ISPO.com: Wann sollten Sportler beginnen, sich nach einer Verletzung auf den Neustart vorzubereiten?
Heiko Ziemeinz: Schön ist zunächst, wenn zum Beispiel nach einer Bandverletzung im Knie die Diagnose so eindeutig ist, dass Therapieplan und Reha feststehen. Dann kann man einschätzen, wann man wieder Sport ausüben kann, wenn keine Komplikationen eintreten. In Absprache mit Trainern, Physiotherapeuten und Ärzten setzt man sich bestimmte Ziele für die Reha. Dann ist Licht am Ende des Tunnels. Dadurch fällt es leichter, die Motivation aufrechtzuerhalten, um sich konsequent auf das Comeback vorzubereiten. Das setzt aber auch voraus, dass man es als lohnenswert empfindet. Ein 38-jähriger Kreisligafußballer wird sich überlegen, welchen Aufwand er nach einer schweren Verletzung betreibt. Man sollte sich nach dem emotionalen Wert fragen, den der Sport für einen hat: Tut es mir gut? Empfinde ich Freude dabei? Dann kann man den Entschluss fassen: Betreibe ich diesen Aufwand oder lasse ich es sein?
Und wenn die Diagnose nicht so eindeutig ist und das Licht am Ende des Tunnels vorerst fehlt?
Dann wird es deutlich schwieriger. Auch hier gilt es zunächst, einen Fahrplan für die nächsten Schritte aufzustellen: Wer kann diesbezüglich noch kontaktiert werden bzw. wo kann ich mir noch Rat einholen? Außerdem sollte man abklären, was man im Moment unabhängig von der Verletzung noch machen kann, ob man zum Beispiel an Schwächen im Bereich Core oder Stabilität arbeiten darf.
Gesetzt den Fall, man hat eine langwierige Knieverletzung und es dauert Monate bis zur Genesung – gibt es Strategien, sich über einen längeren Zeitraum zu motivieren?
Ja, in der Motivationspsychologie definiert man zunächst den Tag X, an dem man wieder „ready to play“ ist, wie man im Fußball sagt. Dann füllt man den gesamten Zeitraum mit Zwischenzielen. Die Zielsetzungen sollten nach der „SMART“-Regel erfolgen. Das bedeutet:
- Das Ziel muss spezifisch sein – also ich möchte etwa nach einem Kreuzbandriss mein Knie zu einem gewissen Datum wieder um so und so viele Grad beugen können.
- Das Ziel muss messbar sein, in unserem Beispiel wäre das der Winkel der Kniebeugung.
- Das Ziel muss anpassbar sein – es kann ja immer etwas dazwischenkommen, zum Beispiel ein Infekt.
- Das Ziel soll realistisch sein. Nach einem Kreuzbandriss kann man beispielsweise nicht nach drei Monaten wieder Fußball spielen.
- Das Ziel muss termingebunden sein. Man braucht also genau definierte Zeiträume, bis man gewisse Etappen erreicht hat.
Um den Neustart geht es auch in der Coronakrise oft, meist aus wirtschaftlicher Sicht. Können diese Strategien aus dem Sport auch in anderen Bereichen angewendet werden? Was raten Sie zum Beispiel einem Sporthändler, der einen Neustart angeht?
Letztendlich sind die Erwägungen dieselben: Lohnt sich der Neustart? Ist er wirtschaftlich sinnvoll? Hängt mein Herz dran, ist es mir wirklich wichtig? Oder hatte ich auch vorher schon erwogen, das Geschäft aufzugeben? Entscheidet man sich für den Neustart, sollte man wie ein Sportler Pläne machen und Ziele entwickeln – bei aller Unsicherheit, die gerade herrscht. Aber es geht nicht anders, als sich Pläne zu erstellen, Ziele zu setzen und nach diesen Zwischenetappen zu entscheiden, in welche Richtung man weitergeht.
Welche Methoden gibt es neben SMART noch?
Viele Sportler visualisieren sich den Weg bis zu ihrer Rückkehr, indem sie eine „Road to Comeback“ aufzeichnen. Die verschiedenen Zwischenziele und das Erreichen dieser können Gegenstand von Visualisierungssitzungen sein, bis zur Visualisierung des eigentlichen Comebacks. Fußballer stellen sich dann zum Beispiel vor, wie sie erstmals wieder eingewechselt werden und die ersten Minuten spielen. Das ist für die Athleten sehr einprägsam.
Was passiert dann am Tag X?
Es ist gut, wenn man diese Situationen schon Wochen vorher visualisiert. Man kann sich auch bestimmte innere Dialoge vorstellen, die man dann zu sich sagen wird, zum Beispiel: „Bleib ruhig!“ oder „Gehe in den ersten Zweikampf, als sei nie etwas gewesen!“. Wenn man die Dinge vorher immer wieder durchspielt und die Visualisierung so gestaltet, dass es positiv ist, was da passiert – dann ist man gut vorbereitet.
Wie geht man mit der Angst vor einer neuerlichen Verletzung um?
Das geht in die gleiche Richtung. Man sollte sich immer wieder vorstellen, dass die Dinge gut verlaufen. Aber man sollte auch gegenkonditionieren und auf den Moment der Verletzung ein anderes Bild draufpacken, das das ursprüngliche Bild überdeckt. Auch durch entsprechende Übungsformen im Training gewinnt man Vertrauen zurück.
Es gibt viele Beispiele für häufig verletzte Profisportler, die sich immer wieder nach schweren Verletzungen zurückkämpfen. Wie gelingt ihnen das?
Der Sport muss für sie so einen großen Wert darstellen, dass sie Strategien entwickelt haben, um sich immer wieder neu durch die Rehamaßnahmen zu quälen. Mit der Zeit haben sie aber auch Erfahrungen gesammelt, dass diese Strategien gut funktionieren – bei ihrer ersten Verletzung ist die Unsicherheit der Athleten dagegen oft viel größer. Bei Basketballern, die häufiger mit komplexen Knieverletzungen zu tun haben, wird beispielsweise ein Plan für die kommenden Wochen oder Monate entworfen, in dem die genauen Schritte der Reha festgelegt werden. Dies beinhaltet auch die Anwendung sportpsychologischer Trainingsverfahren, beginnend mit Konzentrations- und Visualisierungsübungen bis hin zu Angstbewältigungstraining und/oder mentalem Training.
Hilft die SMART-Methode auch, wenn man einen Karriereknick oder ein Motivationstief hat?
Das kann man nicht pauschal beantworten. Die Gründe können sehr vielschichtig sein. Wenn man im Wettkampf nicht in der Lage ist, seine Leistung abzurufen, kann das physiologische Ursachen haben. Es kann an falschem Training liegen oder psychologische Ursachen haben, dass man zum Beispiel zu viel will. Oder es gibt Probleme im sozialen Umfeld, oder der Trainer hat falsch beraten usw. Es können aber auch tiefergehende Ursachen sein, wie der Beginn einer depressiven Verstimmtheit. Je nachdem, was die Ursache ist, ist die Herangehensweise eine andere.
Gibt es für solche Situationen Strategien, sein „Mindset“ ähnlich zu trainieren, wie man seine Muskeln trainiert?
Wie gesagt, die Ursachen für ein solches Tief können ganz vielfältig sein. Letztendlich kann der Athlet aber dahin geschult werden, „das Glas eher als halb voll denn als halb leer zu sehen“. Sprich, ich schaue mir generell erst einmal die Dinge an, die gut waren und fokussiere mich nicht so sehr auf die Dinge die schlecht liefen bzw. waren.
Wie gelingt es häufig verletzten Sportlern wie früher Arjen Robben oder aktuell Marco Reus, sich immer wieder zurückzukämpfen?
Ich kenne deren genaue Strategien nicht, aber sie scheinen erfolgreich zu sein. Sie schaffen es selbst nach schwerwiegenden Verletzungen immer wieder, zurückzukehren. Das Fußballspielen scheint für sie so einen großen Wert darzustellen, dass sie für sich Strategien entwickelt haben, sich immer wieder neu durch die Rehamaßnahmen zu quälen. Mit der Zeit haben sie aber auch Erfahrungen gesammelt, dass ihre Strategien gut funktionieren. Bei ihrer ersten Verletzung ist die Unsicherheit bei den Athleten oft viel größer.
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