Gaming und auch kompetitives Gaming, also eSports, sind zumindest theoretisch sehr integrativ und divers. Anders als beispielsweise beim Fußball, Tennis, Volleyball, Leichtathletik und eigentlich allen anderen klassischen Sportarten, wo nicht nur Männer- und Frauenteams, sondern auch physisch beeinträchtigte Personen getrennt voneinander antreten müssen, ist eSports integrativ. Jeder kann hier gegen jeden antreten. Letztlich geht es nur um die Fähigkeiten im Spiel.
Das beweisen eSports-Profis wie Niklas Luginsland, den wir zur ISPO Digitize 2019 bereits auf ISPO.com vorgestellt haben. Trotz Glasknochenkrankheit ist er seit mehreren Jahren FIFA-Profi beim VFB Stuttgart und spielt das Fußballsimulationsspiel auf höchstem Niveau in der deutschen Bundesliga.
„Bezogen auf meine physische Einschränkung gibt es im eSports natürlich keine Barrieren. Im eSports kann ich genauso, wie jeder andere eben, den Controller in die Hand nehmen und einfach loslegen. Und kann da genauso Erfolge erzielen."
Aber auch immer mehr weibliche eSports-Profis stehen im Rampenlicht. Sasha „Scarlett“ Hostyn ist seit Jahren ein Stern am eSports-Himmel. In StarCraft 2 gehört sie sowohl nach gewonnenem Preisgeld als auch nach dem Elo-System seit zehn Jahren fast durchgehend zu den besten Spieler*innen der Welt und zu den 10 besten Nicht-Koreanischen Spieler*innen.
Doch trotz dieser positiven Beispiele für die integrativen Möglichkeiten des eSports, ist echte Diversität, vor allem im Profibereich, noch keine Realität. Weiterhin gibt es eine deutliche Mehrzahl von männlichen Profispielern. Einer aktuellen Schätzung zufolge liegt der Prozentsatz der weiblichen Profispieler bei nur 5 %. Das ist erschreckend, wenn man sich diese Zahl im Vergleich zu den fast 60 % der Frauen im Alter von 18-29 Jahren ansieht, die regelmäßig Videospiele spielen. Der Profi-Gaming-Bereich wird also zu 95 % von Männern dominiert. Aufgrund dieser mangelnden Vielfalt gibt es in der Branche mehrere Gruppen und Bewegungen, die sich dafür einsetzen, eSports allgemein integrativer zu gestalten.
Immer wenn die Diskussion über Frauen im eSports-Bereich angestoßen wird, muss man sich natürlich auch einer Diskussion über die Gaming-Szene und eSports-Kultur im Allgemeinen stellen. Das Spielen von Videospielen ist bei jungen Mädchen noch nicht so in der Gesellschaft akzeptiert und weniger weit verbreitet, wie bei Jungen. Dadurch fangen Mädchen oft sehr viel später mit dem Spielen an und hören vor allem als Jugendliche wieder damit auf. Doch in den letzten Jahren ändert sich das. Im Jahr 2020 gaben 96 % der Jungen und 76 % der Mädchen an, regelmäßig Videospiele zu spielen, während die entsprechenden Zahlen im Jahr 2018 bei 96 % und 63 % lagen. Diese Zahlen zeigen, dass die gesellschaftliche Akzeptanz von Gaming, auch bei jungen Mädchen, erst in den letzten Jahren stark voranschreitet.
Hinzu kommt, dass junge Mädchen sich eher selten selbst als wirkliche Gamerinnen sehen, und Computerspiele für sie oft nur einen Zeitvertreib darstellen. Bei Jungen ist es deutlich häufiger der Fall, dass diese sich selbst als Gamer identifizieren und ihr ganzes Leben rund um Computerspiele und den eSports auslegen. In oben zitierten Befragung gaben mehrere Jungen an, sich eine eigene Zukunft vorstellen zu können, in der Computerspiele eine zentrale Rolle spielen. Zum Beispiel einen Beruf als eSports-Athlet, Streamer oder Spieleentwickler.
Doch auch, wenn weniger junge Mädchen und Frauen Computerspiele als festen Bestandteil ihres Lebens sehen; diejenigen, die es tun, haben in der Onlinewelt häufig mit mehr Problemen zu kämpfen, als ihre männlichen Mitspieler. Von Chancengleichheit ist der eSports hier weit entfernt.
Die persönliche Erfahrung vieler Spielerinnen zeigt, dass Jungen und Männer die Spielerinnen oft nicht ernst nehmen oder sogar anbaggern und sexuell belästigen. Geht man auf diese Annäherungsversuche nicht ein, folgen nicht selten sexistische Beleidigungen. Es ist schwer vorstellbar, in einem solchen Umfeld die Motivation zu entwickeln, die notwendige Zeit und Arbeit hineinzustecken, die heutzutage notwendig ist, um auf höchstem Niveau im eSports-Bereich mitzuhalten.
Eine Diskussion über Diversität im eSports und Gleichberechtigung ist deshalb notwendig und muss geführt werden.
Auf der Suche nach Erklärungen für die fehlende Diversität muss man also auch bei der Basis der Gaming-Community anfangen. Denn nur wer irgendwann mal als Casual-Gamer begonnen hat, kann später auch zum Profi werden. Die allermeisten Frauen, schaffen diesen Schritt zum Profi, wie dargestellt, allerdings nie. Grund dafür, könnte die toxische Gaming-Community sein.
Denn wer jemals ein Multiplayer-Onlinespiel gespielt hat, der weiß, dass hier toxische Kommentare, Trolling und Cybermobbing an der Tagesordnung sind. Dieses Phänomen ist in der Gaming-Welt ein Problem, dass es bereits seit dem allerersten Tag gibt. In manchen Spielen mehr, in anderen weniger, doch letztlich ist jedes beliebte Multiplayer-Spiel davon betroffen. In einer Studie aus dem Jahr 2020 wurden mithilfe des Toxic Comment Classifiers von IBM die unterschiedlichsten Gaming-Communities auf der Internetplattform Reddit untersucht, um herauszufinden, welche Spiele am meisten mit diesem Problem zu kämpfen haben. Auffällig dabei ist vor allem, dass fast alle hochkompetitiven eSports-Titel wie Counter Strike: Global Offensive, DOTA 2, League of Legends und Overwatch auf dieser Liste der toxischsten Communities vertreten sind. Wer diese Spiele also regelmäßig spielt, wird früher oder später (und wenn wir ehrlich sind, meistens früher) mit homophoben, sexistischen und rassistischen Aussagen konfrontiert.
Erneut sind Frauen hiervon übrigens besonders betroffen. Eine Untersuchung von PickFu und Utopia Analytics aus dem November 2021 zeigt, dass 30 % der befragten Frauen Beleidigungen und Toxizität beim Spielen von Online-Spielen direkt erlebt haben. Die meisten von ihnen (72 %) wurden direkt mit Sexismus und Frauenfeindlichkeit konfrontiert. Im Vergleich dazu gab keiner der männlichen Befragten an, irgendeine Form von geschlechtsspezifischer Diskriminierung erlebt zu haben.
Auch LGBTQ+-Spieler berichten ähnliche Erlebnisse. Eine von der Gaming-Website OnlineRoulette.org veröffentliche Befragung von 788 Menschen zwischen 18 und 70 Jahren zeigt, dass auch 73 % aller LGBTQ+-Sportler aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität belästigt wurden. Bei den Spielern, die sich online outen, ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie verbal belästigt werden, um 21 % höher als bei den anderen Spielern.
Die eSports-Branche weiß selbst, dass der aktuelle Zustand der Profiszene nicht erstrebenswert ist. Gerade in den letzten Jahren reagieren Spielehersteller*innen, Turnierveranstalter*innen und eSports-Organisationen mit Projekten, die beispielsweise Frauen und LGBTQ+-Gamer*innen ins Rampenlicht rücken und damit Werbung für die Diversität und die integrativen Möglichkeiten des eSports machen.
Doch nicht alles, was glänzt, ist auch wirklich Gold. Aus Turnieren und Ligen, die nur für Frauenmannschaften zugänglich sind, entstehen Debatten darüber, ob männliche und weibliche Spieler*innen überhaupt zusammen spielen sollten. Und oft wirken diese Projekte eher wie missglückte PR-Stunts, als Maßnahmen, die wirklich die Diversität im eSports fördern.
So stellte die russische eSports-Organisation Vaevictis im Jahr 2019 erstmals ein Team für die League of Legends Continental League (LCL), das nur aus Frauen bestand. Das Team konnte allerdings in 28 Spielen nicht einen einzigen Sieg erzielen, stellte einen Ligarekord für die durchschnittlich kürzeste Spielzeit, also die durchschnittlich schnellsten Niederlagen, und die häufigsten Ingame-Tode auf. Spielerhersteller Riot Games warf das Team in der nächsten Saison folgerichtig wieder aus LCL heraus. Ob das Projekt jetzt wirklich ein Erfolg, Werbung für Frauen im eSports war und weibliche Gamerinnen dazu ermutigt hat, eine Profikarriere anzustreben, sei an dieser Stelle mal dahin gestellt.
Doch es gibt natürlich auch positive Beispiele und diversitätsfördernde Projekte. Beispielsweise setzt sich die Telekom im Rahmen der Equal eSports Initiative für mehr Diversität im eSports und Gaming ein.
„Gaming und eSports sind heute feste Bestandteile der Alltagskultur vieler Heranwachsenden. Mit der neuen Initiative möchte die Telekom diese Bewegung unterstützen und zentrale Themen wie Diversität, Inklusion und digitale Bildung stärken”, sagt Birgit Bohle, Personalvorstand und Arbeitsdirektorin der Deutschen Telekom AG.
Das Projekt umfasst zum einen ein Profi Female Team im Spiel League of Legends in Zusammenarbeit mit SK Gaming. Die erste rein weibliche Profi-Mannschaft in Deutschland wird professionell trainiert und kann so auf höchstem Niveau in seine Wettkämpfe gehen.
Ein weiterer Teil ist das Female Player Program, bei dem vor allem die Förderung des Nachwuchses im Fokus steht. Zusätzlich umfasst die Initiative das Equal eSports Council, bestehend aus 13 Top-Spielerinnen und Größen der Esports Szene wie Melly, Miss Rage, Anna Baumann oder Kristin Banse. Zusammen mit einem Netzwerk starker Frauen aus der Wirtschaft wird dieses Council das Programm steuern.
Doch nicht nur Frauen werden gefördert. Auch Menschen mit Beeinträchtigungen haben ihren Platz im eSports und ihre Präsenz muss mit geeigneten Projekte gefördert werden. Nennenswert ist hier zum Beispiel die Kooperation von Microsoft und den Paralympics „Gaming for Inclusion“. Das virtuelle, mehrtägige eSports-Turnier brachte mehr als 90 Paralympics-Athleten für eSports-Wettbewerbe in den Spielen Forza Motorsport 7, Madden NFL 22 und Rocket League zusammen.
eSports hat, noch mehr vielleicht als traditioneller Sport, die Möglichkeit Menschen zu verbinden, zusammenzubringen und Grenzen zu überwinden. Entscheidend ist aber zu wissen, dass diese theoretische Möglichkeit nicht automatisch auch eine praktische Umsetzung nach sich zieht. Alle Beteiligten der Branche – egal ob Spielehersteller*innen, Turnierveranstalter*innen, Sponsoren, Marken und natürlich auch Spieler*innen selbst – müssen sich darüber im Klaren sein, dass der eSports noch längst nicht so integrativ ist, wie er oft vorgibt zu sein. Dabei spielen zum einen fundamentale, gesellschaftliche Unterschiede eine große Rolle, trotzdem ist aber auch die Gaming-Community nicht ganz unschuldig. Wichtig ist, eine offene Diskussion über die Missstände und Probleme, aber auch über positive Projekte in diesem Bereich, zuzulassen. Gleichzeitig sollten Spieler*innen jeder Art, die Teil der Gaming- und eSports-Community sind und werden wollen, von eben dieser Community gefördert, gefeiert und wertgeschätzt werden.
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