme und mobilisieren andere, wie bei der #tryharderfis-Kampagne oder dem aktuellen Aufruf zur EU-Wahl.
Alex Denker Category Manager Sustainability & Snowsports @ISPO
Die Endverbraucher*innen und der Markt schwenken leider immer erst mit Verzögerung auf eine neue Richtung ein, was häufig an den langen Orderzyklen liegt. Aber schon bald werden deutlich mehr echte nachhaltige Produkte in den Regalen zu finden sein. Und das zeigt dann bereits die Haltung der Branche von vor über einem Jahr – dank den Pionieren!
Wir bedanken uns bei UNIDO für die Einladung und allen Panelteilnehmer*innen für die lebhaften Diskussionen. Herzlichen Dank an: Dr. Olaf Deutschbein (UNIDO), Dr. Olivia Henke (Stiftung Allianz für Entwicklung und Klima), Johannes Axster (Common Goal), Marcel Richert (camm solutions), Mathias Diestelmann (Brands Fashion), Simon Rasch (DFL), Gordon Knebel (1. FC Union Berlin) und Jana Reiter (plant-for-the-planet).
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