Eigentlich ist die Idee ja uralt: Dinge, die kaputt oder verschlissen sind, werden repariert und können so noch viele Jahre genutzt werden. Doch weil Produktion und Nutzung heute oft so weit voneinander entfernt sind, dass sie meist sogar auf verschiedenen Kontinenten stattfinden, sind viele Reparaturdienste nach und nach verschwunden - nicht nur in der Sportartikelindustrie. Die Folge: Wenn etwas kaputt geht, wird es einfach neu gekauft. Ersetzen statt reparieren, lautet die Devise, die auch immer mehr Hersteller beherzigt haben. Sie tauschen defekte Produkte im Garantiefall lieber gegen neue aus, als die alten zu reparieren. Heute wissen wir, dass diese Entwicklung unserem Planeten und damit auch uns Menschen schadet. Deshalb ändert sich vieles - auch beim Thema Reparieren. Denn Repair- und Care Services erleben bei Händlern und Herstellern gerade ein fulminantes Comeback.
„Wir wollen zur Nummer 1 Werkstatt im deutschen Sportfachhandel werden“, sagt Michael Kiess, Leader Service Experience bei Decathlon Deutschland, während der Eröffnung einer überregionalen Reparaturwerkstatt in der Decathlon-Filiale in München. Es ist die dritte in ganz Deutschland. Hier werden spezielle Reparatur-Services, die besondere Kenntnisse oder Maschinen erfordern, gebündelt. Auch in allen 90 deutschen Decathlon-Filialen haben Kund*innen die Möglichkeit, ihre Produkte warten und reparieren zu lassen. Das gilt nicht nur für Produkte aus der Decathlon-Markenfamilie, sondern grundsätzlich für Sportprodukte aller Marken. Aktuell bietet das Unternehmen in Deutschland 21 verschiedene Reparaturprozesse an. Der Schwerpunkt und der am häufigsten genutzte Service liegt im Bereich Radsport und Mobilität mit Produkten wie Fahrräder, Scooter und Skates. Darüber hinaus gibt es Reparatur-Services für Wintersportgeräte, Bergsportausrüstung (wie beispielsweise Zelte), Wassersportgeräte (wie SUPs und Kajaks) sowie für Fitnessgeräte. Auch Bekleidung wird repariert. 2023 hat Decathlon in Deutschland rund 120.000 Produkte repariert, weltweit waren es mehr als 2,7 Millionen Produkte.
Mehr Nutzung mit weniger Produkten, lautet die Devise des Handelskonzerns. Damit das gelingt, sollen in den nächsten drei Jahren sieben weitere Regionalwerkstätten hinzukommen. Die Standorte Hamburg und Berlin stehen bereits fest. „Wir wollen in allen Regionen in Deutschland solche Werkstätten einrichten, um Transportwege zu sparen und natürlich auch Zeit“, sagt Kiess weiter. Auch Repair Cafés, separate kleine Werkstätten, die nicht in bestehende Filialen integriert sind, und Ersatzteilautomaten (wie beispielsweise
„Schlauchomaten“ für Fahrradschläuche) stehen auf der Agenda. 2027 will Decathlon 500.000 Produkte in Deutschland reparieren – also rund viermal so viele wie heute.
Immer mehr Händler und Brands bauen ihren Reparatur-Service aus oder starten damit. So wächst auch beim Multi-Brand-Händler Globetrotter der Reparatur-Service. „Im vergangenen Jahr waren es 33.000 Reparaturen – Tendenz weiter steigend“, sagt Christiane Gawlik, Product Lifecycle Managerin von Globetrotter. Nachdem Globetrotter 2018 die erste Reparaturwerkstatt in Dresden eröffnete, wurden inzwischen 16 weitere Filialen damit ausgestattet. Hinzu kommt noch eine zentrale Werkstatt in Ludwigslust. Langfristig sollen alle 22 Filialen eigene Werkstätten betreiben. Durch neue Werkstatt-Partnerschaften wie mit Ortlieb oder seit August auch mit Vaude, kommen stetig weitere Services hinzu, um die steigende Nachfrage zu bedienen.
Hersteller, die noch am Firmensitz produzieren oder dort weiterhin eigene Ateliers betreiben, bieten oft schon seit Jahrzehnten Reparaturen an – wie beispielsweise Lowa oder Schöffel. Aber auch Schöffel stellt fest, dass die Nachfrage wächst. „Im letzten Jahr hatten wir in unserer Service Factory an die 4.900 Reparaturen, dieses Jahr werden es in etwa 5.500 sein“, erklärt Ludwig Schuster, Leiter der Schöffel Service Factory am Firmensitz in Schwabmünchen. Den Reparatur-Service gibt es schon seit 1961. „Entstanden ist er früher eher aus Gründen der Sparsamkeit heraus, man wollte die Sachen lieber reparieren als ersetzen, und heute vor allem aus Gründen der Nachhaltigkeit“, so Schuster.
Aber auch junge Brands wie beispielsweise die französische Sneaker-Marke Veja setzt auf Repair-Services, seit das Unternehmen 2020 das Projekt „Clean, Repair and Collect“ eingeführt hat. Eigene Werkstätten gehören deshalb schon seit mehreren Jahren zur Ausstattung der Veja Flagship-Stores, die beispielsweise im April dieses Jahres in Brooklyn, New York, und in London neu eröffnet wurden. Hier können Kund*innen ihre Schuhe reinigen und reparieren lassen, oder sie zum Recycling abgeben, wenn sie nicht repariert werden können. Bisher hat Veja über 20.000 Paar Schuhe aller Marken repariert.
Reparaturangebote sind keinesfalls ein Privileg der Bekleidungshersteller. „Wir sehen keinen großen Unterschied für die Hartware“, sagt Eicke Thiele, Sales and Marketing Director der Outdoor-Equipment Marke Exped. „Im Grunde hat die Reparatur der teils wertigen Produkte sogar einen größeren Impact als bei Bekleidung.“ Zelte und Isomatten zu reparieren ist oft sehr aufwändig, „aber dies sind oft Produkte mit einem vergleichbar großen Fußabdruck; daher sehen wir im Umkehrschluss auch großes Potenzial für die Reparatur der textilen Hartware und solcher Produkte, die lange im Gebrauch sein können“, so Thiele weiter.
Die Nachfrage steigt aber nicht nur deshalb, weil immer mehr Menschen ihre Produkte reparieren lassen wollen, sondern auch, weil weitere zirkuläre Services damit unmittelbar zusammenhängen. „Bei Bedarf reparieren wir auch angekaufte Secondhand-Teile, bevor sie in den Verkauf kommen“, erklärt Gawlik von Globetrotter weiter. Ein Secondhand-Angebot mit einem Reparatur-Service zu kombinieren, macht einfach Sinn, wenn das Ziel lautet, die Lebensdauer von Produkten zu verlängern. Auch bei Decathlon wird das Reparaturangebot als Schlüsselelement für weitere Bemühungen um mehr Kreislauffähigkeit gesehen. „Ohne Repair könnten wir all unsere weiteren Circularity Services nicht anbieten“, erklärt Kiess. Denn neben der Reparatur gibt es einen Buy-Back-Service, wo Decathlon gebrauchte Produkte zurückkauft, instandsetzt und als Secondhand-Produkte weiterverkauft. Außerdem startet gerade ein Miet-Service für Sportgeräte. Auch hier müssen die Produkte kontinuierlich gewartet und repariert werden, bevor sie neu verliehen werden können.
Sogar Schlafsäcke eignen sich als Miet-Produkt. Diese Erfahrung macht der britische Outdoor-Anbieter Rab. Seit 2022 bietet Rab ein Rental-Programm an und ermutigt seine Kund*innen, selten genutzte Produkte lieber zu mieten als zu kaufen. Die beliebtesten Mietartikel sind die technischsten Schlafsäcke und die Expeditionsausrüstung, und diese müssen nach jeder Nutzung gereinigt, imprägniert und gegebenenfalls repariert werden. Noch ist der Miet-Service nur auf UK beschränkt, aber der Ausbau ist geplant.
Auf der ISPO Munich 2024 werden spannende Events rund um das Thema Reparatur stattfinden. Hier dreht sich alles um innovative Lösungen, die nachhaltige Produkte und Kreislaufwirtschaft fördern. Entdecke, wie Reparaturservices die Branche vorantreiben und ein wichtiger Baustein für die Zukunft von Sport und Outdoor werden.
Reparaturen sind aufwändig. Exped hat 2023 ein Drittel des Unternehmensgewinns in Nachhaltigkeits-Projekte investiert, sagt Eicke Thiele, „großen Anteil hatte die Reparaturabteilung. Denn reparieren ist sehr viel teurer als ein Produkt zurückzunehmen, wegzuwerfen und den Kund*innen im Austausch ein neues Produkt zu geben.“ Für Exped ist der Betrieb der Reparaturabteilung eine große Investition. Und weil die Nachfrage nach Reparaturen auf Seiten der Brands ebenso wächst wie auf Seiten der Konsument*innen, entstehen immer mehr Dienstleister, die Marken und Händlern unterstützen wollen.
So arbeitet beispielsweise Nachhaltigkeitspionier Patagonia in Europa mit dem United Repair Center (URC) zusammen. Das URC wurde 2022 in Amsterdam gegründet und betreibt in London eine weitere Dependance. Der nächste Ableger soll in Frankreich entstehen. Insgesamt nutzen bereits elf Marken den URC-Service. Zuletzt kam The North Face dazu, „und wir werden in den kommenden Monaten eine Reihe neuer Partnerschaften bekannt geben“, sagt Thami Schweichler, CEO des United Repair Centers. Das URC repariert nicht nur Bekleidung, sondern auch Zelte, Schlafsäcke und mehr. Marken profitieren von der Auslagerung des Service, weil sie das markenübergreifende Fachwissen des URC nutzen können, ohne in eine eigene Infrastruktur und Schulungen investieren zu müssen. Damit steigt die Effizienz auf allen Seiten. Schweichler: „Unser Fokus auf hochwertige, skalierbare Reparaturdienstleistungen stellt sicher, dass Marken ihren Kund*innen diesen wertvollen Service effizient und kostengünstig anbieten können.“
Effizienz ist in wichtiges Stichwort. Der Reparaturprozess ist zeit- und kostenintensiv und umfasst viele Stationen, angefangen beim Kontakt mit den Kund*innen über die Kommunikation mit den Dienstleistern bis zur Logistik und zur Ersatzteilbeschaffung. Je mehr Personen und Abteilungen involviert sind, desto komplizierter wird es. Genau das war die Motivation hinter der Kooperation zwischen der Skimarke Fusalp und dem französischen Startup Prolong. Fusalp hatte seine Reparaturen und Care-Dienstleistungen lange über eine eigene Werkstatt oder über die Handelspartner abgewickelt, die lokale Werkstätten beauftragt haben. Jedoch nicht überall mit der gleichen Qualität und gleich schnell. Prolong entwickelte daher als Geschäftsidee eine B2B-Software, über die Fusalp und andere Marken alle Dienstleistungen kosteneffizient in allen Vertriebskanälen anbieten können, im Onlineshop, in den eigenen Läden und mit Wholesale-Partnern, und das flächendeckend in allen Märkten. Dabei digitalisiert Prolong nicht nur die Prozesse, sondern connectet die Marken auch mit den geeigneten Werkstätten, die Services wie Reparaturen, Änderungen, Pflege oder Personalisierungen durchführen können. Prolong ist fest davon überzeugt, dass Services wie Reparaturen, Pflege und auch Customization Potenzial hat und neue Umsätze generiert.
Letztlich geht es beim Thema Reparatur aber nicht nur um mehr Nachhaltigkeit, Nachfragebefriedigung oder Effizienz. Wer etwas reparieren kann, versteht sein Handwerk. Der Aufbau eines Reparatur-Services ist daher immer auch eine Investition ins Marken Image und in die Kundenloyalität. Das hat auch Decathlon verstanden, das seine Werkstätten nicht umsonst mit großen Glasfronten zum Verkaufsraum in den Filialen platziert. „Uns geht es auch um Glaubwürdigkeit und Vertrauen“, erklärt Michael Kiess von Decathlon. „Mit einem eigenen Reparatur-Service und spezialisierten Mitarbeitenden in der Werkstatt können wir unseren Kund*innen unser Fachwissen zeigen, so schaffen wir auch Vertrauen.“
Wer ein Produkt reparieren will, ist zudem meist emotional daran gebunden. Findet eine Marke dafür eine gute Lösung, sammelt sie Sympathiepunkte, und auch das zahlt sich aus. „Reparatur- und Pflegedienste haben ein erhebliches Potenzial als Umsatztreiber. Sie erhöhen die Markentreue, zeigen Engagement für Nachhaltigkeit und können umweltbewusste Verbraucher*innen anziehen, wodurch der Gesamtumsatz gesteigert wird“, sagt Thami Schweichler vom URC. Ähnliche Erfahrungen macht auch Schöffel, das Reparatur als Marketingthema nutzt. „Wir erhöhen mit dem Service die Touchpoints zu unseren Kund*innen und bekommen dafür regelmäßig ein gutes Feedback. Wir werden für sie tatsächlich zu einer Problem-Lösungs-Hilfe“, sagt Ludwig Schuster von Schöffel. Ähnlich wie Patagonia mit seinem Worn Wear Programm tourte Schöffel in diesem Frühjahr durch Deutschland, um in Kooperation mit Händlern vor Ort Reparatur-Dienste für Kund*innen durchzuführen. Das Interesse der Händler war so groß, dass Schöffel stark kuratieren musste.
Reparierte Produkte haben sich inzwischen fast einen Sonderstatus erarbeitet. Sie zeigen anschaulich, dass sie lange benutzt wurden und dass sie es Wert sind, noch länger genutzt zu werden. Sichtbare Flicken sind daher kein Makel, sondern eine Auszeichnung, mit dem Marken kokettieren können. Wie beispielsweise Rab. Beim Second Stitch Programm repariert Rab bewusst mit Reststoffen und Verschnittmaterialien, auch wenn sie den
Originalstoffen nicht gerade ähnlichsehen. Warum? Es verleiht diesen Produkten eine Geschichte, es macht sie unverwechselbar und einzigartig.
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