Dass im Jahr 2020 alles anders ist, dessen ist sich inzwischen wohl ein jeder bewusst. Doch was bedeutet dieses „alles anders“ eigentlich für unsere sportliche Jahresplanung? Wettkämpfe und Trainingslager abgesagt, kaum mehr greifbare Ziele in Sicht.
Wie weiter machen oder besser gefragt: Wie wieder anfangen? Und wie ist das mit der Motivation, wenn doch alle vom Frühjahr auf Herbst verschobenen Wettkämpfe nun nach und nach auf 2021 verschoben werden?
Zuerst einmal möchte ich grund-positiv beginnen: So ein Jahr ohne Wettkämpfe tut dem Körper gut! Denn sind wir mal ehrlich: Die meisten Hobbysportler stehen lieber einmal zu viel als zu wenig an der Startlinie.
Einhergehend damit verstehe ich aber auch den Frust, wenn man die hart antrainierte Wettkampfform nicht abliefern durfte, beziehungsweise das potentielle Jahres-Highlight immer wieder unbestimmt verschoben wird. Auf einen Wettkampf zu trainieren, das heißt schließlich – auch für Hobbysportler – nicht ausschließlich Spaß, sondern auch Verzicht, Disziplin und meist vor allem eine durchgetaktete Tagesplanung.
Aber: auf einen Wettkampf zu trainieren heißt gleichzeitig auch, sich fit und gesund zu halten. Und genau das ist es doch, worum es in diesem Jahr geht, oder? Ich kann Euch also beruhigen: Für die Katz war das alles also nicht.
Aber wie nun Weitermachen? Bedürfnisorientiert! Jeder Körper – und nicht zu vernachlässigen: jeder Geist – ist individuell und genau so sollte auch das jeweilige Training sein. Trotz sämtlicher Vorgaben zur allgemeinen Strukturierung sollte an erster Stelle immer das Bewusstsein stehen, dass das Training in erster Linie auf die eigenen Bedürfnisse abgestimmt sein soll.
Ganz am Anfang des bedürfnisorientierten Trainings steht also die Frage, was ich jetzt – in einer Zeit ohne Wettkämpfe – erreichen möchte. Ist es das klassische „Mich fit halten“? Herzlichen Glückwunsch. Schwingt Euch aufs Rad, geht schwimmen, trefft Euch einmal die Woche für einen kleinen Kraftzirkel mit Freunden und wenn das Wetter und Stimmung passen – raus auf die Laufstrecke.
Wer Angst hat, dass der Schweinehund überhand nehmen könnte: Schaut nach einer Uhr mit Aktivitätstracker und versucht an mindestens fünf von sieben Tagen auf 100 Prozent zu kommen.
Oder gibt es vielleicht eine konkrete Schwachstelle, an der Ihr schon immer mal arbeiten wolltet, aber nie die Zeit für da war? Wie steht es zum Beispiel um die Koordination? Oder die Rumpfstabilität? Beides sind gerne vernachlässigte Themen bei Ausdauersportlern und für beides braucht man kein besonderes Equipment.
Und dann sind da auch noch so „lästige“ Trainingsbestandteile wie Mobilisation und Stretching – Finetuning quasi.
Und wie schaut es mit der Grundlagenausdauer aus? Ein häufig verwendeter Begriff, aber was genau steckt dahinter und wie bekommt man diese ominöse Grundlagenausdauer, kurz GA?
Die Grundlagenausdauer dient als Basis des gesamten Ausdauertrainings. Vergleicht man das Training mit einem Haus, bildet die Grundlagenausdauer das Fundament, auf dem alles weitere, zum Beispiel auch die Schnelligkeit über längere Distanzen, aufbaut.
Kurz gesagt bezeichnet man als Grundlagenausdauer die Fähigkeit, eine Ausdauerleistung gleichmäßig aufrecht zu erhalten. Das können sowohl 30 Minuten am Stück sein als auch ein deutlich längerer Zeitraum, das hängt vom jeweiligen Trainingsstand ab.
Der Puls sollte beim Grundlagenausdauertraining nicht über circa 150 Schläge +/- (Richtwert) pro Minute steigen. Für genaue bzw. individuelle Pulswerte sollte eine Leistungsdiagnostik durchgeführt werden.
Wie trainiert man die Grundlagenausdauer? Indem man verhältnismäßig langsam und „etwas länger“ läuft. Sprich, wer normal immer 5 Kilometer in 35 Minuten läuft, der darf sich gerne einmal an sechs Kilometern probieren, dann aber gerne 50 Minuten dafür Zeit lassen.
Mein „Pro-Tipp“ für das Grundlagenausdauertraining: Geht wandern! Das bildet nämlich nicht nur die GA aus, sondern schult gleichzeitig auch die Koordination und die Kraft in Rumpf, Oberschenkeln und Waden. Drei in eins also, und da ist der Entspannungsfaktor noch nicht mal mit eingerechnet.
Denn, last but not least: Euer Körper hat 100 Prozent Energie zur Verfügung, keine 120. Von diesen 100 Prozent wird erst einmal alles abgezogen, was überlebenswichtig ist, also Familienangelegenheiten, Job und sonstige Stressfaktoren. Wer dort offene Baustellen hat, kann auf Dauer keine 100 Prozent ins Training geben. Das funktioniert nicht. Das sollte sich ein jeder immer wieder bewusst machen. Funktionieren, in welchen Bereichen auch immer, privat oder beruflich, kann man nur mit dem entsprechenden Entspannungsausgleich. Wer sich also zusätzlich im Training stresst, anstatt es zu genießen, der hat weniger Kapazitäten im Alltag.
Betrachtet 2020 wirklich als Re.Start Jahr. Orientiert Euch an Euren Bedürfnissen, macht die Dinge, die sonst gerne hinten runterfallen. Stärkt die Grundlagen und arbeitet an Defiziten. So seid ihr perfekt gewappnet für alles was kommt. Und wer jetzt immer noch der Wettkampfform Frühjahr 2020 hinterher trauert, den kann ich trösten: unsere Muskulatur ist sehr, sehr merkfähig. Von daher: Let’s Go!
Nach einem starken Re.Start in ein noch stärkeres 2021!
Über die Autorin: Sandra Mastropietro ist 32, lebt mit Mann und Kind (8 Jahre) im Münchner Umland und ist begeisterte Trailrunnerin. Da das mit dem “Schnellwerden” bei ihr nicht so richtig klappen wollte, ist sie auf die langen Distanzen geflüchtet und läuft seither alles zwischen 80 und 168 Kilometern - und das eigenartiger Weise immer mit einem Lächeln im Gesicht. Sandra ist Fachtrainerin für Ausdauersport, Mentaltrainerin und zu allem Überfluss auch noch Schreiberling (Buch Transalpine Run, Delius Klasing 2019 & Läuferleben, Komplett Media 2015). An allererster Stelle sieht Sie sich aber selbst als Mama.
Zu ihren größten Erfolgen zählt das 4-malige Finish des Transalpine Runs, 2x 100 Meilen beim S1 Corsa Della Bora, der Lavaredo Ultratrail, der Namibia Wild Run und das Bestehen beim härtesten Rennen der Welt: dem Dragons Back Race.
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