Ich bin Sandra Waschnewski, leidenschaftliche Radfahrerin, Mutter und Unternehmerin. 2019 habe ich zusammen mit meinem Geschäftspartner das Label Veloine gegründet, weil ich von der Radsportbekleidung anderer Marken und von der Branche insgesamt enttäuscht war. Die typischen Radtrikots für Frauen waren pink oder mit Blümchenmustern bedruckt. Frauen wie ich, die mitten im Leben stehen, kamen als Zielgruppe irgendwie gar nicht vor. Darin haben wir Potenzial gesehen. Wir haben aus dieser Not eine Tugend gemacht und Veloine quasi aus meinem Bedarf heraus gegründet. Mit unserer Radsportbekleidung speziell für Frauen möchten wir einen Beitrag dazu leisten, dass der Sport weiblicher wird.
Die Zahlen waren schon damals erfolgversprechend, die Positionierung in einer Nische eine sehr bewusste Entscheidung. Auch wir haben davon profitiert, dass die gesamte Branche durch Corona einen Push erlebt hat. Frauen bildeten das stark wachsende Segment im Radsport. Es hat sich viel getan, der Frauenanteil ist auf über 25 Prozent gestiegen. Trotzdem sind Radfahrerinnen immer noch deutlich unterrepräsentiert. Es ist ein Teufelskreis: Wenn du kaum Frauen auf dem Rad siehst, willst du es selbst auch nicht ausprobieren. Es fehlt in der breiten Öffentlichkeit an starken Rollenbildern. Wir wollen, dass sich das ändert, möchten Frauen mehr Raum geben und mit unseren Produkten besser auf ihre Anforderungen eingehen.
Natürlich sind Wirtschaftlichkeit und Marge wichtig. Es sollte aber nicht die einzige Prämisse unternehmerischen Handelns sein. Gerade in unserer Welt, in der wir im absoluten Überfluss leben, braucht eine Marke eine Daseinsberechtigung. Kaufentscheidungen werden heute viel bewusster getroffen. Nicht nur aus Gründen der Nachhaltigkeit, sondern auch wegen der Krisen unserer Zeit, der Inflation, dem schlechten Konsumklima. Daraus ergibt sich ein neuer Anspruch an das Markenversprechen: Welchen tatsächlichen Wert hat mein Produkt für meine Kund*innen?
Als Start-up sind wir sehr schlank aufgestellt. Aktuell sind wir drei Gesellschafter*innen beziehungsweise Festangestellte. Dazu kommen viele Freelancer*innen, und diese Flexibilität hat sich für uns sehr bewährt. Veloine ist komplett eigenfinanziert, deshalb müssen wir extrem wirtschaftlich agieren. Je nach Situation können wir unsere Ressourcen schnell nach oben oder unten regulieren und uns auf die wichtigsten Bereiche fokussieren.
Um die Relevanz unserer Marke zu stärken, haben wir auch Produkte im Sortiment, die vielleicht keinen so großen Deckungsbeitrag leisten. Unser Pregnancy Kit zu Beispiel. Würde sich unser Angebot ausschließlich auf Radsportbekleidung für schwangere Frauen beschränken, wäre das wohl wirtschaftlich nicht tragbar. Trotzdem haben wir zwei Jahre in die Entwicklung gesteckt. Bis dahin gab es schlichtweg keine spezielle Radsportbekleidung für Schwangere. Wieder ein Zeichen dafür, wie stark die weibliche Zielgruppe im Radsport vernachlässigt wird. Das Pregnancy Kit schließt diese Lücke. Es verdeutlicht unseren Ansatz und hat Veloine durch die Auszeichnung mit dem ISPO Brandnew Award 2021 viel Aufmerksamkeit beschert.
Ähnlich verhält es sich mit unserm Recycling-Programm Veloine x renew, bei dem neue Produkte aus Materialien gefertigt werden, die sonst im Müll landen würden. Gecrashte Trikots, Andrucke oder Prototypen aus der Entwicklung zum Beispiel. Wir recyceln diese Textilien unter anderem zu Caps oder kleinen Taschen, die wieder in den Verkauf gehen. Das ist für uns kein Business Case, das machen wir aus Überzeugung. Uns ist es wichtig, die Verantwortung dafür zu übernehmen, dass alles, was Ressourcen gekostet hat, von uns wiederverwendet wird, wo es nur irgendwie möglich ist.
Es kam für uns von Anfang an nicht infrage in Süd-Ost-Asien zu produzieren, auch wenn das sicherlich wirtschaftlicher wäre. Vertrieblich haben wir einen starken Fokus auf Europa - wir wollen nicht, dass unsere Produkte erst um die halbe Welt reisen müssen und wir keine Kontrolle über die Produktionsbedingungen haben. Deshalb befindet sich unsere Fertigung in Italien. Wir haben dadurch nicht nur ein besseres Gewissen, die geografische Nähe hat sich bisher auch ausgezahlt, weil wir mehr Kontrolle über die Lieferkette haben und Dinge einfacher abzustimmen sind. Auch wenn wir natürlich genauso von Lieferengpässen betroffen sind, wie alle anderen.
Wir sind ein Unternehmen, das einen wirtschaftlichen Zweck verfolgt – trotzdem ist uns drei Gesellschafter*innen eine sinnstiftende Tätigkeit mindestens genauso wichtig. Wir versuchen, beides bestmöglich zu verbinden. In den sozialen Netzwerken erreichen wir unsere Zielgruppe am besten und wollen mit Veloine radsportbegeisterte Frauen connecten – nicht nur online. Dafür stehen wir in engem Kontakt mit Radsportlerinnen in ganz Europa – unseren Local Heros – und organisieren regelmäßige Ausfahrten nur für Frauen. Der Wunsch nach Zugehörigkeit ist vor allem bei Anfängerinnen groß. Sie suchen Gleichgesinnte und wollen gemeinsam ihre Leidenschaft ausüben, ganz ohne Leistungsdruck und Macho-Gehabe.
Ich denke, wir alle merken, dass sich der Markt nach dem zweijährigen Pandemie-High wieder ein Stück weit normalisiert. Unternehmen müssen ihre Umsatzpläne und Erwartungen der Realität anpassen und sich fragen, was eine Marke wirklich relevant macht, warum ein Kunde oder eine Kundin sie auch in diesen schwierigen Zeiten kaufen soll. Darin liegt eine große Chance sowohl für Marken als auch für Käufer*innen, davon bin ich überzeugt.
Ich bin grundsätzlich optimistisch, weil in unserer Nische ein wichtiger Prozess in Gang gesetzt wurde. Und wenn wir mit Veloine einen kleinen Beitrag leisten können, dass der Radsport weiblicher wird, macht uns das schon sehr glücklich.
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