Nach fünf Wochen Shutdown im stationären Handel liegt jetzt eine Menge Ware in den Lagern. Was soll passieren mit der Ware, die eigentlich im März und im April verkauft werden sollte und jetzt zu den warmen Temperaturen nicht mehr passt? Ist sie noch aktuell, und wenn ja, wie lange? Und wie geht es weiter mit dem Saisonverlauf? Auf all diese Fragen müssen jetzt Antworten gefunden werden. Vor allem darauf: „Wie schaffen wir es, dass es für beide Seiten ok ist?“ sagt Irina Andorfer, Verkaufsleiterin Dynafit Deutschland und Österreich. Klar ist: Der Schaden ist groß bei Industrie und Handel. Beide Seiten stehen jetzt im aktiven Austausch um partnerschaftliche Lösungen zu finden. Eine Standardlösung für alle Sortimente gibt es leider nicht.
Als kurz nach der allgemeinen Schockstarre klar wurde, dass die Situation andauern würde, gehörte Salewa zu den ersten Herstellern, die sich mit der Idee offen an die Branche wandten, große Teile der aktuellen Sommerkollektion ins nächste Jahr zu verschieben. Das Ziel: Die Ware soll ihren Wert behalten und nicht vorschnell im Sale landen. Viele Hersteller und Händler haben den Gedanken inzwischen aufgegriffen: Dynafit will 80 Prozent der aktuellen F/S 2020 Kollektion aus den Bereichen Apparel, Footwear und Equipment ins kommende Jahr übertragen, bei La Sportiva wird die neue Kollektion S/S 2021 zu 90 Prozent aus der aktuellen Kollektion 2020 bestehen. Und auch Ortovox reduziert laut Geschäftsführer Christian Schneidermeier die Anzahl der neuen Produkte und verlängert die Laufzeiten bestehender Styles. „So müssen die Produkte nicht in den Sommer-Schlussverkauf, weil sie auch im nächsten Jahr noch aktuell sind - und wir wirken der Lagerabwertung entgegen“, erklärt Dynafit-Geschäftsführer Benedikt Böhm.
Im Handel findet die Maßnahme Beifall: „Das ist eine sehr sinnvolle Möglichkeit Druck rauszunehmen“, sagt z.B. Marcus Trute, Geschäftsführer vom Multichannel Händler Keller Sports aus München. Auch Stefan Herzog, Generalsekretär beim Verband des Deutschen Sportfachhandels (VDS) und als Ex-SportScheck-Chef Kenner der Branche, sieht das so: „Es wäre wünschenswert, wenn Industrie und Handel jetzt gemeinsam diese Verschiebung machen würden und partnerschaftliche Lösungen finden, wie Warenversorgung und Warenströme geregelt werden und Lagerkosten getragen werden können.“
Das Problem ist, dass es auch im Sport inzwischen viele Kategorien gibt, die sehr modisch sind und damit tendenziell ungeeignet, einfach fürs nächste Jahr auf Halde gelegt zu werden. Marcus Trute: „Diese Vorgehensweise eignet sich nur für Sortimente, die nicht so stark innovationsgetrieben sind.“ Bei Athleisure, Running, Bike und Sneakern spielen modische Trends jedoch eine wichtige Rolle. Das gleiche gilt für Trikots, auch sie können nicht einfach ins nächste Jahr verschoben werden. „Wir haben viele Händler mit Stammkundschaft“, sagt Klaus Haas, Geschäftsführer von Maloja, „die wollen auch im nächsten Jahr ihren Kunden etwas Neues anbieten. Außerdem ist alles längst entwickelt, eine Verschiebung würde uns keine Kosten sparen.“ Zudem sind Running und Bike Sportarten, die von der Krise profitiert haben, auch wenn davon nicht alle Händler etwas hatten. „Im Bikebereich stellt sich die Frage der Sortimentsverschiebung gar nicht, die Nachfrage ist ungebrochen hoch. Die Google-Suchanfragen für Bikes, Bekleidung und Zubehör haben sich verdreifacht“, sagt Marcus Diekmann, Geschäftsführer von Multichannel-Händler Rose Bikes aus Bocholt. „Fahrräder sind gerade sehr interessant für die Leute. Geld, das jetzt in der Corona-Pandemie z.B. nicht für Reisen ausgegeben werden kann, geht in den Bikesport.“ Onlinehändler wollen die Ware jetzt verkaufen und nächsten Sommer wieder frische Looks.
Um noch möglichst viel aufgelaufene Ware verkaufen zu können, soll die aktuelle Sommersaison zusätzlich in die Länge gezogen werden. Das verschafft allen mehr Zeit zum Verkaufen, mehr Liquidität und berücksichtigt auch die späten F/S 2020 Liefertermine, die jetzt mit der Öffnung der Läden ja wieder ausgeliefert werden können. „Eine Saisonverlängerung bis Ende August, vielleicht sogar noch in den September hinein, würde helfen, den Schaden aus dem F/S zu verkleinern“, sagt Thomas Ganter, Geschäftsführer vom Mode- und Sporthaus L&T in Osnabrück. Das bedeutet jedoch auch, dass die Wareneingänge für die kommende H/W Saison nach hinten verschoben werden müssen. „Die aktuelle Krise ist auch eine Chance, den Wareneingangsverlauf näher an den Saisonverlauf zu koppeln. Für einen großen Teil der Einzelhändler wäre dies sicher eine sinnvolle Maßnahme“, erklärt Ganter weiter. Die Idee ist nicht ganz neu: Die Branche diskutiert schon lange über eine Anpassung der Saisons. Macht es wirklich Sinn, schon im August die Winterkollektionen anzubieten? Andere wiederum befürworten die Verschiebung des Winters nur bei einzelnen Produktgruppen und halten sie angesichts der beeinträchtigen Lieferketten ohnehin für nicht beeinflussbar.
Die aktuelle Situation ist eine Herausforderung für alle Seiten. „Jeder Hersteller braucht eine neue Justierung. Was eigentlich schon abgeschlossen war, muss jetzt nochmal neu entschieden werden“, sagt Marcus Trute von Keller Sports. „In der Situation sind jetzt alle.“ Tatsächlich sind Industrie und Handel jetzt gefordert, gemeinsam tragfähige Lösungen zu finden. „Die Frage ist: Worüber sprechen jetzt Industrie und Handel? Nur über Stornos und Valuta, oder diskutieren sie perspektivisch und ziehen echte Learnings aus der Krise?“ sagt Stefan Herzog vom VDS. Er wünscht sich auch im Hinblick auf mehr Nachhaltigkeit eine Diskussion darüber, ob die Anzahl der Liefertermine und Zwischenkollektionen gerechtfertigt ist. „Wir haben den Konsumenten dahin erzogen, dass er möglichst schnell etwas Neues haben will“, sagt Marcus Trute von Keller Sports. „Aber es macht Sinn, Überlegungen anzustellen, wo man den Druck und das Tempo rausnehmen kann, wie man Zyklen überdenken und wieder margenschonender verkaufen kann.“
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