Knapp 18 Prozent der Weltbevölkerung leben in Indien. Nicht nur seine 1,429 Milliarden Einwohner*innen machen das Land als Sportmarkt hochinteressant und spannend. In keiner anderen großen Nation ist die Bevölkerung so jung – im Schnitt zehn Jahre jünger als in China. Über ein Viertel der Menschen sind zwischen 15 und 29 Jahren alt. Vor allem die jungen Inderinnen und Inder haben so viel Lust auf Bewegung und Outdoor, dass Experten sicher sind: Der Sport wird die nächste ganz große Industrie in Indien. Gaurav Vazirani, nationaler Direktor der New Yorker Mediagentur GroupM, sieht deshalb exzellente Zukunftschancen: „Die indische Sportindustrie ist bereit für weiteres Wachstum und Entwicklung. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Expansion über Cricket hinaus. Der Aufbau einer starken Sportkultur kann die Entwicklung weiterer Weltklassesportler und -mannschaften unterstützen.“
Der indische Sportsektor, der unter anderem aus Medienrechten, Sponsoring, Bekleidung, Ausrüstung oder Sporternährung besteht, soll bis 2027 einen Gesamtumfang von über 100 Milliarden US-Dollar erreichen – beinahe viermal so viel wie die 27 Milliarden Dollar aus dem Jahr 2020. Das prognostizieren die Experten von Anand Rathi Investment Banking. Der Nachholbedarf ist dabei immer noch gewaltig. Um das zu verstehen, genügen einige Zahlen: Üblicherweise trägt der Sport in entwickelten Ländern zwischen zwei und vier Prozent zur Zahl der Beschäftigten bei – mit Athleten, Trainern, Eventmanagern, PR-Experten, Geräteherstellern und vielen anderen Jobs. In Indien sind es bisher dagegen nur 0,05 Prozent. Hier beginnt gerade eine gewaltige Aufholjagd.
Ein großer Faktor ist dabei die Unterstützung der Regierung in New Delhi und in den indischen Bundesstaaten. „Die Politik geht sehr entschlossen dabei vor, Sport und Fitness voranzutreiben. Es wurde eine Vielzahl von Initiativen und Programmen gestartet“, weiß Gautam Mehra, Category Manager der ISPO für Indien. Das liegt auch daran, dass trotz der überdurchschnittlich jungen Bevölkerung in den vergangenen Jahren Zivilisationskrankheiten wie Fettleibigkeit, Schlaganfall, Typ-2-Diabetes, Herzkrankheiten und Arteriosklerose auch in Indien mehr und mehr um sich greifen. Das motiviert Millionen von Menschen zum Sport. Daher steigt die Zahl der Fitnessstudios und -zentren sprunghaft – was wiederum den Absatz von Sport- und Fitnessartikeln ankurbelt.
Die Politiker*innen in Indien haben verstanden, dass eine leistungsfähige Infrastruktur das Rückgrat des Sport-Ökosystems ist. Deshalb baut das Land aktuell zahlreiche neue Stadien, Trainingszentren, Akademien und andere Sporteinrichtungen. So entstehen unter anderem das Gwalior International Cricket Stadium in Madhya Pradesh oder der Neubau der Gopichand Badminton Academy in Hyderabad. Bereits in Betrieb ist die Cricket-Arena Narendra Modi Stadium in Ahmedabad, mit 132.000 Sitzplätzen das größte Sportstadion der Welt. Hier fand im November 2023 das Endspiel der Cricket-WM statt – bei dem die Finalniederlage gegen Australien ein schwerer Schlag für das Cricket-verrückte Indien war.
India Sporting Goods Fair 2024
Die India Sporting Goods Fair 2024 (ISGF) ist eine Sportmesse von „The Sports Goods Export Promotion Council“, einer Initiative des Ministeriums für Handel und Industrie der indischen Regierung. Die Organisation soll Indiens Sportindustrie fördern und globale Partnerschaften initiieren.
Die ISGF findet am 19. und 20. März 2024 im „The Leela Ambience Convention Hotel“ in Neu-Delhi statt.
Die Leidenschaft der Inder für Cricket ist nicht einmal mit der Begeisterung der US-Fans für American Football oder dem Enthusiasmus in Europa und Südamerika für Fußball zu vergleichen. Cricket ist in Indien mehr als Sport – es ist Teil der Kultur des Landes und verbindet viele Millionen von Menschen. Bei den landesweiten Ausgaben für Sport hatte Cricket 2021 einen Anteil von 88 Prozent. Doch andere Sportarten holen langsam auf: 2022 schrumpfte die Dominanz von Cricket zumindest ein wenig auf 85 Prozent.
„Gerade bei der jungen Bevölkerung wird beispielsweise Fußball immer beliebter“, weiß ISPO-Manager Gautam Mehra. Doch die Zahlen aus der Cricket-Industrie sind nach wie vor phänomenal. Spieler-Legende Virat Kohli hat 266 Millionen Follower auf Instagram. Für ihre Medienrechte von 2023 bis 2027 hat die Indian Premier League (IPL) von den TV-Sendern Viacom18 und Star Sports 6,4 Milliarden US-Dollar erlöst. Mit solchen Summen kann allenfalls die US-Footballliga NFL mithalten. Und noch eine faszinierende Zahl: Das IPL-Finale 2023, das die Chennai Super Kings gegen die Gujarat Titans gewonnen haben, war mit 32 Millionen Zuschauern weltweit die bisher meistgestreamte Sportübertragung.
Doch die Zeiten, in denen sich das indische Sportpublikum allein auf Cricket oder Hockey konzentriert hat, sind vorbei. Es gibt neue Held*innen und Idole. Speerwerfer Neeraj Chopra wurde 2021 in Tokio erster indischer Leichtathletik-Olympiasieger – und nach Sportschütze Abhinav Bindra (2008) der erst zweite indische Athlet mit einer Einzelmedaille bei Olympia. Dafür wurde er in seiner Heimat mit Orden und millionenschweren Prämien überhäuft. Unter anderem ließ Premierminister Narendra Modi ein persönliches Preisgeld von umgerechnet 113.000 Euro springen. Neben Goldbarren erhielt der neue Volksheld mehrere Autos. Doch Neeraj Chopra kann jetzt noch viel komfortabler reisen: Von der Fluggesellschaft Air India gab es ein lebenslanges kostenloses Upgrade auf die Business Class.
Neben Chopra, der 2023 auch Speerwurf-Weltmeister wurde, hat Indien weitere Sportstars, die keinen Cricketschläger in der Hand halten – darunter Badmintonspielerin P. V. Sindhu, Gewichtheberin Saikhom Mirabai Chanu oder Tennis-As Sania Mirza, einstige Nummer eins der Doppel-Weltrangliste. Sie alle ermuntern junge Inderinnen und Inder, ihnen nachzueifern. Das Selbstbewusstsein der jungen Generation wächst, weiß Sportexperte Gautam Mehra: „Früher war das Gefühl in Indien, dass wir im internationalen Spitzensport ohnehin keine Chance haben. Jetzt hat sich das geändert. Und die jungen Leute denken sich: Wenn die das schaffen, kann ich das auch.“
Im Vergleich zum Westen und auch zu China prägen viele landestypische Besonderheiten den indischen Sportmarkt. Marken und Firmen, die hier Erfolg haben wollen, müssen sie verstehen und in ihre Strategie integrieren.
- Cricket-Dominanz: Indiens Nationalsport genießt eine dominierende Stellung – was sich in hohen Zuschauerzahlen, umfangreichen Sponsoring-Deals und einer beträchtlichen Menge an Merchandising zeigt. Cricket saugt im indischen Sport einen großen Teil der Budgets auf – lässt aber durchaus Marktchancen für nachrückende Sportarten wie Fußball, Tennis, Basketball, Boxen oder auch für das in Indien sehr beliebte Rugby-Pendant Kabaddi.
- Junge Bevölkerung: Der indische Markt wird stark von seinem „jungen Viertel“ zwischen 15 und 29 Jahren geprägt, das ein hohes Interesse an Sport und Fitness zeigt.
- Stark unterschiedliche Einkommensgruppen: Der Markt bedient eine breite Palette von Einkommensgruppen, von traditionellen und sehr preisbewussten Konsumenten bis hin zu Premium-Käufern, die hochwertige Sportartikel und -erlebnisse suchen. ISPO Manager Gautam Mehra erklärt: „Früher war Indien ein sehr preissensibler Markt. Mittlerweile gibt es größere Bevölkerungsgruppen, die in der Lage und willens sind, Geld für Premium-Produkte auszugeben.“ Allein die Bevölkerungszahl sorge schon für einen viel Potenzial, so Mehra: „Auch wenn der Prozentsatz an Leuten, die hier viel Geld ausgeben, im Vergleich zu anderen Ländern noch relativ gering ist – mit 1,4 Milliarden Menschen ist das natürlich trotzdem ein Riesenmarkt.“
- Städtische vs. ländliche Konsumenten: Während in städtischen Gebieten ein größeres Bewusstsein und eine höhere Nachfrage nach Vielfalt im Sport besteht, gibt es in ländlichen Regionen eine starke Neigung zu traditionellen Sportarten wie Cricket und zu eher konservativen Outdoor-Aktivitäten.
- Regionale Vorlieben: Neben Cricket gibt es regionale Präferenzen für bestimmte Sportarten, wie beispielsweise Fußball in Westbengalen und Kerala oder Kabaddi in Punjab und Haryana. Diese Vielfalt führt zu einem fragmentierten Markt mit sehr unterschiedlichen Zielgruppen.
- Infrastruktur: Im Vergleich zu den etablierten Sportmärkten in China, Nordamerika und Europa steht Indien vor größeren infrastrukturellen Herausforderungen, die das Wachstum und die Professionalisierung bestimmter Sportarten behindern können.
Mit Sportbekleidung und -ausrüstung, insbesondere für Cricket, aber auch für andere aufkommende Sportarten wie Fußball und Badminton, lassen sich in Indien gute Geschäfte machen. Auch Heimfitnessgeräte, Fitness-Tracker, Protein-Ergänzungen und Sporternährung werden vor allem in den Städten immer beliebter. Die Dominanz von Cricket lenkt die Aufmerksamkeit und die Ressourcen von anderen Sportarten ab – bietet aber auch die Möglichkeit, von der Popularität und dem Erfolg des Nationalsports zu profitieren. Bei der technikaffinen jungen Bevölkerung haben zudem digitale Dienstleistungen und eSports großes Potenzial.
Die Vorherrschaft von Cricket sowie regional sehr unterschiedliche Kulturen und Vorlieben erschweren aber den Einstieg und anhaltenden Erfolg – ebenso wie die oft nicht allzu kooperative Verwaltung mit ihrer Korruption. Tipp von ISPO Manager Gautam Mehra: „Der indische Sportmarkt ist spannend und bietet große Wachstumschancen. Wer als ausländischer Akteur Erfolg haben will, sollte sich aber Partner vor Ort suchen, die das Land und seine Kultur verstehen.“
Cricket-Legende Harbhajan Singh, Weltmeister 2011 und mittlerweile Politiker, bringt die sportlichen Erfolgsaussichten Indiens so auf den Punkt: „Um Indien zu einer Sportnation zu machen, bedarf es einer gemeinsamen Anstrengung aller. Wir müssen eine Kultur des Sports fördern und zur Teilnahme an allen Sportarten ermutigen. Durch Investitionen in die Sportinfrastruktur und die Unterstützung von Sportlern können wir eine Nation von Champions schaffen.“
Welche besonderen Merkmale zeichnen den Sportmarkt in Indien aus?
Der indische Sportmarkt wird von der Dominanz von Cricket, der jungen Bevölkerung, stark unterschiedlichen Einkommensgruppen, städtischen und ländlichen Konsumenten sowie regionalen Vorlieben geprägt.
Wie unterstützt die Politik den Sport in Indien?
Die Regierung investiert in die Sportinfrastruktur und fördert Initiativen zur Förderung von Sport und Fitness, angesichts zunehmender gesundheitlicher Probleme wie Fettleibigkeit und Diabetes.
Welche neuen Sportstars sind in Indien auf dem Vormarsch?
Neben Cricket-Stars wie Virat Kohli gibt es neue Idole wie den Leichtathleten Neeraj Chopra, der bei den Olympischen Spielen 2021 eine Goldmedaille gewann, und andere wie P. V. Sindhu, Saikhom Mirabai Chanu und Sania Mirza.
Welche Chancen bietet der indische Sportmarkt?
Es gibt Chancen für Sportbekleidung, -ausrüstung und -ernährung, insbesondere in aufstrebenden Sportarten wie Fußball und Badminton, sowie für digitale Dienstleistungen und eSports bei der technikaffinen jungen Bevölkerung.
Welche Herausforderungen gibt es auf dem indischen Sportmarkt?
Herausforderungen sind die Vorherrschaft von Cricket, kulturelle Vielfalt und regionale Vorlieben, infrastrukturelle Probleme sowie bürokratische Hürden und Korruption. Eine lokale Partnerschaft ist empfehlenswert.
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