ISPO.com: Herr Kiehl, Sie sind seit 25 Jahren bei Gore. Wie hat sich der Umgang mit dem Thema Nachhaltigkeit verändert?
Bernhard Kiehl: Damals hat jeder zunächst auf sich geschaut und versucht, seine Produkte besser zu verstehen. Wir setzen uns schon lange mit Ökobilanzen auseinander, untersuchen die Umwelteinflüsse in der Wertschöpfungskette und diskutieren, wer für die jeweiligen Bereiche verantwortlich ist.
Wann ist Gore das Thema angegangen?
Als wissenschaftlich getriebenes Unternehmen beschäftigen wir uns seit 1992 mit Ökobilanzen. Sie sind bis heute das wissenschaftliche Mittel der Wahl, um den gesamten Umwelteinfluss eines Produktes zu messen. Man versucht, alle Prozesse von Produktion, Distribution, Nutzungsdauer und end-of-life zu erfassen mit dem Ziel, zum Beispiel Wasserverbrauch bei Produktion und Färbeverfahren, Chemikalieneinsatz oder CO2-Emissionen zu verringern.
Was kann eine Ökobilanz?
Sie zeigt, dass 65 Prozent der Umweltlast in der Produktion und Distribution entstehen, bis das Produkt im Handel ist. Mehr als ein Drittel des Umwelteinflusses entsteht in der Nutzungsphase, weniger als ein Prozent im end-of-life. Um die aufgewendeten Ressourcen effektiv zu nutzen, sollten die Produkte möglichst lange getragen werden.
Was waren konkrete Maßnahmen?
Das Unternehmen so aufstellen, dass man Umwelteinflüsse systematisch und kontinuierlich verringert, per Umweltmanagementsystem. Wir haben in den vergangenen Jahren den Anteil an Bluesign zertifizierten Laminaten enorm erhöht. Darüber hinaus setzen wir in GORE-TEX Laminaten verstärkt recycelte Textilien ein, die im Spinndüsenverfahren gefärbt werden. 1993 hatten wir in einem Recycling-Pilotprojekt mit Wettbewerbern und Händlern ein Rücknahmesystem aufgebaut, doch der Rücklauf war gering. Vielleicht waren wir zu früh dran. Was wir aber gelernt haben: Auch wenn der Aufwand komplizierter wird, ist es nie wert, Lebensdauer eines Produktes zu kompromittieren.
Funktioniert die Zusammenarbeit mit den Wettbewerbern?
Mal mehr, mal weniger. Es gibt immer noch viel Greenwashing. Bisweilen markige Sprüche, die wenig bis gar nicht von Fakten unterstützt sind. Allein ist es aber schwer, so ein Thema zu treiben. Beispiel Microplastik: Da muss man wissenschaftlich arbeiten, und das allein zu finanzieren, ist schwierig.
Um einige mäßig umweltverträgliche Stoffe kommt man noch nicht herum, korrekt?
Nähert man sich dem Thema, scheint es starke Gegensätze zu geben: die Verwendung von Chemie für ein Produkt zur Aktivität in der Natur. Die Chemie kann aber helfen, dass das Produkt länger hält, was wiederum die effektivste Art ist, Ressourcen zu verwenden. Lässt man die Chemie weg, kauft man sich andere Nachteile ein. Ein verantwortungsvoller Umgang mit den eingesetzten Materialien ist die zentrale Frage.
Welche Stoffe sind noch unverzichtbar?
Wenn es Ersatzstoffe gibt, die weniger belastend sind, gibt es keinen Grund, diese nicht einzusetzen. Früher hat man gewisse Technologien eingesetzt, weil sie überall funktionieren sollten. Für manche Zwecke war das rückblickend betrachtet überdimensioniert. Heute sind wir viel bewusster.
Worauf können wir verzichten?
Der Wasser-Abperl-Effekt wird ja durch Chemikalien erzielt, zum Beispiel Perfluorcarbone (PFCs). Dieser Abperl-Effekt oder Imprägnierung ist sehr wichtig, damit sich das Außenmaterial einer Jacke nicht mit Regen vollsaugt, ein klammes Gefühl auslöst und bei zusätzlichem Wind den Körper auskühlt. Markt-Tests zeigen: Der Konsument schaut auf den Abperl-Effekt. Fehlt diese Funktion, ist der Kunde unzufrieden, beginnt zuhause nachzuimprägnieren oder kauft gar eine neue Jacke – beides hat einen Umwelteinfluss.
Nochmal zu den „bösen“ Stoffen: Um wie viele handelt es sich da?
Bluesign anaylsiert 600 Chemikalien und erstellt ein Profil: Wie gefährlich? Wie viel wird eingesetzt? Beispiel ökologisch bedenkliche PFCs: Wenn die in der Natur freigesetzt werden, bleiben die da sehr lange und werden verfrachtet, wurden schon in der Arktis gefunden. Also sollten wir besser keine freisetzen. Aber für diese hochwirksame Ausrüstung gibt es Stand heute keinen gleichwertigen Ersatz, gerade im Bereich „Extreme and Extended“.
Auch wenn wir das Ziel teilen, das sich die Industrie gesetzt hat, nämlich diese PFCs loszuwerden, müssen wir Grundlagenentwicklung betreiben - das dauert. Wir haben uns 2023 gesetzt, obwohl Greenpeace Druck machte, das müsse bis 2020 gehen. Aber Greenpeace unterstützt die veränderten Entwicklungszeiten, weil ihnen das Vorgehen logisch erschien. Diese Sorgfältigkeit hat Gore ja stark gemacht.
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