Was tut man als Profikletterer, wenn Hallen geschlossen, viele Klettergebiete gesperrt und Reisen ins Ausland nicht möglich sind? Der Extrembergsteiger Stefan Glowacz versucht das Beste aus der aktuellen Corona-Krise zu machen. Mit seinem Beitrag für die Kampagne #sportbleibt des VDS hat er schon zu Beginn der Krise an den Zusammenhalt in der Sport Community appelliert und zur Unterstützung des Sportfachhandels aufgerufen. Jetzt dürfen die Geschäfte wieder öffnen, aber die Möglichkeiten für den Klettersport sind weiterhin stark eingeschränkt. Als Gründer und Berater der Klettersportmarke Red Chili Climbing, die die inzwischen zur Klettersportfirma Edelrid gehört, beobachtet Glowacz die Auswirkungen auf die Branche ganz genau. ISPO.com hat ihn gefragt, wie er als Sportler mit der Situation umgeht und wie Red Chili auf die Krise reagieren kann.
ISPO.com: #Sportbleibt – was macht Sie da so sicher, wenn Motivatoren wie Olympia oder Fußballmeisterschaften auf unabsehbare Zeit ausfallen?
Stefan Glowacz: Wir brauchen Sport! Das gilt nicht nur für Kinder, die einen natürlichen Bewegungsdrang haben. Bewegung ist elementar für alle Altersgruppen, Bevölkerungs- und Einkommensschichten. Großveranstaltungen haben meiner Meinung nach nichts mit Sport zu tun. Das ist Armchair Sport. Natürlich bin ich auch begeistert von Olympia und ein Fußballfan, aber für mich sind solche Großereignisse in erster Linie eine große Show und eine Form der Unterhaltung. Die größte Motivation Sport zu treiben kommt durch das persönliche Umfeld, weil Sport meistens keine One-Man-Show ist, sondern in der Gruppe stattfindet und deshalb mehr Spaß macht. Dieser Aspekt fehlt jetzt vielen, und deshalb bin ich sicher, dass wir nach der Krise auch weiterhin ein großes Bedürfnis nach Sport haben werden.
Was machen Sie in diesen Tagen? Wie halten Sie sich fit?
Als Profisportler hat man eine ganz andere Motivation Sport zu treiben, nicht nur weil es unser Job ist, und wir deshalb eine professionelle Einstellung brauchen. Wir haben sportliche Ziele, die wir unbedingt erreichen wollen, auf die wir hinarbeiten und die uns motivieren, das harte Training durchzuhalten. Die Disziplin ist extrem wichtig. Ich stehe jeden Tag um halb sieben auf und spätestens um acht Uhr beginnt meine erste Trainingseinheit. Aber: Ich bin sehr umsichtig, d.h. im Moment trainiere ich viel zu Hause, weil ich zum Glück einen eigenen Trainingsraum habe. Ich will durch meinen Sport natürlich nicht in die Situation kommen, medizinische Ressourcen in Anspruch nehmen zu müssen, die anderswo mehr gebraucht werden. Aber ich kann mich nun mal nicht ins Homeoffice setzen. Deshalb bin ich oft auf dem Rennrad unterwegs, und auch das Klettern in der Natur ist für mich elementar. Ich mache das sehr behutsam, so wie ich es verantworten kann. Ich kann mich nicht im Trainingsraum verbarrikadieren bis die Behörden sagen, du darfst wieder raus.
Sie sind normalerweise viel unterwegs. Wie hat die Krise Ihre Pläne durchkreuzt?
Ich reise normalerweise dem guten Wetter nach, jetzt wäre ich eigentlich in Frankreich. Im Februar mussten wir ein größeres Projekt mit Filmdokumentation in China aufs nächste Jahr verschieben. Wir hatten schon alles organisiert, die Flüge gebucht, die Genehmigungen eingeholt, was in China ja nicht ganz einfach ist. Das musste jetzt alles ‚on hold‘ gesetzt werden.
Wären Sie in diesen Tagen lieber auf Expedition oder lieber hier?
Ich bin ganz glücklich, dass ich jetzt zu Hause bei meiner Familie bin. Hier kann ich problemlos trainieren und auch meine Geschäfte weiterführen, also vor allem das Vortragswesen, das ich jetzt per Livestream fortsetzen kann. Das geht von hier natürlich besser als von Grönland aus. Aber egal wo ich auch gewesen wäre, zurückgekommen wäre man mit ein bisschen Kreativität auf jeden Fall, zumindest zu Beginn der Krise.
Wir hören viel von den Problemen von Industrie und Handel. Wie geht’s den Profi-Sportlern, die jetzt keine Wettkämpfe machen können und um ihre Sponsorenverträge bangen müssen?
Da kann ich nur für mich sprechen und nach allem was ich höre: Noch werden die Verträge nicht infrage und Positionen nicht zur Disposition gestellt. Das sind Arbeitsverträge. Es handelt sich ohnehin um keine großen Beträge. Im Outdoorsport geht’s nicht um Millionen wie im Fußball. Es kommt aber natürlich darauf an, wie lange die Krise noch andauert und wie es den Firmen geht. Wir sind am Marketing angebunden, und dort wird in Zukunft vermutlich schon geschaut, wo Einsparungen möglich sind. Aber ich habe tolle Partner, und wie sie gehe ich davon aus, dass die Leute bald wieder den Kopf frei haben und ihren Sport ausüben können und wollen.
Als Gründer von Red Chili kennen Sie auch die Industrieseite und den Handel sehr gut. Wie ist die aktuelle Lage bei Red Chili?
Wir könnten sofort loslegen, wir haben die Ware aus Asien auf Lager und sind 100 Prozent lieferfähig. Wenn der Einzelhandel wieder aufmacht, kommt das Geschäft wieder. Es muss allerdings einher gehen mit der Möglichkeit, den Sport auch ausüben zu können. Viele Gebiete sind gesperrt, und vor allem die Kletterhallen sind noch geschlossen. Für Marken mit Schwerpunkt Klettern ist das der schlechtmöglichste Zustand. Dabei sind wir super gestartet ins neue Jahr und haben unsere Prognose übertroffen. Das ist das Schlimmste, was uns jetzt passieren konnte.
Wie gehen Sie jetzt vor? Wie reagieren Sie auf die Probleme der Händler?
Man muss sich individuell mit dem Händler abstimmen. Natürlich gibt es Händler, die jetzt mit dem Rücken zur Wand stehen, die schon geschwächt aus dem Winter kommen und jetzt nochmal mehr unter Wasser gedrückt werden. Da macht es keinen Sinn, die Händler mit noch mehr Ware zu überfordern. Jetzt müssen Gespräche geführt werden, um bestmögliche Ergebnisse für beide Parteien zu finden. Wir sitzen alle in einem Boot. Unsere Interessen sind auch die des Händlers.
Es wird jetzt diskutiert, ob es auch in Zukunft noch sinnvoll ist, wie in der Mode immer schnellere Kollektionszyklen zu machen, damit der Kunde ständig neue Produkte im Laden findet. Wie sehen Sie das?
Kletterschuhe sind glücklicherweise keine Saisonartikel. Die meisten Leute wollen auch gar nicht, dass am Schuh etwas verändert wird. Schon wenn man nur die Farbe ändert gibt’s einen Aufschrei. Deshalb brauchen wir keine zwei Kollektionen im Jahr, nicht einmal bei der Bekleidung - auch die zieht sich durchs ganze Jahr. Das ist in der aktuellen Situation ein Vorteil, so hat man einen gewissen Spielraum gegenüber dem Händler. Da rollt nicht gleich die nächste Kollektion auf uns zu.
Was würden Sie sich wünschen, sozusagen als Learning aus der Krise?
Das ist sicher extrem individuell. So eine Hausarrest Situation hat ja noch keiner von uns gehabt. Ich wohne in Berg am Starnberger See, in der schönsten Natur, kann vor der Haustür aufs Rad steigen und bin in einer halben Stunde in den Bergen. Deshalb hat sich mein Leben gar nicht so sehr verändert – abgesehen von den Einschränkungen beim Reisen. Meine bisherige Erkenntnis: Unsere Einstellung zur globalen Mobilität wird auf den Prüfstand gestellt. Wir haben gelernt, dass wir nicht mehr überall hinfahren müssen, dass man auch über digitale Tools gut kommunizieren kann. Und warum müssen wir immer um die halbe Welt fliegen um uns zu zerstreuen? Wir stellen jetzt vielleicht fest, dass es auch hier schön ist. Vorher haben wir keine Notwendigkeit gehabt, darüber nachzudenken. Wir haben uns einfach nicht bewusst gemacht, was wir unserer Umwelt damit antun.
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