- Problemzone: Homosexualität im Männersport
- Stereotypes Männerbild im Sport
- Diskriminierung verhindert Teilhabe
- Transgender-Regeln werden verschärft
- LGBTQ+ Akzeptanz im Sport: Großes beginnt im Kleinen
- Gesetz über Selbstbestimmung – keine Lösungen für den Sport
- Hoffnungsträger machen sich für Antidiskriminierung stark
- Geschlechterinklusiv: Sport ist für alle da!
Ein Jugendtrainer sagte Søren Dahl einst, dass er nie als Schwimmer erfolgreich sein werde, wenn er sich als schwul outete. Einige Jahre später erwähnt der Däne diese Story in einem TikTok-Video – im Hintergrund laufen Bilder von seiner Teilnahme an den Olympischen Sommerspielen 2016 in Brasilien. Also Happy End? Für den offen schwulen Dahl vielleicht. Doch die Geschichte vom Kampf queerer Sportler*innen gegen Diskriminierung ist noch lange nicht zu Ende.
Die Olympischen Spiele sind Vorbild für den gesamten Weltsport und werden für den enorm wichtigen Beitrag zu queerer Sichtbarkeit im Spitzensport gelobt. Aber während auf der einen Seite Fortschritte gefeiert werden, geben Rückschritte auf der anderen zu denken. Denn (vor allem) im Leistungssport werden bei LGBTQ+ Sportlern und Sportlerinnen erhebliche Unterschiede gemacht: Queer ist nicht immer gleich queer.
Bei den Sommerspielen 2021 in Tokio haben sich achtmal mehr Frauen als Männer offiziell zu den LGBTQ+ Sportler*innen gezählt. Bis heute sind es nur wenige aktive männliche Spitzensportler, die ihre Homosexualität öffentlich machen: Neben Olympia-Schwimmer Dahl ist das beispielsweise sein Freund und Footballprofi Carl Nassib, seit seinem Outing im Juni 2021 der einzige bekannte homosexuelle Spieler in der NFL. Auch im Männerfußball ist der offene Umgang mit Homosexualität ein Problem. Während bei Olympia Fußball die Sportart mit den meisten geouteten queeren Spielerinnen war, outeten sich weltweit bislang nur eine Handvoll Profi-Fußballer:
Das erste tragische Beispiel – was sicher viele Sportler vom Coming-out abhielt – war das von Justin Fashanu 1990. Seine Karriere litt extrem unter seiner sexuellen Orientierung: Nach Jahren der Verachtung und einer Hetzjagd durch die Presse, nahm er sich mit nur 37 Jahren das Leben. Erst im Herbst 2021 outete sich mit Joshua Cavallo vom australischen Erstligisten Adelaide United der zweite aktive Profifußballer als schwul. 2022 folgten die ersten europäischen Kicker: Jake Daniels vom FC Blackpool und der Schotte Zander Murray. Zuletzt machte der tschechische Profi Jakub Jankto seine Homosexualität öffentlich – und damit Schlagzeilen. Was den Kern des Problems beschreibt: Coming-outs sind im Männerfußball ein Riesenthema. Auf die Frage nach dem Warum, werden oft Berater und das Umfeld als ausbremsende Faktoren genannt. Selbst der frühere DFB-Kapitän Philipp Lahm rät LGBTQ+ Fußballern in seinem 2021 erschienenen Buch "Das Spiel. Die Welt des Fußballs" davon ab, sich während ihrer aktiven Karriere zu outen. Grund dafür sei die fehlende Akzeptanz sowohl in der Bundesliga als auch bei den Fans in den Stadien.
Doch warum unterscheidet sich der Umgang mit Homosexualität im Frauen- und Männersport so gravierend? Dr. Birgit Braumüller, Wissenschaftlerin und Lehrkraft am Institut für Soziologie und Genderforschung der Deutschen Sporthochschule Köln, erklärt im Interview mit der Deutschen Olympischen Gesellschaft: Der Sport gelte als letzte Domäne, wo ein männlich-konnotiertes Verhalten akzeptiert wird. Das mache es für Personen, die dem Männerbild nicht entsprechen – besonders in stereotypen Männersportarten wie Fußball oder Handball – schwieriger, teilzuhaben. „Die Gedankenstruktur, die schwulen Sportlern eine Nähe zur Weiblichkeit unterstellt, spricht ihnen ab, in einem körperlichen und kraftbetonten Sport zu reüssieren.“ Bei Frauen sei das genau andersherum: „Wenn man in die Geschichte blickt, gehören Frauen qua Geschlecht nicht zum Sport. Lesbische Sportlerinnen, denen oft eine Nähe zu typisch männlichen Eigenschaften und Verhaltensweisen zugesprochen wird, passen daher ein stückweit besser zum Sport.“
Sportbranche öffnet sich nur teilweise gegenüber LGBTQ+ Personen
Neben dem unterschiedlichen Umgang mit homo- und bisexuellen Männern und Frauen, haben es Personen, die nicht in das binär geprägte Geschlechtersystem passen, besonders schwer: Transsexuelle, intersexuelle und nicht-binäre Menschen. Mit den ungleichen Entwicklungen hinsichtlich der Akzeptanz der sexuellen Orientierung und der Geschlechtsidentität beschäftigt sich u. a. die „Sports Media LGBT+“ – ein Netzwerk, welches sich für Inklusion in der Sportmedienbranche und im Sport im Allgemeinen einsetzt.
Nach wiederholten Befragungen von Mitarbeiter*innen in den Sportmedien deuten die Ergebnisse darauf hin, dass die Branche in den vergangenen Jahren zwar LGBTQ+-inklusiver geworden ist. Es bleiben jedoch große Herausforderungen bestehen, insbesondere für trans- und nicht-binäre Menschen: Die Sichtbarkeit von LGBTQ+ Menschen in der Branche steigt und scheinbar auch die Akzeptanz gegenüber Lesben, Schwulen, Bi- und Pansexuellen. Bezogen auf die Geschlechtsidentität ist jedoch der Prozentsatz der Befragten gestiegen, die der Meinung waren, dass die Sportbranche bei der Inklusion von transsexuellen oder nicht-binären Menschen hinter den Erwartungen zurückbleibt.
Ausgrenzung und Diskriminierungserfahrungen von LGBTQ+ Sportler*innen werden im Rahmen der ersten flächendeckenden europäischen Untersuchung der Sporthochschule Köln bestätigt: Die Ergebnisse der Studie „Outsport – Sexuelle Orientierung, Geschlechtsidentität und Sport“ für Deutschland zeigen, dass 20 Prozent der LGBTQ+ Befragten ihre Sportarten nicht ausüben – aus Angst vor Diskriminierung, Ausschluss oder negativen Kommentaren. Insbesondere Trans-Personen (56 %) und hier vor allem Transmänner (73 %) fühlen sich aufgrund der Geschlechtsidentität von bestimmten Sportarten ausgeschlossen. Fast alle befragten Sportler und Sportlerinnen (96 % und 95 %) sind sich einig: Homo- und Transphobie sind im Sport ein Problem. 16 % der Studienteilnehmer*innen haben in den letzten 12 Monaten persönliche negative Erfahrungen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität gemacht – besonders aber trans Personen (40 %).
Hinzu kommen die weltweiten Debatten um Transgender-Athlet*innen. Während viele Sportverbände noch um Lösungen ringen, haben andere ihre Regeln sogar verschärft. Nachdem der Weltschwimmverband FINA im Juni 2022 neue Regelungen für Trans-Athletinnen veröffentlichte, folgte die International Rugby League mit dem Ausschluss von Transfrauen von internationalen Frauenwettbewerben. Im März dieses Jahres schloss sich der Leichtathletik-Weltverband World Athletics (WA) den Beschränkungen der FINA an: Transgender-Frauen dürfen nicht mehr in Weltranglistenwettkämpfen für Frauen antreten, wenn sie die männliche Pubertät durchlaufen haben – unabhängig vom Testosteronspiegel. Auflagen, die faktisch kaum eine transsexuelle Sportlerin erfüllen kann.
Wie die sportartspezifischen Regelungen aussehen, wird den Verbänden überlassen. Der Leichtathletik-Weltverband habe sich intensiv beraten lassen – auch von Transgender-Gruppen. „Viele sind der Meinung, dass es keine ausreichenden Beweise dafür gibt, dass Transfrauen keine Vorteile gegenüber biologischen Frauen haben“, erklärte WA-Präsident Sebastian Coe. Die Tendenz geht zu immer strengeren Grenzwerten. Auch der Radsport-Weltverband UCI aktualisierte seine Transgender-Zulassungsregeln mit strengeren Testosteron-Grenzwerten und verlängerte die Übergangszeit von zwölf auf 24 Monate. Ein FIFA-Sprecher bestätigte der Deutschen Presse-Agentur, dass der Fußball-Weltverband seine geschlechtsspezifischen Zulassungsbestimmungen ebenfalls überarbeite. Offen ist, ob die FIFA sich die neuen Regularien von FINA & Co. zum Vorbild nimmt.
Doch nicht nur die neuen Regeln der internationalen Sportverbände geben Anlass zur Beunruhigung. Auch böswillige politische Diskurse und neue diskriminierende Gesetze – wie das kürzlich unterzeichnete „Don’t Say Gay“-Gesetz, welches Grundschulen im US-Bundesstaat Florida Bildung über Homosexualität verbietet. Zuvor hatten bereits viele US-Staaten, darunter Oklahoma, Arizona, Iowa und Florida Gesetze erlassen, die Transgender-Frauen an öffentlichen Schulen die Teilnahme an Frauensport verbietet. Andere republikanische Staaten haben sich die „Anti-Trans-Politik“ zum Vorbild genommen und ähnliche Gesetzesvorhaben eingebracht.
Umso wichtiger ist es, den Vielfaltsgedanken im Sport zu stärken, aufkeimende Transfeindlichkeit zu ersticken und das Thema in die breite Bevölkerung zu tragen. Dabei sollten sich Unternehmen, Marken und Sportverbände nicht darauf ausruhen, dass Regenbogenbinden getragen und Flaggen aufgehängt werden, betont auch Dr. Birgit Braumüller. Es muss Aufklärung und Sensibilisierung stattfinden, noch bevor homophobe, transfeindliche und sexistische Tendenzen sich verfestigen, idealerweise schon beim ersten Vereinssport. „Sportvereine und Trainer*innen können durch eine klare Haltung gegenüber Vielfalt eine Willkommenskultur erschaffen, die Grundlage für ein gemeinsames, diversitätssensibles Miteinander ist“, erklärt Lena Sieberg, Referentin für Diversität der Deutschen Sporthochschule Köln. Doch aufseiten der Institutionen und Organisationen herrscht viel Verunsicherung. Es fehlt an Hintergrundwissen sowie Handlungsoptionen, um der Vielfalt der Geschlechter gerecht werden zu können.
Deswegen ist es notwendig, ins Gespräch zu kommen, Personal zu schulen, Wissenslücken zu füllen und Sportlehrer*innen in Schulen, Universitäten und Sportvereinen mehr Handlungssicherheit zu geben. Im Rahmen der Umfrage von „Sports Media LGBT+“ wünschten sich die Befragten eine stärkere Einbindung und Ermutigung der LGBTQ+ Mitarbeitenden sowie eine spezifische LGBTQ+ Bildung in den Nachrichtenredaktionen. Sportvereine und Trainer*innen können sich u. a. an der Charta für geschlechtliche Vielfalt im Sport orientieren. Sieberg fügt hinzu: „Ein erster einfacher Schritt kann sein, trans*, inter* und nicht-binäre Personen explizit auf der Homepage willkommen zu heißen. Natürlich beginnt der Lauf erst mit diesem Schritt und endet nicht damit.“
In Deutschland liegt der Entwurf für das „Gesetz über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag (SBGG)“ vor. Mit dem Selbstbestimmungsgesetz sollen transgeschlechtliche, intergeschlechtliche und nicht-binäre Personen die Möglichkeit erhalten, ihr Geschlecht durch einheitliche und einfache Regelungen zu ändern. Womit das menschenrechtswidrige Transsexuellengesetz von 1980 endlich vollständig der Vergangenheit angehören wird. Ein Befreiungsschlag für LGBTQ+ Personen, die sich nicht mit ihrem zugewiesenen Geschlecht identifizieren können.
Mit dem Gesetz zur Selbstbestimmung wird das selbstempfundene Geschlecht maßgeblich, man löst sich von der rein körperlichen Geschlechtsdefinition. Doch genau das ist das Spannungsfeld, welches bei sportlichen Wettkämpfen Fragen aufwirft, in denen die körperliche Beschaffenheit bedeutsam ist. Das Selbstbestimmungsgesetz regelt ausschließlich den Geschlechtseintrag im Personenstandsregister. Es beinhaltet keine Regelungen für Organisationen, Sportverbände oder Vereine. Wer rechtlich als Frau gilt, hat also noch kein Recht, in einer Frauenmannschaft aufgenommen zu werden.
Unumstritten ist, „dass der Sport Wege finden muss, Menschen, die derzeit noch ausgeschlossen und diskriminiert werden, eine gleichberechtigte Teilhabe zu ermöglichen“, so Sabrina Huber, Referentin Geschlechtergleichstellung im Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB). „Dass es Möglichkeiten gibt, zeigen uns Verbände wie der Deutsche Hockey-Bund oder der Deutsche Fußballbund, ebenso Vereine wie z. B. Seitenwechsel e. V., ein Sportverein für FrauenLesbenTrans*Inter* und Mädchen.“ Formate wie die BundesNetzwerkTagung des queeren Sports (BuNT) bringen unterschiedliche Stakeholder*innen zusammen, sensibilisieren und zeigen niedrigschwellige Lösungsansätze auf. Gemeinnützige LGBTQ-Aktivitätsgruppen wie „Athlete Ally“ in den USA schulen Sportgemeinschaften und üben mit starken Kampagnen erfolgreich politischen Druck auf globale Sportverbände aus. Die steigende Zahl der engagierten Organisationen, Sportverbände, Fanprojekte und Spitzensportler*innen, die sich für eine Sportkultur einsetzen, die für alle Geschlechter und sexuelle Identitäten offen steht, macht Hoffnung.
Anna Katharina Mangold, Professorin an der Europa-Universität Flensburg, äußert sich zur Gender-Problematik im erfolgreichen deutschen Podcast „Lage der Nation“ (Folge 335) mit klaren Forderungen: „Für den sportlichen Wettkampf müssen Leistungsklassen für physiologische Unterschiede entwickelt werden, damit Vergleichbarkeit hergestellt werden und ein fairer Wettbewerb stattfinden kann.“ Jeder Sportverband sollte sich Kriterien überlegen und für jede einzelne Disziplin genau prüfen: Wo stellt sich ein Regulierungsbedarf? Wozu brauchen wir den Bezug auf das Geschlecht? Dafür könne man durchaus biologische Unterschiede definieren, die für eine Sportart und Leistungsklasse relevant sind. „Und da wird der Deutsche Schachverband sicher zu anderen Ergebnisse kommen als der Deutsche Fußballbund oder die Leichtathletik.“
Sabrina Huber vom DOSB findet außerdem, dass man im Breitensport flexibler agieren kann. Zum einen seien Vereine und Verbände nicht an die Vorgaben ihrer internationalen Dachverbände gebunden, zum anderen gehe es primär um den Spaß am Sport: „Auch wenn die persönliche Bestleistung angestrebt wird, befinden wir uns nicht im Zentisekunden- oder Millimeter-Bereich. Der Sport ist für alle da. Es gibt bereits gute Beispiele in Vereinen, wie geschlechterinklusiv Sport betrieben werden kann und davon können wir lernen. Doch es braucht mehr Beispiele, mehr kreative Ideen und Versuche jenseits des Status Quo. Wenn es neue Sportarten in den Mainstream schaffen, dann können das auch neue Ansätze der Leistungsbewertung.“
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