Die Fitnessbranche wächst und wächst. 2020 soll etwa in Oberhausen die größte Fitnessplattform der Welt an den Start gehen. „The Mirai“ heißt das Projekt des McFit-Gründers Rainer Schaller, der auf einem 55.000 Quadratmeter großen Areal Fitnessgeräte, Laufbahnen oder Yoga anbieten will.
Doch die Fitnessbranche arbeitet nicht nur mit neuen eigenen Konzepten, sondern bekommt auch neue Kunden, die betreut werden wollen: Betriebe schicken ihre Mitarbeiter zur Fitness, um sie gesund im Berufsleben zu halten. Senioren wollen ebenfalls gesund bleiben und vertrauen mittlerweile auf die Fitnessstudios. Prof. Dr. Niels Nagel, Head of Office des Deutschen Industrieverbandes für Fitness und Gesundheit (DIFG), spricht über die Herausforderungen der Branche. Also darüber, wieso die Digitalisierung auch im Fitnessbereich immer wichtiger wird, aber auch warum die nächste große Aufgabe eher analog zu lösen ist.
ISPO.com: Wie geht es denn der Fitnessbranche?
Niels Nagel: Basierend auf einer wachsenden gesellschaftlichen Relevanz von Fitness wächst die Branche in allen wesentlichen Marktsegmenten. Das gilt damit auch für die Fitnessclubs als das Fundament der Fitnessbranche. Hier erleben wir eine nachfrageinduzierte Ausdifferenzierung der Business-Modelle, wie wir in der Entwicklung der neuer Boutique-Konzepte oder an neuen Marktsegmenten wie Outdoor-Fitness, Betriebsfitness oder Fitness als Teil des Schulunterrichts sehen.
Welches Marktsegment sticht denn dabei besonders heraus?
Wenn ich die Frage darauf beziehe, welche Angebotsformen für den Fitnessmarkt eine besonderes hohe Relevanz haben, kann man Folgendes feststellen: Aus Sicht des Endkunden sind es neben digitalen Hilfsmitteln wie Apps, Wearables Trends wie HIIT (Hochintensives Intervalltraining), Functional Training und auch das Training in der Gruppe. Für die Fitness-Clubs sind sicher die Themenfelder besonders bedeutsam, die den präventiven Gesundheitsmarkt fokussieren. Hierzu zählen zum Beispiel bewegungsorientierte Gesundheitsförderung auch in Betrieben.
Erwächst den Fitnessstudios damit nicht ein unerwarteter Marktgegner?
Nein, im Gegenteil. Die Fitnessstudios haben hier rechtzeitig reagiert. Das Thema betriebliche Gesundheitsförderung, z. B. in Form von Firmenfitness gilt in der Branche derzeit sogar als einer der großen Wachstumstreiber, um neue Mitglieder zu gewinnen und neue Menschen zu erreichen. Es gibt dort unterschiedliche Ansätze:
- Angebote, durch die eine Firma Zugriff hat auf einen großen Verbund von Studios. Das heißt, die Mitarbeiter können gerade da trainieren, wo sie sich befinden, in der Nähe des Arbeitsplatzes, des Zuhauses oder auf Dienstreise.
- Oder den neuen Trend, dass dieses Angebot nicht nur beschränkt wird auf das Fitness-Training. Das heißt, der Anspruch ist in dem Zusammenhang, vielleicht heute in einem Fitnessstudio zu trainieren, morgen schwimmen zu gehen, übermorgen Golf spielen zu gehen oder andere Freizeitangebote zu nutzen, die in Rahmenvereinbarungen integriert sind.
- Ein weiterer Trend ist, dass Firmen die Geräte auf dem Arbeitsgelände installieren, damit die Mitarbeiter kurz vor dem Beginn der Arbeit oder kurz danach trainieren können. Mit wenig Zeitaufwand haben sie so ein Basistraining.
Das klingt nach guten Nachrichten. Aber als Head of Office des DIFG sind Sie doch auch mit Sorgen und Nöten konfrontiert.
Es gibt natürlich immer wieder Herausforderungen. Positiv ist, dass Herausforderungen die Triebfeder für Innovation und Qualitätsentwicklung sein können. Allen voran war in diesem Jahr eine Hauptherausforderung die Berücksichtigung der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO). Aus Sicht der Industrie kann ich allerdings sagen, dass diese Herausforderung rechtzeitig erkannt und angenommen wurde.
Ihre Industrie verfügt über eine Masse an Kundendaten – ein sensibles Terrain.
Ja, es sind viele Daten, viele Stellen, an denen Daten aufgegriffen werden und diese müssen im Sinne der DSGVO und der Kunden sorgsam verarbeitet werden. Aber darauf hat sich die Industrie eingestellt. Und sie leistet auch Unterstützung für die Fitnessanbieter, um diese intensiv mit Konzeptlösungen für die Umsetzung der DSGVO zu unterstützen.
Ein konkretes Beispiel bereitet gerade Sorgen in Ihrer Branche. Was bedeutet denn das Schlingern der Firma Kettler für den Markt?
Die Entwicklung bei Kettler ist nicht repräsentativ für den Markt. Trotzdem ist Kettler eine wichtige Marke mit hoher Endkundenrelevanz. Deshalb ist es grundsätzlich positiv, wenn Kettler auf einen Erfolgskurs zurückkehrt.
Die Probleme der Firma bilden also nicht den Markt ab?
Nein, der Fall steht für sich. Der DIFG erhebt seit Jahren quartalsweise einen Branchenklimaindex. Und dieser Indexwert zeigt für 2018 bisher eine positive Entwicklung sowohl innerhalb der einzelnen Industriepartner als auch im Hinblick auf die Marktentwicklung.
Wo stecken im neuen Jahr die großen Ideen und Weiterentwicklungen im Fitnessbereich?
- Zum einen erleben wir den Trend zur Eventisierung von Fitness als FitnessSport, wie z.B. beim Projekt Hyrox (Fitness-Competition in neun Städten in Deutschland und Österreich). Aus dem Clubbusiness hinaus wird Fitness verstärkt medial Öffentlichkeit präsentiert.
- Das zweite ist, dass wir Fitness als eine Form von Kultur erleben, in der Menschen sich zu Gruppen zusammenschließen.
- Im Bereich der Marketingkommunikation wird die Bedeutung von Influencern größer.
- Die Politik entdeckt Fitness als ein Medium zur Umsetzung der Vorgaben des Präventionsgesetzes. Also auch dort wird Fitness akzeptiert.
- Und wir beobachten bei den Fitnessclubs einen ungebrochenen Trend zur weiteren Qualifizierung. Mit Sicherheit im Zuge der Digitalisierung kommt es dann dazu, dass auch neue Lern- und Lehrformate gebildet werden.
- Ein Riesentrend in diesem Zusammenhang ist die Digitalisierung selbst: Nicht nur Wearables und Apps, sondern auch Trainingsgeräte werden untereinander vernetzt und sogar herstellerübergreifend.
- Digitalisierung findet nicht nur im Training selbst, sondern auch in den Fitnesslandschaften insgesamt statt. Das Fitnessstudio digitalisiert nicht nur Trainingsgeräte, sondern auch die Wellnesssysteme, Schließfächer, Kundenerkennungssysteme.
Zudem gibt es den wachsenden Markt der Senioren. Hat sich die Branche denn gut genug auf mehr Senioren in Fitnessstudios vorbereitet?
Das Wachstum im Bereich Senioren-Fitness ist die Konsequenz aus einer breiten Akzeptanz der Fitnessbranche, aus der Qualitätsorientierung, aus der Positionierung als Gesundheitsanbieter, der mit zielgruppenaffinen Angeboten antritt. Aus- und Fortbildungsinstitute bieten zudem Weiterbildungen für Zielgruppen wie Diabetiker an.
Sollten sich die Studios also darauf einstellen, dass sie das Training richtig dosieren für die älteren Menschen?
Die Dosis bestimmt die Wirkung des Trainings. Senioren benötigen eine angepasste Form der Betreuung und des Trainings. Sie sollten zunächst individuell und ganzheitlich in das Training eingeführt werden, weil sie unsicherer sind. Die Trainingsgeräte sollten fein abstufbar sein und niedrigere Einstiegswiderstände besitzen. Vor allem ist es wichtig, dass wir Personal haben, das die sozialen Bedürfnisse der älteren Menschen löst. Diese wollen nicht nur trainieren, sondern auch Kontakte knüpfen und sich mit Gleichgesinnten treffen.
Ein großer Trend sind die Wearables und Apps. Welche App schlägt denn besonders ein?
Richtig ist, dass Wearables nicht nur die Trainingsbelastung erfassen, sondern auch ein Feedback bieten über die Aktivitäten des Alltags, weil auch die gesundheitsrelevante Effekte auf den menschlichen Körper haben. Das heißt, der Trend wird dahingehend sein, nicht nur Trainingsdaten zu erfassen, sondern allgemeine Gesundheitsdaten. Wichtig ist hier die Verknüpfung der Devices mit denjenigen, die der Endkunde bereits benutzt. Zentrale Bedeutung hat aus meiner Sicht hier das Smartphone.
Das zweite ist, dass wir in Zukunft die Anzahl und Art der Sensoren reduzieren. Beispielhaft ist die Transformation vom Brustgurt zur Sensorik am Handgelenk. Eine stärkere Bedeutung werden auch die Wearables mit Sensoren in der Kleidung, in der Sohle des Sportschuhs erlangen. Und vielleicht werden wir in naher Zukunft die ersten Sensoren im Markt erleben, die man oral zuführt oder die unter die Haut gepflanzt werden. Es gibt da ja schon spannende Konzepte, wie die Kontaktlinse für den Diabetiker, die in der Lage ist, die Glukose zu überwachen.
Sie haben es angesprochen, auch der Anteil an Personal Trainern wächst. Hat sich die Branche darauf denn richtig eingestellt?
Hier gibt es tatsächlich zunehmend mehr zeitgemäße Business-Konzepte, die dem Personal Trainer eine solide wirtschaftliche Basis bieten können. Etwa Betreuungskonzepte, die so funktionieren, dass ein Fitnessstudio eine Basisbetreuung bietet und auf Wunsch für bestimmte Zielgruppen ein Personal Trainer hinzugebucht werden kann.
Und auch die Boutique-Konzepte sind für den Personal Trainer interessant: also kleinere Studios, die für eine sehr spezielle Zielgruppe ein sehr hochwertiges Trainingsprogramm anbieten. Wenn Sie sich überlegen, dass die Beiträge dort zwischen 80 und 130 Euro liegen, dann ist das wirtschaftlich ein äußerst interessantes Konzept. Sowohl für den Trainer, als auch für die Industrie und letztlich über den gesteigerten Nutzen und die individuelle Betreuung auch für den Trainierenden.
Als erstes denkt man an einen solchen Trend ja nicht, wenn man die immer größeren Ketten sieht.
Es gibt eben Trainer, die sich aus den Studios herausentwickeln und ihre eigene Existenz aufbauen wollen. Sie stehen allerdings vor der Problematik der Finanzierung oder dass es sehr schwierig ist, die Räumlichkeiten für große Studios anzumieten. Hier haben diese jungen Existenzgründer die Möglichkeit, diese Boutique-Studios aufzubauen. Aus Sicht des Trainerenden kann man beobachten, dass hochindividualisierte Angebote nachgefragt werden.
Sie haben gesagt, die DSGVO war die 2018er-Anforderung. Gibt es eine 2019er-Herausforderung für die Branche?
Ich glaube, dass wir vor der Herausforderung stehen, den Gesundheitstrend aufzugreifen und Fitness sehr erfolgreich im zweiten Gesundheitsmarkt zu vermarkten. Hier sehen wir uns ja als Fitnessbranche auch in einem kooperativen Wettbewerb mit anderen Branchen, die den Markt für sich entdeckt haben. Nun geht es darum, mit diesen Partnern und Kostenträgern der Prävention – seien es Krankenkassen, Rentenversicherung oder Ärzte und Physiotherapeuten – erfolgreich zu kooperieren. Damit der Fitnessmarkt seine Position in diesem Zukunftsmarkt ausbauen kann.
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