Dieser Artikel erschien zuerst als Gastbeitrag im Magazin der World Federation of the Sporting Goods Industry (WFSGI).
- Decathlon: Roboter hilft bei der Inventur
- Zeitersparnis für menschliche Kolleg*innen
- „Tory“ auch in Australien und Neuseeland am Start
- KI nimmt Fahrt auf – auch im stationären Handel
- Roboter sind die Zukunft im Einzelhandel
- Einfacher Einsatz von KI in Deutschland
- Verbessertes Einkaufserlebnis in den Läden
- Gründe für das Schneckentempo in der Umsetzung
- KI-Wissen für alle – Projekt „Knowledge4Retail“
- Digitale Welt mit stationärem Handel verbinden
- Benefits von KI
Die Tür zum Sportgeschäft öffnet sich, ein Roboter empfängt uns mit einem freundlichen „Guten Tag“ und der Frage „Wonach suchst du?“. Und dann begleitet er uns bei unserem Einkauf. Er schlägt passende Produkte vor, führt uns zum günstigsten Angebot oder zeigt uns auf seinem integrierten Bildschirm, wie ein T-Shirt an uns aussieht, ohne dass wir es anprobieren müssen. Zukunftsmusik? Nicht mehr lange!
Lernfähige Roboter unterstützen schon heute Einzelhändler bei wichtigen Tätigkeiten, wie zum Beispiel: Die richtigen Produkte in ausreichender Menge vorrätig haben. Aber wie lässt sich der Lagerbestand effizienter verwalten? Wie können Verkaufsdaten schneller analysiert werden – verbunden mit einer (auch saisonalen) Nachfragevorhersage?
Der erste „Tory“ nahm seine Arbeit im April 2021 im Decathlon in Stockport, Großbritannien, auf. Seit 2022 hilft der RFID-Roboter auch in deutschen Decathlon Filialen bei der Inventur. Der RFID-Roboter fährt außerhalb der Öffnungszeiten automatisch durch die Gänge der Filiale und scannt die RFID-Etiketten der Produkte. In Ludwigshafen benötige er für eine Fläche von 4.300 Quadratmetern und 93.000 Produkten ungefähr 3,5 Stunden – eine sportliche Leistung! Anfang 2024 sind bei Decathlon laut Pressesprecherin Nora Lühne schon 64 automatisierte Mitarbeiter im Einsatz.
„Unser wichtigster Indikator für den Erfolg des Projekts ist die Verfügbarkeit unserer Produkte. Diese liegt in der Filiale Ludwigshafen seit dem Start des Tests um fünf Prozent höher als in vergleichbaren Decathlon Filialen“, sagt Sven Neuheisel, Projektleiter für den RFID-Roboter bei Decathlon Deutschland. Ein weiterer Vorteil: Die Teammates sparen Zeit ein und können sich auf die Beratung fokussieren.
Der Inventurroboter ist eine Entwicklung von MetraLabs, einem deutschen Unternehmen, das sich auf Serviceroboter für den Einzelhandel spezialisiert hat. Auch in Australien und Neuseeland fährt „Tory“ schon durch die Läden. In den Kmart-Supermärkten prüft er die Warenbestände und meldet Lücken im Regal. Und vielleicht bekommt der rollende Helfer bald einen weiteren Job: „Tory“ kann nämlich mit einer multimodalen Benutzungsschnittstelle mit Sprach- und Berührungseingabe ausgestattet werden. Und dann können Kund*innen ihn fragen, wo ein bestimmtes Produkt oder eine bestimmte Abteilung zu finden ist. Die Zukunftsmusik ist also bereits zu hören.
Im Büro können smarte Assistenten unsere Mails schon nach Prioritäten sortieren, Antworten vorschlagen, umfangreiche Dokumente zusammenfassen, Anrufe entgegennehmen oder Sprache in Echtzeit übersetzen. Im eCommerce unterstützt KI die visuelle Produktsuche und bietet eine individuelle Kaufberatung. Es gibt virtuelle Anproben und Kommunikation per Chatbot für die FAQ. Und im stationären Einzelhandel? Der holt auf: Der Anteil deutscher Einzelhandelsunternehmen, die KI in einzelnen Bereichen oder unternehmensübergreifend einsetzen, stieg von 7,5 Prozent (2022) auf 23,5 Prozent im Jahr 2023. Das ist das Ergebnis einer Studie des Handelsverband Deutschland (HDE) in Kooperation mit Safaric Consulting und der Universität Münster.
„Wir befinden uns in einer Phase, in der die Technologie immer besser und billiger wird und die Argumente für eine Automatisierung in einigen dieser Bereiche einfach viel überzeugender werden“, sagt die britische McKinsey-Beraterin Anita Balchandani (Quelle: World Economic Forum/Reuters). Mit Blick auf die Modebranche erwartet McKinsey, dass die Modeunternehmen ihre Investitionen in Technologie von 1,6 bis 1,8 Prozent ihres Umsatzes im Jahr 2021 auf 3 bis 3,5 Prozent im Jahr 2030 verdoppeln werden.
Als weitere Beispiele nennt Reuters den britischen Online-Lebensmittelpionier Ocado, der seine automatisierten Lager und Leichtbauroboter an Einzelhändler in den Vereinigten Staaten, Europa und Asien verkauft. Bei der zu Walmart gehörenden US-amerikanischen Kette Sam‘s Club reinigen fast 600 Roboter die Böden der Geschäfte.
In vier Bereichen sieht das deutsche Bundesministerium für Wirtschaft und Klimawandel die Einsatzmöglichkeiten von KI: Zentrale, Logistik und Transport, Filiale und Kundenerfahrungen. Die derzeitigen KI-Anwendungsfälle liegen allerdings stark auf dem Bereich „Zentrale“: Die vom HDE befragten Handelsunternehmen geben an, dass KI insbesondere bei der Belegbearbeitung in der Buchhaltung (6,6 Prozent), allgemeinen Absatzprognosen (5,6 Prozent), der Prüfung von Lieferantendaten (5,1 Prozent) und zur Personalbedarfs- und Personaleinsatzplanung (4,6 Prozent) verwendet werde.
Auch beim Bereich „Filiale“ sind es noch die eher einfachen KI-Anwendungen, die genutzt werden, wie beispielsweise Kamerasysteme zum Diebstahlschutz am POS (7,1 Prozent). Dabei könnte die künstliche Intelligenz nicht nur das Marketing personalisieren oder die Sortimentsgestaltung auf die Kundenströme abstellen, sondern auch den Preis für Produkte in Echtzeit anpassen.
Das Einkaufserlebnis verbessern und damit den Umsatz steigern – hier könnte der stationäre Sporthandel eine Vorreiterrolle einnehmen, beispielsweise mit einem Roboter, der bei der Produktsuche im Laden hilft und individuell berät. Hinzu kommen dann noch Smart Mirrors, die die virtuelle Realität mit traditionellen Einkäufen kombinieren, indem sie das Einkaufen in ein bequemes und angenehmes Erlebnis verwandeln. Passend zur Regenjacke zeigt der Spiegel zum Beispiel noch eine Regenhose oder empfiehlt die neuesten, wasserabweisenden Laufschuhe. Möglich wird dies über Sensoren in der Umkleidekabine, die mithilfe von RFID-Technologie das anprobierte Teil erkennen.
Die Ideen sind da, die Technik auch – doch an der Umsetzung hapert es noch häufig. 8,9 Prozent der vom HDE befragten Unternehmen geben unter anderem fehlende Unterstützung des (Top-)Managements als Grund für mangelnden KI-Einsatz an. Der Wunsch nach mehr konkreten Anwendungsfällen steht ganz oben (66,7 Prozent), gefolgt von niedrigeren Kosten für den Betrieb von KI (57,8 Prozent) und gesteigerten Nutzen von KI-Projekten.
Das Fazit der HDE-Studie: In Handelsunternehmen sind kosten- und zeitintensive KI-Anwendungsfälle weiterhin kaum vertreten, obwohl sowohl kleinere als auch größere Unternehmen an der Studie teilgenommen haben. Die Unternehmen würden sich möglicherweise zunächst auf die Nutzung von KI in Bereichen konzentrieren, in denen schnell sichtbare Ergebnisse erzielt werden können, um so ihre Investitionen zu rechtfertigen. Ein weiterer Grund könnten Budget- oder Ressourcenbeschränkungen sein.
Exkurs: KI im Drogeriemarkt
Der deutsche Drogeriemarkt dm hat im August 2023 eine eigene dmGPT-Anwendung gestartet – zunächst für den internen Gebrauch. „Die Menschen bei dm nutzen unsere dmGPT-Anwendung intensiv, wir zählen mehrere Tausend Prompts pro Tag“, sagt CEO Christoph Werner in einer Pressemeldung. Eine aktuell oft genutzte Anwendung sei der rasche Transfer in alle Sprachen, die in den 14 Ländern gesprochen werden, in denen dm vertreten ist. Die Tochtergesellschaft dmTECH arbeite laut Werner zurzeit an einer Vielzahl von Projekten. Ein Beispiel sei die Produktivitätssteigerung mithilfe der KI bei der Kundenansprache. Da dm seine Kundinnen und Kunden intensiv mit personalisierten Newslettern auf Angebote aufmerksam macht, könne man mithilfe der KI diese Informationen automatisieren. Von maschinellem Lernen zeugen auch rollende Roboter in den Gängen der Filialen. Sie liefern in einem gemeinsamen Forschungsprojekt mit der Universität Eichstätt-Ingolstadt Daten, um zielgerichtete Auswertungen des Warenbestandes vorzunehmen und Handlungsempfehlungen an die dm-Verteilzentren zu übermitteln.
„Shoppingerlebnisse finden immer öfter digital statt – hat der stationäre Einzelhandel noch eine Zukunft? Wir glauben ja, unbedingt!“ heißt es auf der Website von „Knowledge4Retail“. Dieses Konsortium aus 13 Unternehmen aus den Bereichen Einzelhandel, KI-Algorithmen, Plattformökonomie und IT-Integration baut an einer KI-Daten-Plattform, welche die digitale Welt mit dem stationären Handel verbindet – und das Ganze als Open-Source.
Im Rahmen des Projekts wurden vier prototypische Anwendungen auf Basis des entwickelten Datenmodells konzipiert und implementiert. Diese Prototypen umfassen intelligente Intralogistik, strategisches Handelsmarketing zur Etablierung kundenindividueller Filialen, Servicerobotik zur Unterstützung von Filialmitarbeiter*innen und die Internet-of-Things-Anbindung eines intelligenten Kühlschranks. „Die Motivation für das Projekt ist die Tatsache, dass nur wenige Daten über die Bewegung von Produkten oder die Interaktion des Kunden mit einem Produkt in einem Geschäft verfügbar sind. Die Verfügbarkeit solcher Daten würde jedoch neue Dienstleistungen ermöglichen, zum Beispiel die Optimierung von Ladenlayouts, die Unterstützung von Ladenmitarbeitenden und ein verbessertes Einkaufserlebnis für Kunden“, sagt Tim Schopf von der Technischen Universität München. Er präsentierte 2022 das Projekt auf der „International Conference on Artificial Intelligence for Industries“ in Kalifornien.
Das Fazit von Wissenschaftler Schopf: „Um die Lücke zwischen physischen Geschäften und Online-Shops zu schließen, muss sich die Branche bemühen, die digitale Welt mit dem stationären Handel zu verbinden. Es reicht jedoch nicht aus, nur einzelne Digitalisierungslösungen zu haben, sondern es ist ein ganzheitliches Konzept für die gesamte Branche erforderlich. Um dieses Ziel zu erreichen, wird eine KI-Plattform für den stationären Handel benötigt, die es der Branche ermöglicht, datengetriebene Anwendungen zu entwickeln.“
1. Automatisierung
Künstliche Intelligenz übernimmt Aufgaben, die früher von Menschen erledigt wurden. Dadurch können die Mitarbeiter*innen mehr Zeit für den Kundenservice aufwenden. Dies steigert die Effizienz und trägt zur Verbesserung des Kundenerlebnisses bei.
2. Diebstahlvermeidung
KI-Technologien treiben die Innovation beim Self-Check-out voran. Sie bieten eine sichere Methode zum Scannen, die auch dazu beiträgt, Ladendiebstahl zu verhindern. Die KI-Authentifizierung kann auch dazu genutzt werden, um Daten über verdächtige Ladendiebe zu erfassen.
3. Nachhaltigkeit
Künstliche Intelligenz hat das Potenzial, den Einzelhandel wesentlich nachhaltiger zu machen. KI-Prognosetools helfen Unternehmen dabei, Kohlenstoffneutralität zu erreichen, indem sie Emissionsraten überwachen und Recycling fördern.
4. Effizienzsteigerung
Es wird davon ausgegangen, dass KI für die Automatisierung alltäglicher Aufgaben und die Optimierung anspruchsvollerer Arbeiten wie Auslieferung, Nachverfolgung und Terminplanung zuständig sein wird. All diese Fortschritte haben das Potenzial, die Arbeit für die Beschäftigten wesentlich einfacher und effizienter zu machen.
5. Optimierung
Die Technologie der künstlichen Intelligenz kann das frühere Kaufverhalten überprüfen und eine Warnung ausgeben, wenn die Bestände der meistverkauften Produkte einen kritischen Tiefstand erreichen könnten. Sie kann auch zeitliche Muster der Nachfrage erkennen, einschließlich der Identifizierung saisonaler Artikeltrends, und einschätzen, wann diese Artikel am stärksten nachgefragt werden.
6. Kundenzufriedenheit
KI bringt auch Vorteile für die Verbraucher*innen. So können Chatbots helfen, sich im Laden schnell zurechtzufinden und personalisierte Produktempfehlungen zu erhalten. So zeigen Retailer ihren Kund*innen, dass sie ihre Zeit zu schätzen wissen und alles für das bestmögliche Shoppingerlebnis unternehmen.
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