Bergzeit gehört im deutschsprachigen Raum zu den führenden Onlineshops im Bergsport. Außerdem hat das Unternehmen zwei Filialen. Wir haben mit Maximilian Hofbauer, seit knapp drei Jahren Geschäftsführer von Bergzeit, gesprochen. Er kennt das Sportartikelbusiness wie kaum ein anderer: Als ehemaliger DACH-Chef von The North Face und Europachef von Icebreaker versteht er die Bedürfnisse von Industrie und Händlern gleichermaßen und sieht die Zusammenarbeit zunehmend kritisch.
ISPO.com: Wie hat sich die Zusammenarbeit zwischen Einzelhandel und Industrie im Zuge der Digitalisierung verändert?
Maximilian Hofbauer: Ich kenne beide Seiten sehr gut und habe mich damals bewusst dafür entschieden, die Industrie zu verlassen und in den Handel zu wechseln, weil ich einige Entwicklungen in der Industrie nicht befürworte. Meiner Meinung nach hat sich die Industrie in eine Sackgasse manövriert, was ihre Zusammenarbeit mit dem Handel anbelangt. Zwar reden alle immer noch von einem partnerschaftlichen Verhältnis zum Handel, aber die Realität fühlt sich oftmals anders an.
Der Trend in der Industrie geht natürlich in Richtung Direktvermarktung, und jetzt kommt es zunehmend darauf an, wie die Marken ihre Multichannel-Strategie tatsächlich umsetzen. Auch international. Fakt ist, dass es derzeit viel zu wenig Abstimmung zwischen Industrie und Handel gibt. Wir tun so, als würden wir noch in einer Partnerschaft leben, aber inzwischen haben wir in weiten Bereichen eine echte Wettbewerbssituation, besonders im E-Commerce.
Es stellt sich die Frage: Braucht eine Marke wirklich fünf, zehn oder mehr Onlinehändler, die das gleiche Produkt verkaufen? Je mehr Händler online verkaufen, desto weniger Preisstabilität gibt es, desto schwieriger wird es, die gleichen Service-Standards zu erfüllen etc. Wenn Marken dann auch noch dazu übergehen, bei Schlussverkäufen, Black Friday und anderen Rabattaktionen mitzumachen, verfällt der Wert der Produkte immer weiter.
Was würden Sie sich also wünschen?
Als ich zu Bergzeit gewechselt bin, dachte ich die Herausforderungen im Handel zu kennen und habe dann festgestellt, dass die Herausforderungen, die die Digitalisierung mit sich bringt, noch weitaus größer sind. Die Industrie hat diese Anforderungen zum Teil bis heute noch nicht verstanden und arbeitet oft noch viel zu stark nach dem klassischen Wholesale-Modell. Die Digitalisierung ist noch nicht ins Großhandelsgeschäft eingedrungen. Die Zusammenarbeit muss effizienter und kostenneutraler werden, mit weniger Touchpoints und mehr Vertikalisierung in den Prozessen.
Klar ist auch, dass nicht jeder digitalisieren kann, die Industrie muss also aufpassen, dass ihr angesichts der aktuellen Flächenerosion nicht plötzlich ein ganzer Vertriebskanal wegbricht. Nur an der eigenen Digitalisierung zu arbeiten wird nicht helfen, die Marken müssten kreativer werden! Ich würde mir wünschen, dass alle etwas ehrlicher wären, was ihre Ziele und Praktiken anbelangt. Die nächsten Jahre werden eine Herausforderung für alle Seiten.
Daten sind auch bei der Zusammenarbeit zwischen Herstellern und Händlern ein Thema. Hersteller würden gerne mehr darüber wissen, welche Artikel bei den Händlern wie verkauft werden. Wie arbeiten Sie mit der Industrie zusammen?
Natürlich sind Daten das Kapital von Morgen. Wir gehen aber relativ freizügig mit Verkaufsdaten gegenüber unseren Lieferanten um und verschicken regelmäßig standardisierte Reports. Warum sollen wir das nicht teilen - es dient am Ende ja dem Interesse aller. Gleichzeitig wollen wir auch die Daten unserer Lieferanten haben, was nicht mit allen gleich gut funktioniert. Natürlich wissen wir, dass die Marken unsere Informationen auch für den Ausbau ihrer eigenen Vertriebskanäle nutzen können, aber wir verstehen die Zusammenarbeit mit unseren Lieferanten partnerschaftlich, und das wollen wir auch so leben.
Zur Situation des Einzelhandels: Welche Herausforderungen sehen Sie derzeit im Einzelhandel an erster Stelle?
Wir wissen alle nicht wirklich, wo es hingeht. Hauptthema wird sein: Was macht Amazon? In welche Ecke des täglichen Lebens rückt das Unternehmen noch vor? Wie verhalten sich die Marken in Zukunft, und wie viele langjährige „Ehen“ mit dem Handel werden zerrüttet, wenn Marken vergessen, wo sie herkommen?
Die Marken sind noch nicht gut darin, diese entstandene Dysbalance, diese Polarisierung und Monopolisierung richtig zu handhaben. Es wird daher eine Herausforderung sein, angesichts der aktuellen Nervosität und Überreiztheit im Markt und auch angesichts der Preistransparenz besonnen zu handeln. Wir müssten uns stattdessen besser abstimmen. Gerade die Top10 Lieferanten sollten meiner Meinung nach mehr Offenheit an den Tag legen.
Digitale Tools auf der Fläche wurden in den letzten Jahren immer wieder angepriesen. Wie sind Ihre Erfahrungen damit?
Wir sind da eher traditionell aufgestellt und deshalb funktioniert es auch gut. Wir nutzen also keine digitalen Tools im Laden, und wir haben den Eindruck, dass die Kunden das auch schätzen. Wir sehen immer wieder, dass die Kunden Menschen sehen wollen, sie wollen persönliche Beratung und den Kontakt haben. Darum geht es im Laden! Einen Bildschirm und ein noch größeres digitales Angebot braucht der Kunde, der zu uns in den Laden kommt, aktuell noch nicht.
Online-Player haben aktuell die Tendenz, in Richtung offline zu expandieren. Bergzeit hat bereits zwei Filialen. Sind weitere in Planung?
Es gibt keine Pläne, weiter im Retail zu expandieren. Wir arbeiten jedoch an der Idee, wie eine dritte Filiale aussehen müsste, was sie bräuchte und was nicht. Ich denke schon, dass sich die Rolle des Einzelhandels mit der zunehmenden Digitalisierung ändert. Diese Rolle variiert je nach Stadt und Land. Wir sind auf dem Land - und dort zählen die gute Beratung und der Service, der natürlich auch reibungsfrei mit unserem Onlineangebot verknüpft ist. Beispielsweise zeigen wir online die Verfügbarkeit im Laden.
Die Arbeit mit Online-Plattformen und Marktplätzen wird immer relevanter, der Handel selbst wird zur Plattform für andere. Ist das für Sie ein Thema?
Wir sind seit 2016 auf Marktplätzen aktiv – auf Amazon, Ebay und Galaxus, jeweils in verschiedenen Länderausprägungen. Wir müssen dort sein, wo der Kunde hingeht. Marktplätze sind ein Thema, das sich aktuell sehr gut entwickelt.
Auch Händler werden zum Marktplatz, ist das eine Option für Sie?
Wir diskutieren das natürlich, es ist aber noch zu früh, hier eine Aussage zu treffen. Es wird vor allem davon abhängen, wie sich die Industrie weiterentwickelt. Grundsätzlich macht es Sinn, sich als Handel stärker zusammenzuschließen, und natürlich darf man keine Möglichkeit verschlafen.
In welchen Bereichen sehen Sie in den kommenden Jahren weiterhin Wachstums-Potenzial?
Nicht im Bereich neuer Produktgruppen oder Sportarten. Natürlich spricht Lifestyle mehr Konsumenten an, weil es schlicht unspezifischer ist. Das Problem ist dabei immer, dass der Markenkern verwässert wird. Wenn dann Logo-T-Shirts out sind, ist man weg. Weiteres Potenzial sehe ich im Bereich Marktplätze, in der Internationalisierung und darin, unseren Job am Kunden weiter zu verbessern.
Was ist Ihr Ziel für die nächsten fünf Jahre?
Wir wollen in Europa als die kompetente Bergsportplattform wahrgenommen werden, über die jeder stolpern muss, der im Internet in diesem Segment unterwegs ist. Plattform ist hier nicht als Marktplatz gemeint, sondern als eine Anlaufstelle für ganz unterschiedliche Angebote, vom Produkt über Beratung und Service bis hin zu Informationen und Erlebnissen rund um den Bergsport.
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