„Komfort beeinflusst die Leistung maßgeblich“, zitiert Adidas den Professor Dr. Jason White zum Launch der Adidas SS23 Bra & Leggings Kollektion. Dass das leichter gesagt ist, als getan, weiß wohl jede Frau, die schon einmal auf der Suche nach einem passenden Sport-BH war. Adidas will das ändern und hat sich für die Kollektion mit Expertin:innen zusammen getan. Nicht nur Sport-Berater Dr. White war beteiligt, auch Professorin Joanna Wakefield-Scurr, die an der Portsmouth Universität die Forschung zur weiblichen Brustgesundheit leitet. „Egal ob im Amateur- oder Profisport, ein richtig sitzender Sport-BH ist absolut unverzichtbar!“, so die Expertin. Wenn er nicht richtig passt, ist das nicht nur unangenehm, sondern vor allem auch gefährlich. Unabhängig von der Größe der Oberweite ist das Bindegewebe der weiblichen Brust sehr empfindlich. Durch extreme Bewegungen beim Sport kann es sogar reißen. Ein guter Halt für die Brust ist essenziell.
Abgesehen von passender Unterwäsche wie einem BH ergeben sich durch die weibliche Anatomie eine Vielzahl an speziellen Anforderungen an die Oberbekleidung beim Sport. Der im Vergleich zum männlichen Körper kürzere Oberkörper und das breitere Becken erfordern beispielsweise im Radsport völlig andere Schnitte. „Den deutlichsten Unterschied macht der Hosenbereich“, sagt Sandra Waschnewski. „Weil Frauen im Schnitt breitere Sitzbeinhöcker haben, muss das Pad breiter und ganz anders positioniert sein, als es bei Männerhosen der Fall ist. Sonst wird es schmerzhaft“. 2018 hat Waschnewski das Label Veloine gegründet, um Premium-Radsportbekleidung speziell für Frauen auf den Markt zu bringen. Im Sortiment gibt es auch ein Pregnancy Kit – also Radlerhosen und Trikots speziell für schwangere Frauen. Ein absolutes Novum und seit dem Launch 2020 noch immer einzigartig auf dem Markt. Das allein spricht Bände. Warum finden weiblichen Bedürfnisse wie eben eine Schwangerschaft in der Sportbranche so wenig Beachtung?
Wakefield-Scurr sei stolz, dass Adidas dem Thema mit seinen Neuheiten mehr Aufmerksamkeit verschaffe, heißt es in der Pressemitteilung zur neuen Bra & Leggings Kollektion. Realistisch gesehen leistet der Sportartikelriese damit aber weniger Pionierarbeit, als dass er auf einen Gewinn versprechenden Trend aufspringt. Denn der Frauenanteil wächst in allen Sportarten.
Zu verdanken ist das keinem gemeinsam mit Universitätsprofessor:innen entwickelten Sport-BH, sondern Unternehmerinnen und weiblichen Role Models, die ihre Sichtbarkeit nutzen, um andere Frauen zu ermächtigen. Vor allem in den sozialen Netzwerken verbünden sich Radfahrerinnen, Läuferinnen, Fußballerinnen und Frauen aus allen anderen erdenklichen Sportarten, um ihre Leidenschaft online wie offline zu teilen. Die Pandemie wirkte auf diese Entwicklung wie ein Katalysator: Seit dem Ausbruch von Corona wächst die weibliche Sportcommunity rasant und deckt dabei auch Missstände der Branche auf. Wie, dass das speziell auf Frauen zugeschnittene Angebot mehr als übersichtlich ist.
Es gibt aber auch Unternehmen, die die Bedürfnisse von Sportlerinnen längst erkannt haben und vorne anstellen. So hat das interne Forschungsteam beim Fahrradhersteller Ergon mittels Röntgenaufnahmen und Computertomografie die Notwendigkeit spezieller Frauen-Sättel bewiesen und auf den Markt gebracht. Wegen der meist kürzeren Oberkörper und Arme von Frauen wurden auch die Rahmengeometrien der Mountainbikes und Rennräder entsprechend angepasst.
Dieser anatomischen Besonderheit ist man sich auch bei Deuter bewusst und hat eine Rucksack-Kollektion entwickelt, die mit kürzerer Rückenpartie und schmäleren Schulterträgern perfekt auf die weibliche Anatomie zugeschnitten ist. Fußballerinnen werden auf der Suche nach passendem Schuhwerk beim Label IDA fündig, das für Männer keinen einzigen Artikel im Sortiment hat. „Frauen haben lange genug gewartet, dass sie von der Sportbranche priorisiert werden“, begründet die Labelgründerin Laura Youngson.
LaMunt ist eine der ersten Bergsportmarken, die ihr Sortiment speziell auf Frauen ausgelegt hat. Bei einer Studie fand die Oberalp Gruppe, zu der LaMunt gehört, heraus, dass Frauen Berge nicht "erobern" möchten, sondern den Fokus auf das Erleben der Natur setzen. Neben der Funktionalität haben für Frauen Komfort und Passform von Sportbekleidung und -ausrüstung hohe Priorität. Hinsichtlich bestehender Kollektionen zeigte sich, wo aktuell die Probleme liegen: Bergschuhe und Hosen gehören zu den Artikeln, die bei Frauen am wenigsten gut ankommen, meist wegen ihrer Passform. LaMunt war geboren.
Sportswear-Kollektionen speziell für Frauen sind auch deshalb so wichtig, weil sie Sportlerinnen eine Wahl ermöglichen, die leider nicht selbstverständlich ist. Frauen sind im Sport immer noch unterrepräsentiert – sowohl in der Bekleidungs- und Equipmentbranche, als auch in der aktiven Ausübung vieler (Profi-)Sportarten. Der Zusammenhang liegt auf der Hand, denn es sind in erster Linie Frauen, die die Sportbranche weiblicher machen.
Es reicht nicht aus, Sportswear pink einzufärben oder mit Blümchenmuster zu bedrucken, um Frauen am Sport teilnehmen zu lassen. Auch Unisex-Kollektionen sind nur ein gut gemeinter Gegenentwurf. Zwar wirklichen sie sicherlich falschen Körperidealen entgegen, wirklich ermächtigend sind sie dennoch nicht. Die weibliche Anatomie bringt offensichtlich spezielle Anforderungen mit sich, die viel mehr Aufmerksamkeit verdient haben – aus gesellschaftlicher Verantwortung, aber auch weil der Markt große Chancen bietet.
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