Wer Gleichberechtigung im Sport will, muss gesellschaftliche Strukturen hinterfragen und reflektieren. Allen voran unseren Umgang mit dem weiblichen Körper. Denn das Verhältnis zum weiblichen Körper Ist ein kulturell und gesellschaftlich geprägtes. Keine Sorge: Auch das zum männlichen Körper - aber hier in diesem Artikel soll es ja um Mädchen und Frauen und einen erleichterten Zugang zu Sport gehen. Von klein auf bekommen Mädchen unterschiedliche kulturelle Botschaften, was es wirklich bedeutet, eine Frau zu sein. Und damit auch: eine Sportlerin. Dabei geht es gar nicht immer unbedingt um den Körper, sondern auch das Verhalten junger Mädchen. Wer erinnert sich nicht an den Spruch „Du wirfst ja wie ein Mädchen.“ Was auf den ersten Blick witzig erscheint, suggeriert auch: Mädchen können nicht richtig werfen. Doch ist das wirklich wahr? Fragen wir doch Diskuswerferin Nadine Müller. Sie wird uns sicher eines Besseren belehren. Nichtsdestotrotz legen solche Sprüche eben fest, wie Mädchen und Frauen sich selbst betrachten. Was sie sich zutrauen (können).
Es ist ein schmaler Grad zwischen gesellschaftlich erwünschter und normierter Weiblichkeit. Denn der Satz „Stell dich nicht an wie ein kleines Mädchen“, den sich so mancher Sportler an den Kopf wirft, ist niemals ein Witz oder gar Kompliment.
Und trotzdem sorgen diese Sprüche dafür, dass sie Mädchen bremsen. Bremsen, einen Sport auszuüben, der maskulin besetzt ist. Lieber widmen sie sich dem Ballett, Schwimmen oder Tennis. Keine Frage, alles großartige Sportarten, und dennoch gibt es sicherlich einen Haufen an jungen Frauen da draußen, die ihre größte Freude daran hätten, Geschlechtergrenzen zu überwinden und mit gesellschaftlich geprägten Stereotypen zu brechen. Dann, wenn sie einen Sport betreiben, der eigentlich den Jungs vorbehalten ist, in dem sie nicht nur aufgehen, sondern auch gut sind. Ein Beispiel ist hier die 13-jährige Sky Brown, die dieses Jahr zum ersten Mal bei Olympia in Tokio antritt. In der Disziplin Skateboard. Ein wichtiger Schritt. Nicht nur für Sky Brown, sondern für alle Mädchen, die auch vom Skateboard-Leben träumen.
„Mädchen können doch wohl jeden Sport ausüben, den sie wollen“, ruft es sicherlich von irgendwoher. In der Theorie ja, in der Praxis – naja. Für alle, die behaupten, die Geschlechterdiskussion sei Schnee von gestern, gibt es etwas Statistik. Zahlen der Women’s Sports Foundation (USA) zeigen, dass Mädchen im Sport generell unterrepräsentiert sind, später anfangen und früher wieder damit aufhören. Vor allem in großen Städten oder bei jungen Mädchen und Frauen aus visuell identifizierbaren Minderheiten lässt sich dieses Ungleichgewicht im Vergleich zu Jungen vermehrt beobachten. Das liegt jedoch nicht – wie vielleicht auf den ersten Blick vermutet – auch nicht an den Mädchen. Die jungen Frauen haben laut Umfragen durchaus Freude daran haben, Ehrgeiz zu zeigen, sich – auch mit Jungs – zu messen und ein Gefühl für ihren Körper zu entwickeln. Jedoch ist Sport als Erlebnisraum männlich geprägt und - in den Medien ist Frauensport unterrepräsentiert. Vorbilder zu finden ist schwerer. Hinzu kommt, dass junge Mädchen im Vergleich zu ihren männlichen Altersgenossen mit zusätzlichen Herausforderungen konfrontiert sind, wenn sie dauerhaft sportlich aktiv sein wollen. Aus diesem Grund nehmen Mädchen sportliche Angebote oft weit nicht so wahr, wie es möglich wäre.
Dabei bietet Sport enormes gesellschaftliches Potential, vor allem, um Mädchen zu fordern und zu fördern. Auch beugt Sport Depressionen und Angstzuständen vor, Krankheiten, die laut WHO unter Jüngeren in städtischen Regionen auf dem Vormarsch sind. Auch Sportartikelherstellern ist dieses Potential bereits bewusst. So hat Nike beispielsweise einen Guide speziell zum Coaching von Mädchen entwickelt, Fitnessuhrenhersteller und Garmin mit „Being Brave in a Big World“ ein Buch mit Abenteuergeschichten von Athletinnen herausgebracht, um Mädchen Vorbilder in spielerischer Form näher zu bringen.
Manche Voreingenommenheit und manche Stereotypen sind tief verwurzelt und, obwohl Erwachsene nur das Beste für junge Mädchen wollen, oft hinderlich für deren sportliche Entwicklung. Laut Expertinnen erzieht unsere Gesellschaft Jungs eher zu Mut, Mädchen dagegen zu Perfektion. Dies gilt nicht nur für den Sport, sondern trifft auf alle Lebenslagen zu, wie Reshma Saujani in ihrem TED Talk erklärt. Umgemünzt auf den Sport kann das so aussehen: Mädchen werden zwar genauso gefeiert, gelobt und belohnt, wenn sie etwas richtig machen. Anders sieht es dagegen aus, wenn sie eine Technik oder einen schwierigeren Trick, also etwas Neues oder Riskantes ausprobieren, das ihnen nicht sofort gelingt.
Der Ball liegt also bei uns Erwachsenen. Was können wir also dagegen tun, damit auch Mädchen und junge Frauen ihren Raum im Sport einnehmen?
Zuerst sollten wir uns wohl unseren eigenen verinnerlichten Vorurteilen bewusst werden und versuchen, diese zu hinterfragen und neu zu definieren in den Griff zu bekommen, sei es nun als Elternteil oder Coach. Forschende fanden mit Hilfe einer Rutschstange auf dem Spielplatz heraus, dass Mädchen häufiger von ihren Eltern gewarnt wurden, dass sie sich verletzen könnten oder ihnen halfen, wenn sie trotzdem dort spielen wollten. Und kleine Jungs? Die wurden dazu ermutigt, auch wenn sie vielleicht Angst hatten und ihnen wurden Hilfestellungen gegeben, sodass sie alleine spielen, die Rutschstange selbst benutzen konnten. Hier liegt das Potential, eigene Verhaltensweisen und anerzogene Denkweisen zu reflektieren und zu transformieren.
Ironischerweise sind Jungs und Mädchen sich bis zur Pubertät, was körperliche Grundvoraussetzungen angeht, sehr ähnlich. Manchmal sind Mädchen in jungen Jahren sogar weiter und reifer. Dies spricht auch für gemischte Mannschaften und Teams.
Das Problem: Kinder saugen die Botschaften von Erwachsenen auf. Wenn, wir so tun, als wären Mädchen zerbrechlicher, könnten weniger aushalten, bräuchten mehr Hilfe und so weiter, übernehmen Kinder diese Denkansätze. Beim nächsten „Pass auf, du wirst dir wehtun“, „Tu das nicht, das ist gefährlich“ oder „Das schaffst du eh nicht, also lass es besser bleiben“ sollte man sich bewusst sein, welche versteckte Botschaft damit vermittelt wird. Nämlich, dass sich das Mädchen nicht anstrengen sollte, dass sie gar nicht gut genug ist und dass sie eigentlich Angst haben sollte. Gleichzeitig spielt die Familie eine große Rolle in der sportlichen Karriere von jungen Mädchen: Wird sie im Verein mit einbezogen oder ist von einem Einzelsport besonders überzeugt und begeistert, bleiben Mädchen eher dabei.
Angst ist wichtig, sie schützt uns. Genauso wichtig ist es jedoch für kleine Mädchen wie Jungs zu lernen, wie man Risiken und Gefahren behandelt, Belastungen und Anspannung aushält und Selbstbewusstsein bekommt, weil man sich und die eigenen Fähigkeiten besser einzuschätzen weiß. Für Mädchen ist der Druck oft besonders hoch, perfekt zu sein, sich selbst in einem positiven Licht darzustellen. Soziale Medien sind dabei ein wichtiger Faktor, der die Selbsteinschätzung von Mädchen im Vergleich zu anderen beeinflusst. Dies kann zum Grund werden, warum Mädchen weniger häufig etwas Neues ausprobieren, von dem sie sich nicht sicher sind, dass es mit Erfolg gekrönt sein wird. Trainer*:innen sollten Mädchen deshalb vor allem Sicherheit geben, Risiken einzugehen, um etwas Neues zu lernen. Genauso gehört Scheitern dazu, wenn man besser werden möchte. Dabei sollte Mut priorisiert und dem Ausprobieren von Neuem genauso viel oder noch mehr positive Aufmerksamkeit beigemessen werden wie guten Leistungen.
Gleichzeitig sollten auch wir uns an die eigene Nase fassen. Vorbilder, mit denen sich Kinder identifizieren, lassen ein Ziel nochmals erreichbarer und erstrebenswerter erscheinen. Ein Problem sind dabei allerdings nach wie vor strukturelle Ungleichheiten. Viele Trainerpositionen, vor allem in männlich dominierten Sportarten, sind – natürlich – ebenfalls männlich besetzt. Viele Mädchen werden von männlichen Trainern und Coaches trainiert, aber die wenigsten Jungs von Frauen. Nimmt man den Fußball als Beispiel, zieht sich das vom Breitensport bis hin zur Profiliga durch. Und auch in Sportarten wie Skateboard, Snowboard oder Skifahren sind solche Tendenzen zu erkennen.
Während man männlichen Trainern auf keinen Fall ihr ehrenamtliches Engagement absprechen sollte, ist es dennoch ein strukturelles Problem. Denn auch das suggeriert Kindern bewusst wie unbewusst, dass bestimmte Positionen im Sport nicht von Männern und Frauen gleichermaßen ausgeführt werden können oder Frauen nicht präsent sind.
Hier besteht für uns alle Verbesserungspotential: Zum einen, dass Frauen den Mut aufwenden, das Risiko eingehen, sich auf ein Amt zu bewerben, selbst wenn nicht alles perfekt läuft oder 100-prozentig Erfolgschancen bestehen. Gleichzeitig sollten insgesamt gleiche Zugangsvoraussetzungen für alle im Sport geschaffen werden.
Genauso braucht es weibliche Vorbilder für Mädchen, die zeigen, dass sie sich trauen können, dass sie scheitern dürfen, um dann trotzdem weiterzumachen und festzuhalten, am Sport. Hier hilft es zum Beispiel schon, wenn Trainerinnen Geschichten teilen, in denen sie gescheitert sind, aber vielleicht nach zig Anläufen daraus gelernt haben, einen Trick zu stehen oder mit einem bestimmten Move durch eine schwierigen Route zu steigen, die unter unterschiedlichen körperlichen Voraussetzungen eventuell unterschiedlich zu lösen ist. So wird gezeigt, dass auch erwachsene Vorbilder nicht perfekt sind, sich Mut und Ausdauer aber dennoch auszahlt.
Es ist wichtig, dass junge Mädchen und Frauen immer öfter Vorbilder finden. Und da sind wir wieder beim Anfang dieses Artikel: Es tut sich bereits was. Es gibt immer öfter Vorbilder, Frauen nehmen öfter Medienpräsenz ein und die sozialen Medien machen es Sportlerinnen einfacher, ins Rampenlicht zu kommen. Junge Frauen bekommen immer öfter einen Blick auf die Möglichkeiten, die der Sport eröffnet, wenn sie unbeschrittene Wege gehen. Trotzdem sollten wir als Branche nicht aufhören, unseren Blick für Mädchen auch auf Abenteuer– und Outdoor-Sport zu erweitern, um ihn wirklich allen, die Lust darauf haben, zugänglich zu machen. Denn er ist:
Eine Möglichkeit, sich frei zu fühlen, sich selbst zu verwirklichen und zu wachsen. Und eine Schule fürs restliche Leben, zu lernen und mitzunehmen. Etwas, das Jungs und Mädchen offen stehen sollte.
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