Wer sich bei Google nach den Fußballspielern mit den meisten Länderspieltoren erkundigt, findet auf der ersten Ergebnisseite siebenmal den Namen Cristiano Ronaldo – aber kein einziges Mal Christine Sinclair. Und bei der Frage nach den meisten WM-Titelverteidigungen im Boxen spuckt die Suchmaschine achtmal den Namen Joe Louis aus – verschweigt Regina Halmich aber konsequent.
Die beiden Beispiele zeigen, dass Sportlerinnen auf dem Weg zu Geschlechtergerechtigkeit und Fairness noch einen weiten Weg vor sich haben. Denn tatsächlich liegt die Kanadierin Christine Sinclair mit 190 Länderspieltoren als Nummer 1 in dieser Statistik weit vor Cristiano Ronaldos 118 Treffern. Und gegen die 45 Titelverteidigungen der deutschen Boxerin Regina Halmich geht der einstige Max-Schmeling-Gegner Joe Louis mit 27 solcher Kämpfe klar k.o. Aber: Es geht eben „nur“ um Frauenfußball und Frauenboxen, und nicht um Fußball und Boxen.
So sieht das zumindest Google, das schlussendlich nur die Anfragen und die Interessen seiner Nutzerinnen und Nutzer wiedergibt. Die globale Initiative „Correct the Internet“ will das jetzt ändern. Sie fordert dazu auf, solche Fehlinformationen, die es in vielen Sportarten gibt, bei den Suchmaschinen zu melden – und so für ausgewogenere und gerechtere Ergebnisse bei Google & Co. zu sorgen.
„Correct the Internet“ ist nur eine von vielen weltweiten Initiativen und Aktivitäten, die Frauen im Sport voranbringen und noch sichtbarer machen wollen. Und hier gibt es noch viel Arbeit. Denn wie die Website Athlete Assessments berichtet, waren 2020 40 Prozent aller Spitzensportler*innen Frauen – um die es aber nur in 4 Prozent der Berichterstattung in Zeitungen, Zeitschriften und elektronischen Medien ging. Und unter den 50 bestbezahlten Athlet*innen 2022 standen auf der Liste von Fox Sports nur zwei Frauen – die Tennisspielerinnen Naomi Osaka (19.) und Serena Williams (31.).
Es gibt aber auch Zahlen, die für greifbare Fortschritte sprechen. Laut einer Untersuchung der BBC erhalten Frauen in 83 Prozent der Sportarten mittlerweile die gleichen Preisgelder wie Männer. Nur: In 17 Prozent der Disziplinen, in denen das noch nicht der Fall ist, summieren sich die Unterschiede auf Millionen von Dollar oder Euro.
Auch wenn Frauen im Spitzensport noch jede Menge Nachholbedarf haben, und trotz mancher Rückschläge, gibt es zahlreiche positive Beispiele, die beweisen: Es geht endlich voran mit der Gender-Gerechtigkeit im Spitzensport. ISPO.com erzählt „Geht doch“-Geschichten von Frauen, die, frei nach David Bowie, zeigen: We can be SHEROES – und das für viel mehr als nur für einen Tag.
Gegen das Internationale Olympische Komitee (IOC) lässt sich viel einwenden – nicht zuletzt nach der jüngsten Forderung des deutschen Präsidenten Thomas Bach, Aktive aus Russland und Belarus wieder zu Olympischen Spielen zuzulassen. Doch in Sachen Geschlechter-Gerechtigkeit setzt das IOC Zeichen. Bei den Sommerspielen 2024 in Paris sollen erstmals gleich viele Frauen und Männer an den Start gehen. Tokio 2021 hat mit einem Sportlerinnen-Anteil von 48 Prozent bereits einen neuen Rekord aufgestellt. Und in Paris steht es 2024 quasi pari – in der gleichen Stadt, in der im Jahr 1900 erstmals Frauen an den Spielen teilnehmen durften.
Damals war ihr Anteil mit 2,2 Prozent – oder mit 22 Frauen unter 975 Männern – noch mehr als bescheiden. „Heute kann es sich keine Organisation und kein Land leisten, die Fähigkeiten von 50 Prozent der Bevölkerung zurückzulassen“, heißt es jetzt von Thomas Bach. Und selbst in den Kommissionen des IOC sitzen mittlerweile 273 Männer – und 273 Frauen. Hier mag seitens der Olympier (und neuerdings auch Olympierinnen) viel Politik und Kalkül dahinterstecken. Und die alten Männer aus Lausanne haben sich bestimmt nicht über Nacht in Feministen verwandelt. Doch das Motto des IOC-Frauentags 2022 füllt sich mit Leben: „If she believes it, she can be it“ – „Wenn sie daran glaubt, kann sie es sein.“
Nächstes Ziel ist es, die Zahl von Trainerinnen bei Olympia zu erhöhen. 2021 in Tokio waren es lediglich 13 Prozent. Ein neues Programm des IOC soll diese Zahl deutlich steigern.
„Equal Pay“, die gerechte Bezahlung von Männern und Frauen, ist seit Jahren eine der zentralen Forderungen von Spitzensportlerinnen. US-Fußballidol, Weltmeisterin und Aktivistin Megan Rapinoe hielt dazu 2021 eine viel beachtete Rede vor dem Kongress in Washington. Darin forderte sie Fairness für Fußballspielerinnen und viele andere betroffene Athletinnen: „Ihr wollt, dass wir Stadien füllen – und wir tun es. Ihr wollt, dass wir Vorbilder für Eure Kinder sind – und das sind wir. Ihr wollt, dass wir respektvoll sind, dass wir Weltklasseleistungen bringen, und dass wir die USA auf der internationalen Bühne auf die bestmögliche Weise vertreten. Wir haben all das getan. Da ist es inakzeptabel, dass wir immer noch für gleiche Bezahlung kämpfen müssen.“
Bitteres Fazit von Rapinoe, die bereits 2016 gemeinsam mit vier Mitspielerinnen eine gerichtliche Beschwerde wegen „Lohndiskriminierung“ eingereicht hat: „Wir können gar nicht gut genug sein, um Diskriminierung zu verhindern.“ Doch es gibt Fortschritte. Die US-Fußballerinnen – die als vierfache Weltmeisterinnen um Längen erfolgreicher sind als ihre männlichen Kollegen – erhalten laut einer 2022 abgeschlossenen Vereinbarung mit dem US-Verband nun erstmals die gleichen Siegprämien, Antrittsgelder sowie Anteile an Sponsoren- und Zuschauereinnahmen wie das Männer-Team, das die historische Vereinbarung ausdrücklich begrüßt. Nationalspieler Tim Ream in einem Tweet: „Es war für alle Seiten ein langer Prozess. Aber wir sind stolz auf alle Beteiligten, dass wir dieses Ziel erreicht haben. Es ist jetzt wirklich eine Nation, ein Team.“
Ähnliche Vereinbarungen für den Frauenfußball gibt es mittlerweile in vielen anderen Ländern, unter anderem bei Vorreiter Norwegen, in Finnland, Dänemark, den Niederlanden, England, Spanien, Brasilien, Australien sowie Neuseeland. Deutschland wartet dagegen vor der WM 2023 in Australien und Neuseeland noch ab. 2022 forderte sogar Bundeskanzler Olaf Scholz „Equal Pay“ für die Nationalteams der Männer und Frauen – wobei den deutschen Fußballerinnen aktuell noch mehr an vergleichbaren Arbeits- und Trainingsbedingungen liegt. Nationalspielerin Svenja Huth: „Wir müssen erst einmal die Basisstrukturen in der Liga für alle Vereine schaffen. Das bezieht sich auf die Infrastruktur – und dass die Spielerinnen nicht noch 40 Stunden in der Woche arbeiten müssen.“
In anderen Sportarten wie beispielsweise der World Surf League ist gleiche Bezahlung für Athletinnen und Athleten längst Alltag. Die siebenfache Weltmeisterin Layne Beachley erklärt, was das im Alltag für die Sportlerinnen bedeutet. Sie müssen nicht mehr wie früher zur Finanzierung ihres Sports „ein Dutzend Paar Levi’s 501 in den USA kaufen, um sie in Frankreich mit spektakulärem Gewinn zu verkaufen“. Und es heißt nicht mehr: „Die Wellen sind scheiße, also schick die Mädchen raus.“
Generell geht es den Sportlerinnen und Aktivistinnen nicht darum, immer die gleichen Millionenbeträge wie ihre männlichen Kollegen einzustreichen. Denn wenn Julian Nagelsmanns Spieler beim FC Bayern bei jedem Spiel die Allianz Arena ausverkaufen und vor 75.000 Fans kicken, die Bayern-Frauen in der aktuellen Saison aber nur auf einen Zuschauerschnitt von 2.205 kommen, wäre das vermessen und unrealistisch. Tatsächlich geht es um Fairness, wie die US-Basketballligen NBA (Männer) und WNBA (Frauen) zeigen. Mit dem Milliardenspektakel und den Einnahmen von LeBron James und Co. kann die WNBA naturgemäß nicht im Entferntesten mithalten. Aber die Spielerinnen verlangen den gleichen Anteil an den Einnahmen, die ihre Liga erwirtschaftet. Die NBA-Männer haben hier zuletzt 49 bis 51 Prozent erhalten – und die WNBA-Frauen maximal 22,8 Prozent. Unterschiedliche Einnahmen fair zu verteilen – vor allem darum geht es beim „Equal Pay“.
Am 19. März kommt es im Wintersport zu einer Weltpremiere: 20 Jahre nach den ersten Skisprung-Wettbewerben für Frauen stürzen sich die Springerinnen erstmals von einer riesigen Flugschanze. Die Premiere des Frauen-Skifliegens steigt auf dem „Monsterbakken“ im norwegischen Vikersund. Der Rekord liegt dort bei 253,5 Meter, aufgestellt 2017 vom Österreicher Stefan Kraft. Nun darf auch seine Teamkollegin, Weltmeisterin Sara Marita Kramer, von der größten Schanze der Welt springen – und versuchen, den inoffiziellen Frauen-Weltrekord von 200 Metern der Österreicherin Daniela Iraschko-Stolz zu brechen.
„Ich bin definitiv eine Fliegerin“, freut sich Sara Marita Kramer auf das historische Event – für das aber einige Einschränkungen gelten. Weil das Niveau im Frauen-Skispringen noch nicht in allen Ländern top ist, dürfen nur die besten 15 des Weltcups und nur Springerinnen über 18 Jahren auf den Monsterbakken. „Allen Athletinnen die Teilnahme zu ermöglichen, wäre viel zu gefährlich“, wirft auch Team-Weltmeisterin Kramer ein.
Einige ältere Herren bleiben skeptisch. Toni Innauer (64), österreichischer Olympiasieger von 1980, warnt vor allem vor der Gefahr bei schweren Stürzen: Die Springerinnen seien „aufgrund des geschlechtsspezifisch geringeren Muskelanteils am Gesamtkörpergewicht weniger widerstandsfähig“. Dies mag stimmen. Allerdings hatten Experten schon vor zwei Jahrzehnten bei der offiziellen Einführung des Frauen-Skispringens gewarnt, dass „die Knie- und Sprunggelenke der Springerinnen physiologisch überfordert sein könnten“. Seitdem hat sich der Sport prächtig entwickelt, 2024 soll es erstmals eine Vierschanzentournee für Frauen geben. Und von nachhaltigen Schäden bei den Springerinnen ist nichts bekannt.
Frauen sorgen aktuell in vielen Bereichen des Spitzensports für Furore, in denen sie vor einigen Jahren noch überhaupt keine Rolle gespielt haben. Formel-1-Weltmeister Max Verstappen verdankt seine WM-Titel 2021 und 2022 zu einem guten Teil Hannah Schmitz, der Chefstrategin seines Red-Bull-Teams. Die Engländerin entwickelt die Taktik für die Rennen, plant Boxenstopps und muss binnen Sekunden auf unvorhergesehene Ereignisse wie die Unfälle anderer Autos reagieren. Seit die Formel 1 1950 gegründet wurde, war das ein Job für Männer. Nun dirigiert eine junge Frau den Weltmeister zu seinen Siegen.
„Sie ist unfassbar ruhig und einfach sehr gut“, lobt Verstappen seine Chefstrategin. Weltbekannt wurde Hannah Schmitz 2019, als sie nach einem Sieg in Brasilien als Team-Vertreterin mit aufs Podium durfte: „Das war ein ganz besonderer Moment und der Höhepunkt meiner Karriere. Ich war gerade erst nach der Geburt meines ersten Kindes wieder ins Berufsleben eingestiegen. Deshalb war es eine große Sache für mich, zu beweisen, dass ich noch da bin und den Job gut erledigen kann.“
Als die deutsche Mannschaft bei der WM Ende 2022 in Katar einmal mehr bereits in der Vorrunde scheiterte, waren viele Herren daran schuld – aber sicherlich nicht Schiedsrichterin Stéphanie Frappart. Sie leitete als erste weibliche Unparteiische eine Partie bei einer Männer-WM. Bundestrainer Hansi Flick hatte schon im Vorfeld „100 Prozent Vertrauen“ in die Französin: „Sie hat es verdient mit ihrer Leistung.“ Das deutsche 4:2 beim letzten Gruppenspiel gegen Costa Rica reichte dann nicht zum Weiterkommen. Der Kölner Express lobte, dass sich Stéphanie Frappart „bei einem routinierten Auftritt überhaupt nicht beeindrucken ließ“. Und dass nach der Weltpremiere alle vom nächsten deutschen Fußball-GAU redeten, und kaum jemand von der Schiedsrichterin, war das beste Zeichen dafür, dass weibliche Referees beim Männerfußball künftig völlig selbstverständlich sind.
Die ehemalige US-Basketballerin Becky Hammon gilt als größte Hoffnung dafür, dass eines Tages eine Frau eine NBA-Mannschaft trainiert. Eigentlich hat sie das bereits geschafft: Als Assistenztrainerin der San Antonio Spurs trug sie Ende 2020 beim Spiel gegen die Los Angeles Lakers nach einem Feldverweis von Chefcoach Gregg Popovich plötzlich die volle Verantwortung. Aktuell ist Hammon zwar als Trainerin der Las Vegas Aces in die Frauen-Liga WNBA zurückgekehrt. Doch ihr Traum von der NBA lebt. Und sie hat Eindruck hinterlassen. Spaniens Basketball-Legende Pau Gasol schwärmt regelrecht: „Ich habe mit den klügsten Köpfen dieses Sports zusammengearbeitet. Und ich sage Euch: Becky Hammon kann coachen. Ich sage nicht, dass sie das ganz gut kann. Und ich sage auch nicht, dass sie gut genug coachen kann, um einigermaßen zurechtzukommen. Ich sage nicht, dass sie fast so gut ist wie die männlichen Trainer in der NBA. Ich sage ganz einfach: Becky Hammon kann Basketball in der NBA coachen. Punkt.“
Dass die Karrieren von Frauen in Bereichen des Sports, die bisher von Männern dominiert wurden, nicht zwangsläufig immer weiter nach oben führen, musste Amélie Mauresmo erleben. Die Französin, ehemalige Nummer 1 im Welttennis, wurde 2014 Trainerin des schottischen Weltklasse-Spielers Andy Murray. Eine Frau coacht einen männlichen Top-Spieler – das war eine Sensation und ließ auch eine toughe Frau wie Mauresmo nicht kalt: „Ich hatte den Eindruck, dass ich viel Verantwortung trug und nicht das Recht hatte, Fehler zu machen. Wenn ich es vermasselte, würden alle Frauen es mit mir vermasseln.“
Sie feierte mit Murray zwar einige Erfolge, unter anderem mit dem Finaleinzug bei den Australian Open 2015 und im selben Jahr mit dem Sieg bei den Madrid Open. Aber nach der Geburt ihres ersten Kindes und einigen Niederlagen trat sie 2016 von ihrem Amt zurück: „Ich glaube, ich habe da nicht reingepasst. Die Leute haben mich nicht respektiert, weil ich eine Frau war, und weil ich zuvor noch nie wirklich gecoacht habe.“ Andy Murray bedauerte die Entscheidung: „Ich habe das Gefühl, dass sie von vielen Leuten hart beurteilt wurde, nur weil sie eine Frau war. Wenn ich früher Spiele verloren habe, hat man mich in Frage gestellt, und nicht meinen Trainer. Als ich mit Amélie gearbeitet habe, war das anders.“
Bleibt als Fazit: Es gibt Fortschritte in vielen Bereichen, die Frauen Mut machen. Aber bis sie ganz selbstverständlich im männerdominierten Sport zu SHEROES werden können, länger als nur einen Tag – bis dahin ist noch viel zu tun.
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