Bildcredit:
Lucas Clara/Unsplash.com
Mann steht auf einem Gipfel
Bildcredit:
Lucas Clara/Unsplash.com
Outdoor/27.05.2022

Find the Balance: Geht den Bergen die Luft aus?

Wir benötigen Ihre Zustimmung, um die Bewertungsfunktion zu aktivieren!

Diese Funktion ist nur verfügbar, wenn eine entsprechende Zustimmung erteilt wurde. Bitte lesen Sie die Details und akzeptieren Sie den Service, um die Bewertungsfunktion zu aktivieren.

Bewerten
Merken

Der Druck auf die Bergwelt wächst – Stichwort Overtourism. Aber es gibt nicht nur einen Brandbeschleuniger, sondern mehrere: die Zunahme von Individualsportarten, der Anstieg des Tagestourismus und die Corona-Pandemie. Aber geht den Bergen wirklich die Luft aus? Und wenn ja, wie können wir schützen, was wir alle so lieben?

Gute Aussichten für die Sommersaison

In einer Umfrage des Deutschen Alpenvereins (DAV) unter Hüttenwirt*innen mit Blick auf die beginnende Sommersaison ist der allgemeine Tenor, dass die Buchungslage vielversprechend sei. Aber die Wirtsleute stünden aktuell allerdings vor völlig neuen Herausforderungen: Die wirtschaftliche Lage sehe alles andere als vielversprechend aus. Denn die Rohstoffknappheit sowie stetig steigende Energie- und Lebensmittelpreise würden zu großer Ungewissheit führen. Daher könnte der Hüttenausflug ein wenig teurer werden. Nichtsdestotrotz spricht alles dafür, dass die Zahl der Bergliebhaber*innnen weiter steigt. Egal ob in der Schweiz, wie eine Studie aus dem Jahr 2020 belegt, oder in Österreich, wo im Sommerurlaub die beliebteste sportliche Aktivität das Wandern ist. Laut einer Studie der Tourismusorganisation Österreich Werbung erkunden insgesamt 65 Prozent der Befragten die Natur auf diese Weise. Für den Großteil, nämlich 47 Prozent, ist das auch die beziehungsweise eine der Hauptaktivitäten während des Aufenthalts.

OutDoor 2025
Vom 19. bis 21. Mai 2025 erwartet dich die OutDoor in völlig neuem Gewand! Erlebe flexible Erlebnisräume wie The Village, die wandelbare Freestyle Area und die inspirierenden New Spaces – alles designt, um zu verbinden und neue Ideen zu wecken.

Individualsportarten nehmen immer stärker zu

Die Zahlen belegen: Die Bergwelt hat sich immer mehr zum Sehnsuchtsziel entwickelt. Bergsteigen, Bergwandern, Klettern, Mountainbiken und e-Mountainbiken boomen. Vor allem an den Wochenenden gibt es in der Nähe von beliebten Gipfeln kaum mehr Parkplätze. Deutscher Alpenverein (DAV) und Bund Naturschutz fordern schon länger, dass mehr nachhaltige Tourismuskonzepte erarbeitet werden müssen. Der DAV fordert: Übergeordnetes Ziel sollte sein, die Ursprünglichkeit und Schönheit der unerschlossenen alpinen Landschaft zu bewahren.

Wanderschuh
Ziel aller Bergliebhaber*innen: Schönheit der unerschlossenen alpinen Landschaft wahren
Bildcredit:
Infobüro Hinterstoder

Tagestourismus bringt vielfältige Probleme mit sich

Tags eine Strecke von 500 Kilometern zurückzulegen, müsste nach Worten des Bund Naturschutz so unattraktiv werden, dass auch die letzten Kurzzeit-Erholungssuchenden davon Abstand nehmen. Steuerbar sei dies über Parkgebühren, Maut, Eintrittspreise oder Liftkarten. Verstärkte Umweltbildung müsse helfen, dass sich die Gäste umweltfreundlich verhalten. Öffentlich anreisen und lange bleiben, dies müsse im Bewusstsein der Gäste fest verankert werden.

Gästezahl in den Alpengemeinden steigt

Die Zahl der Übernachtungsgäste hat laut Bund Naturschutz in den bayerischen Alpengemeinden zwischen 2000 (rund 4,5 Millionen) und 2019 (7,2 Millionen) um rund 37 Prozent zugenommen. Allerdings kamen beispielsweise im Oberland südlich von München auf eine Übernachtung im Durchschnitt fünf Tagesgäste, im Allgäu und südostbayerischen Alpenland jedoch nur drei Tagesgäste. Ebenfalls problematisch ist, dass sich die Aufenthaltsdauer in den vergangenen 25 Jahren halbiert hat: von zwölf auf sechs Tage.

Kampagnen werben für Verständnis aller Bergliebhaber*innen

Der Tourismusverband Chiemsee-Alpenland (CAT) sensibilisiert schon länger mit verschiedenen Kampagnen, insbesondere zum richtigen Verhalten im Almweidegebiet. Dabei gehe es nicht nur um ein gutes Miteinander zwischen Radler*innen und Wanderern, sondern auch um die Rücksichtnahme auf Almbäuerinnen und Almbauern, und deren Tiere. Für die aktuellste Kampagne führte der Tourismusverband eine Umfrage zu den Konfliktthemen bei 200 regionalen Akteur*innen aus den Bereichen kommunale Verwaltung, Natur- und Umweltschutz, Alm- und Landwirtschaft sowie der Freizeitbranche durch. Als besonders wichtige Handlungsbereiche kristallisierten sich dabei die Problemfelder „Verhalten im Almgebiet und im Wald, Naturschutz, richtiges Parken, Spannungsverhältnis Radler-Wanderer sowie Umgang mit Hunden“ heraus. Die Ergebnisse lieferten die Vorlagen für sechs Motive, die auf sensible Bereiche und Konfliktsituationen aufmerksam machen sollen.

Chiemsee Alpenland Motive
Tourismusverbände wollen mit Kampagnen sensibilisieren
Bildcredit:
Chiemsee-Alpenland Tourismus

Besuchermanagement für belastete Regionen

Auch den Alpengemeinden ist klar: Aufklärung ist das Gebot der Stunde – mit entsprechenden Info-Kampagnen in den Medien und an den Parkplätzen. „Die e-Biker sind bei uns noch kein Problem“, sagt beispielsweise Georg Huber, Bürgermeister der Gemeinde Samerberg. Ein Grund hierfür könnte sein, dass es im Gebiet der Hochries einen großen Bikepark gibt. Auch Profi-Bikerin Ines Thoma sieht im Mountainbike-Sport keine zusätzliche Naturbelastung, denn: „Mountainbiker suchen das Naturerlebnis, und wollen das, was sie lieben, auch bewahren.“ Für die Allgäuerin ist Nachhaltigkeit ein wichtiges Thema. Sie plädiert dafür, auch mal die nähere Umgebung – Outdoor vor der Haustüre – zu erleben und zu erkunden.

 Profi-Bikerin Ines Thoma auf einer Tour mit Tochter Romy durchs Allgäu
Profi-Bikerin Ines Thoma auf einer Tour mit Tochter Romy durchs Allgäu
Bildcredit:
Max Schumann

Qualität statt Quantität

„Qualität statt Quantität muss unser Motto sein“, sagt Bürgermeister Huber. Die bestehenden Angebote müssen seinen Worten nach qualitativ erhalten bleiben, ausreichend gepflegt und unterhalten werden. „Das ist Aufgabe genug, neue Attraktionen brauchen wir nicht mehr“, stellt er klar. „Die Bedeutung des Naturschutzes ist uns dabei ein großes Anliegen, weil wir als Naherholungsgebiet von einer intakten Natur leben. Sie darf aber nicht überlastet werden. Das ist ein Spagat, der uns besser gelingt als in Tirol, wo der Tourismus zu viele Freiheiten genießt.“ Und Bergwanderführerin Josefine Lechner wird noch drastischer: „Die Entwicklung, dass dem Tourismus alles untergeordnet wird, sehe ich mit Sorge.“

 Aber: Georg Hörhager, Obmann vom Tourismusverband Kufsteinerland, setzt stark auf Besuchermanagement, um belastete Regionen zu entlasten. Gemeinsam mit dem Tourismusverband St. Johann wurde nach seinen Worten ein Konzept für das Kaisergebirge entwickelt, um verschiedene Gruppen wie beispielsweise Wanderer, Radfahrer und Tourengeher bestmöglich zu bedienen, und Lösungen für diverse Stakeholder (Forst, Grundeigentümer, Hütten, Schutzgebietsbeauftragte, Einheimische, Gemeinden) zu finden.

Blätter und Pflanzen in der Natur
Priorität Naturschutz: nicht nur der Frauenschuh ist vom Aussterben bedroht
Bildcredit:
Uschi Horner

Anreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln

Mit öffentlichen Verkehrsmitteln in die Berge zu fahren – das funktioniert in einigen Regionen sehr gut. Trotzdem bedauert beispielsweise Bürgermeister Huber, dass der Wanderbus trotz intensiver Bewerbung zu wenig angenommen werde. „Der Naturliebhaber ist zu bequem, mit dem ÖPNV anzureisen, der aber natürlich auf dem Land ohnehin nur spärlich, zumal am Wochenende unterwegs ist.“ Die Gemeinde bietet daher einen Wanderbus, der von Mai bis Oktober an Sonn- und Feiertagen zweimal täglich Rosenheimer Landkreisgemeinden mit dem Samerberg verbindet. „Normalerweise klappt das auch, dass man die Züge nach München erreichen kann.“ Auch die Alpenwelt Karwendel ist mit dem Bus gut zu erreichen. Wer ins Wandergebiet Kaisergebirge in Tirol möchte, der kann auf den Zug umsteigen und umgeht jeden Stau auf der A8. Mehr Informationen gibt es auf der Website des DAV.

Bergsteigerbus
Öffentlich zum Berg – das geht in immer mehr Regionen
Bildcredit:
Tobias Hipp/DAV

Fahrgemeinschaften bilden

Bergwanderführerin Josefine Lechner führt für diverse Veranstalter ganzjährig Touren in den Alpenlandkreisen Traunstein, Berchtesgadener Land und Rosenheim. Sie trifft sich mit ihren Teilnehmer*innen meistens an Parkplätzen in Autobahnnähe, um dann mit weniger Autos an den Wanderparkplatz zu fahren.

Antizyklisch wandern – Hotspots meiden

Lechner empfiehlt auch, am Wochenende vor allem die „Hotspots“ zu meiden. „Hier in unserer Gegend sind das beispielsweise Hochries, Kampenwand, Hochfelln – also alles Berge, deren Gipfel mit einer Bahn zu erreichen sind. Oder mit besonderen Gerichten auf den Hütten werben.“ Denn mehr Menschen auf einem Fleck erhöhen nach ihren Worten den Druck auf die Bergwelt enorm. Und um alle Gäste auf diesen Hotspot-Hütten gut versorgen zu können, werden nicht nur neue Fahrstraßen gebaut, sondern dann „braucht es auch Strom, Wasser, Abwasser und vieles mehr“, warnt die 57-jährige Chiemgauerin. Noch extremer findet sie, dass Events auf Hütten und neue gastronomische Konzepte, wie beispielsweise für die Frasdorfer Hütte, zunehmen. Die Natur bekomme mit Betrieb bis in die Nacht hinein überhaupt keine Chance mehr zur Erholung.

Nachtruhe für Flora und Fauna achten

Mit den Teilnehmer*innen ihrer Heimat-Entdecker-Touren geht Josefine Lechner zwischen 9 und 16 Uhr in die Berge. „Dann sollte generell jeder vom Berg unten sein, damit sich Tiere und Pflanzen erholen können.“ Lange war die Nacht die Zeit, in der sich die Natur und die in ihr lebende Fauna erholen konnten, konstatiert auch der Bund Naturschutz. Dies habe sich inzwischen erheblich geändert. Viele organisierte Sportveranstaltungen, wie 24-Stunden-Wanderungen und Nacht-Trails, würden die Menschen nach draußen locken. Mountainbiker*innen und Wanderer, die nachts Berghütten und Berggasthäuser aufsuchen, würden der Nacht ihre wichtige Ruhefunktion nehmen.

Touristen auf einem Gipfelkreuz
Nachhaltig: Brotzeit einpacken für die Gipfelpause und bis 16 Uhr wieder im Tal sein
Bildcredit:
Uschi Horner

Umweltbewusst: regional, saisonal und vegetarisch

Die Zeiten, in der es auf den Berghütten gerade mal nur ein paar verschiedene Speisen gab, sind schon lange vorbei. Nichtsdestotrotz sollte jede*r daran denken, dass die Lebensmittel irgendwie auf die Hütte kommen müssen. Bei manchen sogar mit dem Hubschrauber, bei anderen zumindest per Auto. Regionale und saisonale Zutaten sind auf jeden Fall nachhaltiger als importierte Lebensmittel. Ebenso minimiert eine vegetarische Brotzeit den CO-Fußabdruck. Klimafreundlich ist es auch, sich die Brotzeit mal vorzubereiten, und auf dem Berggipfel genüsslich zu verspeisen. Energieriegel beispielsweise lassen sich leicht selbst herstellen.

Eine Tasse Kaffee und Apfelstrudel
Nachhaltig: eine Tasse Kaffee mit Milch im Kännchen und selbstgemachter Apfelstrudel
Bildcredit:
Hans Herbig/DAV

Länderübergreifende Konzepte wichtig

Die Alpenvereine in Österreich, Deutschland, Südtirol, Italien und Slowenien beispielsweise kooperieren bei den sogenannten Bergsteigerdörfern – „ursprüngliche Bergorte zum Genießen und zum Verweilen“. Die in der Initiative vereinten Ort­schaften sind nach Worten des DAV Pioniere in ihren Regionen. Hier hätten die Berge und das Berg­steigen im kulturellen Selbst­verständnis der Ein­heimischen und Gäste einen hohen Wert, und das Bewusst­sein über den not­­wendigen Ein­klang zwischen Natur und Mensch sei lebendig. 2022 sind es bereits 35 Bergsteigerdörfer (in Deutschland Ramsau bei Berchtesgaden, Schleching, Sachrang, Kreuth). Das heißt, diese Gemeinden haben keinen Massentourismus, keine zur Perfektion ausgebauten Skigebiete mit Komplettbeschneiung, keine Après-Ski-Partys oder ressourcenfressende Events im Angebot. Sie eint ein Ziel: den naturnahen und ressourcenschonenden Tourismus konkurrenzfähig zu machen.

Ausblick über Matsch im Vinschgau
Matsch im Vinschgau ist das erste Bergsteigerdorf in Südtirol
Bildcredit:
Uschi Horner

Dieses Ziel verfolgt auch das Netzwerk für klimafreundlichen Urlaub im Alpenraum mit dem Namen „Alpine Pearls“ (unterstützt unter anderem von der Europäischen Union). Die Mitglieder haben sich auf die Fahnen geschrieben, innovative, sanft-mobile Tourismuskonzepte für ihre Gäste umzusetzen. Sie bieten spezielle Angebote für einen Urlaub ohne eigenes Auto bei voller Mobilitätsgarantie. Diese beginnt bereits bei der autofreien Anreise mit Bahn und Bus. Vor Ort stellen Shuttledienste, Wanderbusse, Taxis, e-Autos, Fahrräder und e-Bikes die sanft-mobile Bewegungsfreiheit der Gäste sicher. Mobilitäts-Cards offerieren die kostenfreie Nutzung des öffentlichen Personennahverkehrs. In Deutschland sind die Orte Bad Reichenhall und Berchtesgaden „Alpine Pearls“. Insgesamt sind es 19 Orte in fünf Ländern (Deutschland, Österreich, Italien, Schweiz, Slowenien).

Ausblick über die Bergwelt von Bad Reichenhall
Bad Reichenhall mit seiner spektakulären Bergwelt
Bildcredit:
Kur GmbH Bad Reichenhall
Themen dieses Artikels