Polyester, genauer PET, ist die meistproduzierte Textilfaser der Welt. In den vergangenen 20 Jahren hat Polyester die Baumwollfaser überholt, die über viele Jahrzehnte hinweg die Liste der wichtigsten Textilfasern angeführt hatte. Heute besteht mehr als die Hälfte aller produzierten Textilfasern aus Polyester. Entsprechend stieg die Polyesterproduktion seit 1975 von 33 auf 109 Millionen Tonnen. 2030 sollen es laut Textile Exchange schon 147 Millionen Tonnen sein. Gemessen an der gesamten Faserproduktion ist der Anteil von Polyester besonders rasant gewachsen, andere Fasern wie Baumwolle, Polyamid oder Wolle blieben im Vergleich dazu relativ konstant.
Diese steile Polyesterkurve verdeutlicht nicht nur die beispiellose Erfolgsgeschichte von Polyester, sondern auch den dramatischen Anstieg der gesamten Textilproduktion in den vergangenen 50 Jahren. Und was einmal neu produziert wurde, muss irgendwann entsorgt werden, und zwar in immer schnelleren Zyklen angesichts aktueller Fast-Fashion-Konsumgewohnheiten. Weil Ressourcen endlich sind und wir uns vom Erdöl, aus dem Polyester gewonnen wird, verabschieden wollen, ergab es absolut Sinn, nach Recyclinglösungen speziell für Polyester zu suchen. Immerhin braucht es mehrere Jahrhunderte, um biologisch abgebaut zu werden und vermüllt daher langsam aber sicher unseren Planeten.
„Von virgin PET auf rPET zu wechseln war relativ einfach und stellte für die Textilindustrie keine große Schwierigkeit dar“, erklärt René Bethmann, Materialspezialist und Senior Innovation Manager bei Vaude während seines Vortrags auf den Performance Days im März 2024. So ist auch die Produktion von rPET aus Plastikflaschen in den letzten Jahren stark gestiegen und hatte 2022 einen Anteil von 14 Prozent am gesamten Polyestermarkt. Möglich wurde das, weil sortenreine Plastikflaschen leicht und ohne Qualitätsverlust zu recyceln sind, ganz im Gegensatz zum Faser-Mischmasch von Alttextilien. Dies ist ein wesentlicher Aspekt, um den Erfolg von rPET aus Plastikflaschen zu verstehen.
Der US-amerikanische Fleece-Spezialist Polartec war 1993 das erste Unternehmen, das anstelle von virgin Polyester ein Polyester aus recycelten Plastikflaschen zur Herstellung von Fleece verwendet hat. Wie die PET-Flaschen selbst, war auch das erste Fleece Grün, genauer ‚soda bottle green‘. Seither haben immer mehr Brands der Sport- und Outdoorbranche auf recyceltes Polyester umgestellt oder wollen dieses Ziel bis spätestens 2030 erreichen.
Gerade einmal ein Prozent des globalen rPET wird heute aus alten Fasern gewonnen, 99 Prozent stammt aus Plastikflaschen. Das ist viel zu wenig. Deshalb mehren sich inzwischen auch die Bedenken an dieser Praxis. Marken wie beispielsweise Ortovox haben verkündet, die Verwendung von rPET aus Plastikflaschen auslaufen zu lassen, um diese Fasern durch Naturfasern oder Recyclingfasern aus echtem Textilrecycling zu ersetzen. Ebenso versteht die EU-Gesetzgebung unter der eingeforderten erweiterten Herstellerverantwortung (EPR) zunehmend auch, dass die Bekleidungsindustrie ihre eigenen Abfälle recycelt, also die Bekleidungsproduktion in Kreisläufe überführt, Ressourcen spart und Abfälle vermeidet, statt die Müllprobleme der Getränkeindustrie zu lösen. So fordert das EU-Parlament bei der anstehenden Änderung der Abfallrahmenrichtlinie ein Deponieverbot und fixe Recyclingquoten für Textilien. Auch Nachhaltigkeitszertifikate, beispielsweise das EU-Ecolabel, werden auf diese Veränderungen reagieren müssen.
Das Textile-to-Textile Recycling bekommt im Moment von mehreren Seiten Aufwind. Erstens vom Markt, „denn auch die Konsument*innen verstehen langsam, dass recycelte Plastikflaschen nicht die nachhaltigste Rohstoffalternative für Bekleidung sind“, stellt Bethmann fest. „Marken, die Polyester aus Plastikflaschen offensiv als nachhaltige Lösung vermarkten, laufen Gefahr, dass dies zunehmend als Greenwashing wahrgenommen wird.“ Hersteller sind also daran interessiert, möglichst bald eine mindestens ebenso nachhaltige Alternative zu rPET aus Flaschen zu finden.
Zweitens muss davon ausgegangen werden, dass die Menge an Plastikflaschen, die dem Textilmarkt zum Recyceln zur Verfügung steht, in Zukunft immer geringer wird. Denn auch die Getränkeindustrie wird in den nächsten Jahren gesetzlich dazu verpflichtet, Kreisläufe aufzubauen und den Anteil an Rezyklat in den Flaschen sukzessive zu erhöhen. Während der Rezyklatanteil in den Getränkeflaschen heute bei rund 17 Prozent liegt, soll er ab 2030 schon bei 30 Prozent liegen. Damit geht der Textilindustrie das Recyclingmaterial aus. „Wir kannibalisieren die Flaschenindustrie“, bringt es Bethmann auf den Punkt. „Es ist nicht mehr genug Material zum Recyceln erhältlich. Nicht in Europa, und nicht in Asien.“ Zudem ist das Flaschenrecycling in der Getränkeindustrie ökologisch viel sinnvoller. Flaschen lassen sich nahezu endlos recyceln, werden sie aber zu Textilien verarbeitet, endet dort der Kreislauf, weil Textile-to-Textile Recycling noch nicht im benötigten Umfang zur Verfügung steht.
In einer idealen Welt würde man jetzt einfach dazu übergehen, anstelle von Plastikflaschen Textilien zu recyceln. Doch leider ist das weder schnell umzusetzen, noch würde es ausreichen. Die Nachfrage nach rPET aus Alttextilien ist weitaus höher als das Angebot. Die Gründe liegen vor allem beim Ausgangsmaterial, den Altkleidern selbst. Denn Altkleider werden zwar in vielen Ländern gesammelt – in der EU ist ab 2025 die Getrenntsammlung von Textilien sogar gesetzliche Pflicht. Aber in Asien, wo die Kunstfaserindustrie mehrheitlich angesiedelt ist, steckt das Altkleidersammeln noch in den Kinderschuhen. Man müsste die Altkleider also erstmal nach Asien schaffen, bevor sie recycelt werden können, was den ökologischen Nutzen wieder schmälert.
Daher gehen viele Unternehmen den einfacheren Weg, und recyceln zunächst nur Produktionsabfälle. Diese befinden sich ohnehin schon in Asien, und ihre Verwendung lässt sich auch in großen Mengen sicherstellen. Schließlich benötigen Rezyklat-Hersteller nicht ein paar Hundert Kilo Altkleider, sondern mehrere Tausend Tonnen, um eine industrielle Anlage dauerhaft betreiben zu können. Zudem lassen sich Produktionsabfälle leichter sortieren, weil ihre Inhaltsstoffe besser dokumentiert sind.
Dennoch: Das Textile-to-Textile Recycling von Altkleidung bleibt trotz aller Hürden langfristig alternativlos. Die Technologien sind schon da, nicht nur hinsichtlich des mechanischen Recyclings, auch das chemische Recycling ist inzwischen der Labor-Phase entwachsen. Vor allem mangelt es am Geld, um diese flächendeckend zu etablieren und an der Bereitschaft, diese neuen Lösungen anzunehmen. „Alle Alternativen sind derzeit in der Regel teurer als virgin Polyester“, erklärt Bethmann. Dennoch rät er von der Rückkehr zu virgin PET aus Kostengründen ab, nicht zuletzt weil auch die CO2-Steuer auf neues Polyester in den kommenden Jahren steigen wird und eine Umstellung unumgänglich ist.
Da das Recycling noch nicht in ausreichendem Maße zur Verfügung steht und voraussichtlich auch in Zukunft den steigenden Bedarf an Textilien nicht allein decken kann, ist die Branche auf Alternativen angewiesen. Große Hoffnungen setzt sie daher auf die Entwicklung von Polyesterpolymeren, die nicht aus Erdöl, sondern aus nachwachsenden Rohstoffen wie Holz oder Zuckerrohr gewonnen werden – sogenanntes BioPET. Hierbei muss man wissen, dass Polyester die allgemeine Bezeichnung für eine Materialfamilie ist, zu der auch PET (Polyethylenterephthalat) gehört. Wenn in der Textilindustrie von Polyester gesprochen wurde, war bisher fast immer PET gemeint. Dieses PET besteht zu 30 Prozent aus MEG (Monoethylenglycol) und zu 60 Prozent aus PTA (Gereinigte Terephthalsäure). Bisher gelang es nur, MET biologisch nachzubauen. Erst im letzten Jahr hat das finnische Unternehmen UPM in Kooperation mit Vaude das erste Fleece mit biobasiertem MEG vorgestellt. UPM sieht großes Potenzial in der Bio-Technologie und investiert aktuell rund 1,2 Millionen Euro in den Bau der weltweit ersten Bioraffinerie im industriellen Maßstab in Leuna in Sachsen-Anhalt/Deutschland. „Das Ziel ist es, die verbleibenden 60 Prozent auch noch zu ersetzen“, sagt Bethmann. „Dann ist der CO2-Fußabdruck nahezu bei null.“
Auch andere Polyester ziehen derzeit die Aufmerksamkeit der Forschung auf sich, wie beispielsweise PLA (Polylactide, umgangssprachlich auch Polymilchsäuren), die meist aus Zuckerrohr gewonnen werden, oder PHA (Polyhydroxyalkanoate), die unter natürlichen Bedingungen vollständig biologisch abbaubar sind. Letztere werden gerade von der US-amerikanischen Organisation „Bottle“ (steht für: Bio-Optimised Technologies to keep Thermoplastics out of Landfills and the Environment) in Kooperation mit The North Face auf ihre Eignung als Textilfaser untersucht.
Die Abkürzung CCU (Carbon Capture Utilization) steht für eine weitere, bahnbrechende neue Materialsorte: CCU-Fasern. Hierbei werden Kohlendioxid-Emissionen aus Stahlwerken oder petrochemischen Anlagen aufgefangen und durch Fermentation in Ethanol umgewandelt, das als Monomer für neues Polyester dient. Gelingt es, den hohen Energieverbrauch bei der Herstellung durch erneuerbare Energien zu decken, könnten diese Fasern sogar klimapositiv werden, also mehr CO2 binden, als sie freisetzen.
Welche Fasern am Ende das Rennen machen werden, ist ungewiss. „Wir haben es in der Outdoor-Bekleidung nur mit etwa fünf Materialtypen zu tun, das ist vergleichsweise wenig. Deshalb bin ich optimistisch, dass wir dafür nachhaltigere Alternativen finden werden“, so Bethmann abschließend. Bis das Angebot an Textile-to-Textile recycelten, biobasierten oder CCU-Polyesterfasern größer geworden ist, rät er, bei der Produktentwicklung noch genauer als bisher abzuwägen, welche Materialien und Eigenschaften für die gewünschte Anwendung am besten geeignet sind. Auf lange Sicht wird es künftig immer darauf hinauslaufen, Produkte zu entwickeln, die möglichst lange genutzt werden können, bevor sie irgendwann hoffentlich tatsächlich recycelt werden.
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