Der Zukunftsforscher Tristan Horx sieht Sport als Weg in eine gesündere Zukunft. Denn je weniger Bewegung der Alltag von uns fordert oder zulässt, desto mehr Bedeutung wird Sport in Zukunft haben. Er beschreibt Sport deshalb als eine Kulturtechnik, die uns dabei hilft, gesund zu bleiben.
2017 ist Horx ins Zukunftsinstitut seines berühmten Vaters Matthias Horx eingestiegen. Er beschäftigt sich professionell mit gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen, um daraus wichtige Trends für die Zukunft abzuleiten und weltweit Unternehmen zu beraten.
Mit seinen Thesen zur Post-Corona-Wirtschaft sowie zur Generation C nach Corona hat Tristan Horx kreative Szenarien für die Zukunft nach der Pandemie gezeichnet.
Auf der ISPO Munich Online (1. bis 5. Februar) wird Horx am ersten Konferenztag zum Thema Innovation und Kreativität sprechen. ISPO.com hat Anfang Januar 2020 mit Tristan Horx über Zukunft des Sports gesprochen. Wie er die Auswirkungen von Corona auf die Zukunft der Branche einschätzt, erklärt er am 1. Februar auf der ISPO Munich Online.
ISPO.com: Sie beschäftigen sich professionell mit der Zukunft. Welche Trends sehen Sie, die für den Sport relevant sind?
Tristan Horx: Ich beschäftige mich vor allem mit Mega-Trends. Man spricht von einem Mega-Trend, wenn er etwa 30 Jahre oder länger anhält und sich auf viele Bereiche des Lebens auswirkt. Diese Trends sind nicht machbar, sie entwickeln sich aus der Gesellschaft heraus. Im Gegensatz dazu sind Moden kurzlebiger und leichter zu steuern.
Interessanterweise tendieren die Menschen dazu, Moden überzubewerten und Mega-Trends zu übersehen. Sport ist für mehrere Mega-Trends relevant. Im Bereich der Konnektivität, Silver Society, Gesundheit, Achtsamkeit etc. Es gibt zum Beispiel nichts Achtsameres als Sport.
Was macht Sport für Sie als Zukunftsforscher spannend? Welche Rolle spielt Sport für unsere Gesellschaft?
Auf einer Meta-Ebene ist Sport interessant, weil die Menschen sich immer weniger bewegen und ein gesunder, sportlicher Körper deshalb zu einem neuen Statussymbol geworden ist. Das Besondere daran: Man kann ihn sich nur erarbeiten, man kann ihn nicht erben.
Im Gegensatz dazu sind die klassischen Statussymbole der Vergangenheit, wie Auto oder Konsum allgemein, an Geld gekoppelt, das immer weniger Aussagekraft besitzt. Vor allem für die jungen Generationen. Wonach jetzt alle suchen ist der Trickle-Down-Effekt, also der Mechanismus, wie man das Interesse an Sportlichkeit weiterverbreiten kann.
Wir hören immer wieder, die Digitalisierung sei schuld, dass immer weniger Menschen Sport treiben – vor allem Jugendliche und Kinder. Sport und Digitalisierung seien ein Gegensatzpaar. Sehen Sie das auch so?
Wir müssen Sport als eine Kulturtechnik verstehen, die uns dabei hilft, die zunehmenden Zivilisationskrankheiten der Moderne zu überwinden. Zu wenig Sport und Bewegung bereiten uns derzeit große Zivilisationsprobleme. In den USA sinkt erstmals die Lebenserwartung und die Menschen in vielen Regionen der Welt werden immer dicker, weil sie sich zu wenig bewegen und zu viel Schrott essen.
Aber die Digitalisierung und der Sport schließen einander nicht grundsätzlich aus, sie können sich genauso gut komplementieren. So können digitale Features auch dazu beitragen, Sport interessanter zu machen, beispielsweise durch Tracking, Gamification oder durch die Schaffung von Communities.
Aus meiner Zusammenarbeit mit dem Red Bull Media Lab weiß ich, dass das geht: Red Bull baut beispielsweise Unmengen an Sensoren an Spitzensportler ran, beispielsweise beim Downhillen. Man hört den Puls der Sportler, den Wind, die Geräusche vom Bike.
All das macht den Sport für den Außenstehenden erfühlbar und greifbar, und das kann dazu führen, es auch machen zu wollen. Die Digitalisierung ist also in der Lage, den Sport tatsächlich näher an den Mann und an die Frau zu bringen als bisher. Das heißt: Sportler können die Digitalisierung nutzen, um möglichst viele für Sport und Bewegung zu motivieren.
Jemand wie Ronaldo hat Millionen Follower weltweit und damit eine enorme Reichweite. In Zukunft kann sich beides gegenseitig helfen. Für mich ist klar: Sobald wir sehen, dass die Lebenserwartung sinkt, werden die Menschen handeln.
Welche Probleme sehen Sie, warum überwinden wir nicht unsere Zivilisationskrankheiten mit Sport?
Es ist wichtig zu sehen, welche Zivilisationskrankheiten wir haben, was dagegen hilft und was nicht. Bei einem Vortrag in der Schweiz vor einem Publikum aus Sportlehrern und Trainern habe ich zum Beispiel erfahren, dass man dort trennt zwischen Bewegungs- und Leistungssport. Als Sport wird nur anerkannt, was Leistungssport ist, der Rest gilt als Bewegung.
Das ist natürlich dämlich, weil das nicht motiviert und diejenigen ausschließt, die kein Potenzial zum Spitzensportler haben. Entweder Spitzensport oder Daddeln ist die Folge.
Wie haben Ihre Zuhörer auf Ihre Sicht reagiert?
Die Pädagogen suchen nach Tipps, wie sie Kinder wieder zum Sport motivieren können. Sie haben das Gefühl, sie bringen den Kindern etwas bei, was sie nicht interessiert. Aber: Die Sportlehrer irritiert es auch, wenn wir Sportivity wollen, nicht Leistungssport.
Wir brauchen Vereine, die nicht nur die nächsten Spitzensportler suchen, sondern alle mit einbinden. Sport ist der einfachste und wichtigste Weg gegen unsere Zivilisationskrankheiten. Dass unsere Gesellschaft darauf keinen Fokus legt, ist geradezu pervers.
Dabei ist es so wichtig, dass Kinder in jungen Jahren lernen, dass Sport und Bewegung Spaß machen. Wenn das nicht in der Schule oder im Verein passiert, muss man sich allein auf die Eltern verlassen. Die Gefahr ist doch klar: Je weiter die Messlatte in die Ferne rückt, desto mehr Menschen werden resignieren und aussteigen, weil sie nicht daran glauben, dass sie auch sportlich sein können.
Das heißt, der Sport wird sich in Zukunft verändern müssen? Welche Trends sehen Sie da?
Ich sehe eine Sache, die sicher tragend sein wird: Die ewige Rekordbrecherei wird immer uninteressanter, auch weil sie dank Doping immer unglaubwürdiger wird. Kollektive Sportarten und Teamsportarten werden aber weiterhin attraktiv bleiben. Alle Studien zeigen, dass sich die Menschen heute immer einsamer fühlen – trotz der neuen Möglichkeiten durch Social Media.
Das Netz löst also Verbindungsfragen, aber keine Beziehungsfragen. Wir haben gelernt, dass Facebook-Freunde eben keine echten Freunde ersetzen. In diese Lücke kann der Sport treten.
Was kann die Sportindustrie tun, damit sie die junge Generation wegholt von den Handys und zurück zum Sport?
Ich sehe noch zu viele Missverhältnisse in der Sportindustrie. Es wird zu viel Geld in falsche Dinge investiert. Schauen wir uns mal den Fußball an und die Diskrepanz zwischen Spieler und Fan. Warum stecken die Vereine nicht auch mal Geld in Bewegungsmotivationskurse für Fans? Oder in weniger ungesundes Essen im Stadion? Das wäre mal ein cooler erster Schritt.
Ich finde übrigens auch, dass die oftmals völlig überbezahlten Spitzensportler die Pflicht hätten, Lust auf Sport zu machen. Natürlich gibt es auch gute Beispiele, zum Beispiel Felix Neureuther, der dafür bekannt ist, dass er Menschen für den Sport motivieren will.
Welche Trends sehen Sie für den Handel?
Wo Sportarten immer professioneller und Sportprodukte immer spezifischer werden, sehe ich ein wachsendes Bedürfnis nach Beratung, und die kann der Sportfachhandel bieten. Ein Großteil der Menschen ist einfach überfordert mit der Menge an Informationen und der Menge an Produkten.
Deshalb wird die persönliche Beratung vor Ort ein Revival erleben. Vorausgesetzt: Der Verkäufer versteht seine Aufgabe richtig und sieht sich als eine Art persönlicher Berater.
Hinzu kommt, dass wir uns langsam aus der Fast-Fashion-Welt heraus bewegen. Angesichts der „Fridays For Future“-Bewegung und dem steigenden Wunsch nach mehr Nachhaltigkeit haben Fast Fashion und sinnloser Konsum keine Chance mehr. Spätestens wenn die Generation Z erwachsen sein wird, sehen wir hier eine absteigende Tendenz.
Das heißt, die Menschen werden wieder bewusster einkaufen, und auch da kann der Handel wieder seine Beratungskompetenz ausspielen.
Dennoch befindet die Branche gerade im digitalen Aufbruch, um endlich schneller zu werden und aufzuschließen an die Fast Fashion, die sich in den letzten Jahren im Sport viele Marktanteile geholt hat.
Ich unterstütze immer die Digitalisierung von drögen, standardisierbaren Backend-Prozessen – nur die sind überhaupt digitalisierbar – um Prozesse schneller zu machen. Der Sinn davon ist, dass man dadurch mehr Zeit für das Frontend gewinnt. Zuerst das Backend digitalisieren und dann den Verkäufer durch digitale Tools ersetzen, ist hingegen falsch und zu linear gedacht.
Wie kommt es, dass Sie das Thema Sport so interessant finden, aber erst jetzt damit anfangen, dazu Vorträge zu halten?
Ich habe während meiner Schulzeit vier bis fünf Jahre intensiv American Football gespielt. Das kann man nicht halbherzig machen, sonst bricht man sich alles. Aber irgendwann ging das zeitlich nicht mehr und auch mein Sportbedürfnis ließ nach, mit dem Ergebnis, dass ich bis vor zwei Jahren noch 127 Kilogramm wog.
Meiner Meinung nach kann man mit diesem Gewicht nicht auf eine Bühne gehen und glaubhaft über Sport sprechen. Das heißt außerdem, dass meine Ansicht über das Thema auch auf meinen persönlichen Einsichten und meinem persönlichen Struggle basiert. Deshalb erst jetzt das Thema.
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