Das war eine knappe Kiste: Rund vier Wochen vor dem Start der Frauenfußball-WM am 20. Juli 2023 einigte sich die FIFA erst mit den Medien über die TV-Übertragung. Oder war das Pokern sogar ein gutes Zeichen für den gestiegenen Wert von Frauensport in den Medien?
Fakt ist: Seit Jahren steigen kontinuierlich die Zahlen von Frauen und Mädchen, die im organisierten Sport aktiv sind. Bei den Olympischen Spielen 2024 in Paris soll ein 50:50 Verhältnis zwischen männlichen und weiblichen Teilnehmenden erreicht werden. Nun müsste man davon ausgehen, dass auch das Verhältnis von Frauensport in den Medien sich mittlerweile in Richtung einer ausgeglichenen Berichterstattung bewegt. Oder?
Vielleicht ist aber auch schon der Zusatz „Frauen“ ein Indiz, dass Sport noch immer nicht gleich Sport ist. Beim Blick auf Studien aus den letzten Jahren zeigt sich international ein deutliches Bild: In den USA hat sich die Berichterstattung über Frauen im Sport seit den 1980er Jahren um gerade einmal 0,4 % gesteigert, auf einen Anteil von 5,4 % im Jahr 2019. In Österreich besteht laut einer Studie von exploristas eine ähnliche Schieflage: 88 % der Sportberichterstattung ist Sportlern gewidmet, Sportlerinnen sind mit nur 12 % deutlich unterrepräsentiert. Dabei liegt der Frauenanteil im Einzelsport mit 23 % etwas höher, im Teamsport jedoch mit 2 % unter ferner liefen. Weitere Studien bestätigen, dass über Frauen generell weniger berichtet wird, sowohl im Print als auch im Fernsehen. Auch die Produktion fällt mit weniger Ressourcen weniger hochwertig aus und Leistungen von Frauen werden als trivialer dargestellt.
Natürlich gibt es Sportarten, in denen Männer und Frauen ähnlich präsent sind, zum Beispiel im Biathlon, wo Frauen etwa die gleichen Preisgelder erhalten. Auch in der Leichtathletik, im Ski Alpin oder im Tennis, generell also eher im Individualsport als im Teamsport. Oft ist die Coverage je nach Land auch an herausragende Einzelsportlerinnen geknüpft. Beispiele für Deutschland sind der Tennis-Boom um Steffi Graf oder der Schwimm-Hype um Franziska van Almsick. Und auch die Begeisterung, die die Williams-Schwestern für den Tennissport entfach(t)en, ging weit über die USA hinaus. Aber es gibt nach wie vor Sportarten, die vor allem als Männerdomäne gelten. Dazu zählen die Formel 1, Eishockey, Rad- oder Motorsport. Aber auch Fußball, Basketball oder American Football haben einen deutlich höheren Männeranteil in der Berichterstattung. Typischer Frauensport wird hingegen eher mit Anmut in Verbindung gebracht, wie rhythmische Sportgymnastik, Turnen oder Eiskunstlauf.
Das Ungleichgewicht hängt mit der Tatsache zusammen, dass wenige männerlastige Sportarten die Medienberichterstattung dominieren. Die für Fans „schönste Nebensache der Welt” ist die Hauptsache in den Medien: Fußball, genauer Männerfußball. Andere Sportarten bekommen wesentlich weniger Sendezeit. Der neuen Popularität von Frauenfußball kommt damit eine besondere Bedeutung zu: Sie vereint die Beliebtheit der Sportart mit mehr Aufmerksamkeit für Frauen im Sport. Die Euphorie ist in ganz Europa zu spüren und trifft gleichzeitig einen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Nerv.
Nochmal einen Schritt zurück: Man könnte fragen, warum die ungleiche Verteilung in den Medien überhaupt ein Problem ist. Ob der Ausschnitt eines Feed-Posts oder den Livestream am Bildschirm – Medien prägen, wie wir die Wirklichkeit wahrnehmen oder sie uns selbst erklären. Wenn wir also Vorbilder sehen, die uns ähneln, scheinen deren Leistungen auch für uns erreichbarer. So wirken sie als Inspiration für junge Mädchen, die erst dann mit dem Sport anfangen. TV-Präsenz trägt also auch zur Entwicklung des Sports bei. Was Sponsoring-Deals und Leistungssport in vielen Disziplinen angeht, ist Sichtbarkeit außerdem Währung. Wer genügend Reichweite erzielt, kann den Sport als Profi ausüben und davon leben. Im Zeitalter von Social Media spielen klassische Medien dabei zwar nicht mehr die einzige, aber immer noch eine bedeutende Rolle.
„Frauensport ist ein enorm wichtiger Entwicklungsbereich. Er ist das nächste große Ding, sowohl aus gesellschaftlicher als auch aus Fanperspektive. Das Interesse daran wächst exponentiell. Nicht umsonst war das EM-Finale der Frauen in Deutschland das meistgesehene TV-Ereignis des Jahres 2022 und hatte sogar mehr TV-Zuschauer*innen als die Spiele der Männer-Nationalmannschaft während der WM in Katar“, sagt Haruka Gruber, Senior Vice President Media DACH beim Sport-Streaming-Sender DAZN. Ein Grund, warum DAZN dieses Jahr anderen englischsprachigen Vorbildern folgte und mit DAZN Rise einen kostenlosen Sender startete, der 24/7 ausschließlich Frauensport zeigt – hauptsächlich Spiele und Highlights der Women’s Champions League, europäischer Ligen und der LPGA Golf Tour sowie Handball und Feldhockey.
Auch beim TV-Sender Sport1 beschäftigt man sich mit der Weiterentwicklung von Frauensport im Programm und konzentriert sich dabei aktuell auf Fußball und Volleyball. „Für den Frauenfußball haben wir gemeinsam mit unseren Partnern den attraktiven Sendeplatz am Montagabend neu besetzt. Dieser neue Stammplatz für die Frauen-Bundesliga sticht insbesondere deshalb heraus, weil in diesem Zeitraum in den deutschen Fußball-Profiligen kein anderes Spiel stattfindet“, erklärt Annika Rody, Director Media Rights bei Sport1. „Frauensport hat eine breite Zielgruppe, darunter ist auch unsere Sport1 Kernzielgruppe der Männer im Alter von 14 bis 59 Jahren sowie Frauen und junge Frauen, die sich speziell für den von Frauen betriebenen Sport begeistern.“
Dass Medienunternehmen mittlerweile andere Sportarten als Männerfußball auf dem Zettel haben, hat natürlich auch einen wirtschaftlichen Hintergrund. TV-Rechte werden immer teurer. Summen, die im Fußball abgerufen werden, sind von einzelnen Unternehmen kaum noch zu stemmen. Zuschauer müssten verschiedene Abos abschließen, um alle Spiele einer Liga zu sehen. Die Investitionen in den Frauensport nur damit zu begründen, fasst jüngere Entwicklungen allerdings etwas kurz, denn sie bringen auch frischen Wind, Freiheiten und spannendes Gestaltungspotential.
„Der Männersport ist schon ausgereift, während sich der Frauensport noch im Wachstum befindet. Alles, was sich noch in der Entwicklungsphase befindet, hat keine verpflichtenden Spielregeln, kein ausgefeiltes Playbook. Wir dürfen nicht den Fehler machen und beim Frauensport dieselben Spielregeln anwenden wie beim Männersport. Unsere Vision für den Frauensport bei DAZN ist es, den Status Quo des Männersports herauszufordern“, so Haruka Gruber. Dabei gehe es auch um Gleichberechtigung und Sichtbarkeit.
Dass Frauen im Sport Katalysator sein können, um neue, unter anderem weibliche Fans anzusprechen und Profitsteigerungen zu erzielen, zeigt das Beispiel eSports. In Asien, dem größten Markt an eSports-Spielern und -Fans, wächst die Zahl der Gamerinnen rasant, und mehr weibliche eSports-Profis sorgen für mehr weibliche Zuschauer – und damit für mehr Sponsoring-Gelder. Li „Liooon“ Xiao Meng aus China war die Vorreiterin dieser Bewegung.
Auch Sponsoren erkennen den Wert, das Entwicklungspotential und den Imagegewinn, den Frauensport bietet. In den USA haben Investoren zuletzt viel Geld in Fußball, Tennis und Basketball der Frauen gesteckt. Ebenso wurde mit dem „Womens Sports Club“ eine Initiative ins Leben gerufen, um den Verkauf und Einkauf von Rechten im Frauenbereich zu vereinfachen und eine größere Verbreitung des Contents zu erzielen. Denn es gilt, einen Kreislauf zu durchbrechen: Marken sorgen sich um eine zu geringe Reichweite für größere Ausgaben, während Medien mangelnde Einnahmen von Werbepartnern beanstanden, um die Berichterstattung zu finanzieren.
Was jedoch zählt, ist eine kontinuierliche Berichterstattung. „Wichtig sind aus meiner Sicht auch qualitativ hochwertige Live-Übertragungen“, erklärt Rody die Rolle der Medienhäuser. „Möglichst viele Berührungspunkte können die Entwicklung der Frauensportarten stärken.“ Nur so lassen sich nach ihrer Überzeugung „Hintergrundinfos und erzählenswerte Geschichten“ transportieren, die über einzelne Highlights hinausgehen.
Als nächstes internationales Frauensport-Highlight steht nun also die Fußballweltmeisterschaft der Frauen im Juli und August 2023 an. Das TV-Rechtepaket wurde erstmals losgelöst von den Männern vergeben, was jedoch nicht ohne Anlaufschwierigkeiten über die Bühne ging: Die FIFA forderte – Überraschung – viel, die Sender waren nicht bereit, den Preis zu zahlen. Eine ähnliche Problematik wie im Sponsoring. In Folge wurde in mehreren europäischen Ländern sogar der WM-Blackout diskutiert, bevor man sich wenige Wochen vor der WM doch noch einigte. In Großbritannien und Deutschland gingen die Übertragungsrechte an die öffentlich-rechtlichen TV-Sender. Sehen wir es positiv: Frauensport, zumindest Fußball, ist es mittlerweile Gegenstand harter Verhandlungen um höhere Gelder – das bedeutet mehr Aufmerksamkeit und in den meisten Fällen auch eine fortschreitende Entwicklung. Wir werden sehen, was nach der Fußball-WM 2023 bleibt.
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