Buzzwords kommen und gehen wie Modetrends. Eines, was aktuell gerne im Marketing genutzt wird, ist „holistisch“, also Dinge als Ganzes verstehen, anstatt sie in isolierte Teile zu zerlegen. Der holistische Ansatz der ISPO Munich 2023 war jedoch kein inhaltsleerer PR-Sprech, sondern ein Konzept, das den Sport in seiner Komplexität greif- und erfahrbar gemacht hat – und das durch ein abwechslungsreiches Programm auch bestätigte.
Gesundheit und Fitness, Emotion und Gemeinschaft, Integration und Innovation, Nachhaltigkeit und Klimaschutz, Wettbewerb und Wachstum … Sport ist nichts weniger als der Kit unserer Gesellschaft und der Motor für viele notwendige Veränderungen. Diese Kraft war erneut spürbar im Trade Fair Center Messe München. „Sport ist vielleicht eines unserer letzten großen Lagerfeuer“, sagte zum Beispiel Professor Ralf Roth von der Deutschen Sporthochschule auf dem Wintersport-Symposium. „Das müssen wir uns erhalten und für die Zukunft ausrichten. Und diese Aufgabe sollten wir mit Zuversicht und ohne Angst angehen.“
- Kollaborationen stärken die Branche gegen Krisen
- Kreislaufwirtschaft kommt ins Laufen
- Naturmaterialien stehen vor dem Durchbruch
- Digitalisierung hat das nächste Level erreicht
- Fusion von Sport und Fashion differenziert sich aus
- Awareness für (Mental) Health bleibt wichtig
- Talentsuche hat noch Luft nach oben
- Frauen rücken noch mehr in den Fokus
- Communities fördern Bindung und Umsatz
Die Branche rückt zusammen, besonders in der aktuell schwierigen Marktsituation und mit vielen regulatorischen Aufgaben vor der Brust. Brands müssen neue Wege gehen, Vertrieb läuft längst nicht mehr nur über den Preis, sondern auch über Purpose, Engagement und Transparenz. Alleine lassen sich diese Aufgaben kaum stemmen. Branchenverbände wie die European Outdoor Group (EOG) oder die World Federation of Sporting Goods Industry (WFSGI) helfen dabei. Letztere hat auf der ISPO Munich angekündigt, künftig mit der WHO zusammenzuarbeiten, um Initiativen zur Förderung körperlicher Bewegung zu entwickeln. Die EOG hat ihrerseits den neuesten Report des Outdoor Retailer Climate Commitment präsentiert, in dem elf Outdoor-Händler aus Europa ihre gemeinsamen Anstrengungen für den Klimaschutz nachweisen. Auch auf Produktebene zeigten sich spannende Kooperationen, wie etwa von Deuter und dem Start-up Exopek. Exopek hat ein tragbares Fitnessstudio entwickelt, das mit dem ISPO Award 2023 ausgezeichnet wurde.
Beim Thema Nachhaltigkeit sind die Vorreiter aus der Branche aus den Kinderschuhen herausgewachsen. Immer mehr Marken und Branchenteilnehmer*innen machen sich umfassend Gedanken, wie der Weg zu einer funktionierenden Kreislaufwirtschaft gestaltet werden kann. Klar ist, wir stehen noch am Anfang. Doch Design für kreislauffähige Produkte haben viele Marken wie Houdini, Vaude oder Picture Organic Clothing, aber auch Ingredient Brands wie Polartec ganz oben auf der Agenda und setzen davon immer mehr um. Damit rückt auch die Langlebigkeit von Produkten weiter in den Fokus. Reparaturen und Re-Use-Angebote müssen elementarer Bestandteil des Produktlebenszyklus werden. Vielen Marken wie Patagonia oder Vaude bieten dies schon seit Jahren an, weitere, wie Bergans of Norway, folgen. Auch Retailer springen auf den Zug auf und installieren Re-Use-Bereiche in ihre (Online-) Shops.
Es ist ein Anliegen der Marken, ihre Bemühungen auch zu kommunizieren. Denn wichtig neben den Angeboten ist es, auch die Teilnahme daran zu erhöhen. „Die Frage, die wir uns stellen, lautet: Wie können wir unsere Kundschaft ausreichend informieren, ohne, dass wir sie vor den Kopf stoßen“, sagte Guillaume Robert von Picture Organic.
Die wohl größte Hürde auf dem Weg zur Kreislaufwirtschaft gilt es jedoch beim Recycling zu überwinden. Hier sind komplexe Cross-Industry-Entwicklungen nötig, um wirklich in einem geschlossenen Kreislauf zu produzieren.
Das Problem Recycling könnte auch auf andere Weise angegangen werden: Zum Beispiel, indem man Materialien verwendet, die kompostierbar sind. In der Circular Experience auf der ISPO Munich 2023 wurden einige Ideen für Raw Materials präsentiert, allen voran Myzel – die wurzelartige Struktur von Pilzen.
Myzel kann in einer Laborumgebung kultiviert werden und sogar in eine vorgegebene Form hineinwachsen, etwa in einen Helm, wie studioMOM zeigte. Auch Verpackungen oder Lederalternativen sind möglich. Oder alternatives Fleisch, wie es Infinite Roots® (Mushlabs) entwickelt. Neben Pilzen gab es noch mehr zu sehen: Textilien von Ananas Anam Ltd. aus Ananasblattfasern, eine Daunenalternative auf Rohrkolben-Basis von traceless materials, Algen-EVA von Bloom oder ein biobasiertes Polymer von Arkema aus Rizinusbohnen. WINQS hat mit dem neuen MAXFLY bereits einen Schuh mit einem Bio-Anteil von 84 % konstruiert. Bis 2027 sollen 100 % erreicht werden, u. a. mit Wolle, Rizinusbohnen, Zuckerrohr, Stärke, Naturkautschuk – und Pilzen.
Health, Training, Produkte, Medien, Lieferketten, Administration – die fortschreitende Digitalisierung beeinflusst alle Bereiche des Sports. Und das immer konkreter und immer schneller. Für B2C war das ganz anschaulich zu erleben im GameChanger SportsHUB und im Future Lab, wo einerseits AR- und VR-gestützte Gamifikation-Anwendungen getestet werden konnten und andererseits in Hackathons Ideen für neue kreative Digitallösungen entwickelt wurden. Zum Beispiel, um Jugendliche spielerisch zu mehr Bewegung zu animieren oder das darbende Vereinsleben zu reanimieren.
Die Digitalisierung durchdringt auch B2B. Denn viele Prozesse können durch strukturierte Datenverarbeitung vereinfacht bzw. ermöglicht werden – eine wichtige Voraussetzung für Kollaborationen und das Erfüllen der regulatorischen Anforderungen der EU, wie etwa den digitalen Produktpass.
Ein konkretes Beispiel ist der Outdoor Market Intelligence Service (OMIS), den die EOG zusammen mit dem Marktforschungspartner Sporting Insights entwickelt hat. Dahinter steckt ein Online-Dashboard, das aktuelle, aggregierte monatliche Verkaufsdaten auf Marken- und Produktebene von einer kritischen Masse von Outdoor-Händlern zusammenfasst. Für den britischen Markt ist das Tool bereits aktiv, eine Ausweitung auf Europa ist geplant.
Der Begriff „Gorpcore“ reicht längst nicht mehr aus, um die Verschmelzung von Fashion und Sport zu beschreiben. Beide sind längst untrennbar miteinander verknüpft – das zeigen auch Stars wie Rihanna, die bei der Halftime-Show des Super Bowls Schuhe von Salomon trug. Zudem wird der Trend immer diversifizierter, freier und inklusiver. Mittlerweile haben sich zahlreiche Strömungen herausgebildet: Ob Großstädter, die nach der Arbeit noch in den Wald gehen, das TikTok-Phänomen „Soft Hiking“ für diejenigen, die in der Natur ein wenig Achtsamkeit suchen oder Hardcore-Sportler*innen, die viel Wert auf Style legen – für jede und jeden ist etwas dabei. Und so werden Outdoor-Stores immer mehr auch zu Fashion-Boutiquen.
Was es noch gebraucht hat? Einen Ort, an dem diese Verschmelzung gelebt und gefeiert werden kann. Hier hat sich ISPO mit der Hype-Brand Highsnobiety zusammengetan und Ende 2022 die Plattform 520M ins Leben gerufen. „ISPO und Highsnobiety haben gemeinsam schon eine Weile lang auf diesen Punkt hingearbeitet. Vor über einem Jahr haben wir uns zusammengetan bei einem Thema, das uns beiden sehr am Herzen liegt – dem Sport- und Outdoor-Markt. Wir unterscheiden uns in den Gründen, warum wir ihn so lieben, und das ist die Basis für eine perfekte Partnerschaft“, sagte Tobias Gröber, Head of ISPO Group, zur Eröffnung der Keynote von Highsnobiety auf der ISPO Munich 2023.
Im Training wird nicht mehr nur auf Muskeln, sondern auch auf den Kopf geachtet. Coaches und Athlet*innen kümmern sich zunehmend auch um mentale Gesundheit und eine ganzheitliche Betrachtung. „Man kann Körper und Geist nicht voneinander trennen. Wenn man viel mentalen Stress hat, kann man nicht die gleiche Leistung bringen“, sagte Ireen Wüst, niederländische Eisschnellläuferin, auf dem Global Trainer Summit. Generell wird heute offener über Mental Health gesprochen – sogar in den höchsten Ebenen des Sports, wie Thomas Tuchel, Trainer von Bayern München (Saison 2023/24), auf großer Bühne bestätigte.
Und diese Erkenntnis aus dem Sport überträgt sich auch auf den Arbeitsplatz, wo das Wohlergehen der Mitarbeitenden eine immer größere Rolle spielt. Auch Ana-Marija Garcevic vom IOC stellte die Bedeutung von Sport heraus, denn mangelnde Bewegung hat weitreichende Konsequenzen: „Sport muss auf die politische Agenda! Es ist essenziell für die Gesundheit unserer Gesellschaft. Das hat uns spätestens COVID-19 gezeigt.“
Die Sportindustrie leidet wie viele andere Branchen unter einem Fachkräftemangel. Aber es gibt Hoffnung: Auf der Messe wurden viele innovative Wege aufgezeigt, wie man neue Talente gewinnen und halten kann, zum Beispiel durch die Vorträge beim Career Day. Ganz oben auf der Liste der Bewerber*innen: Purpose. „Wir bekommen viele Initiativbewerbungen“, sagte Benedikt Tröster von Vaude, einer Marke mit einem ausgeprägten Purpose.
Daneben achtet die junge Generation vermehrt auf Flexibilität, die persönliche Weiterentwicklung und vor allem Work-Life-Balance. Gesundheits- und Leistungscoach Marco Grund macht deutlich, dass es vor allem für Gen Z bei der Jobwahl von großer Bedeutung ist, dass Arbeitgeber*innen das Wohlbefinden ihrer Mitarbeiter*innen ins Zentrum stellen. Denn „man hat nur produktive Mitarbeiter, wenn man sich um sie kümmert. Die Zeiten von ‚work hard, play hard‘ sind vorbei!“
Die gute Nachricht: Die Karrieretour hat gezeigt, dass es jede Menge Talente gibt, die nur darauf warten, in der Sportbranche durchzustarten.
Frauen im Sport bekommen endlich mehr Rampenlicht. Es bildet sich eine starke Community, die sich für bessere Bezahlung, mehr mediale Aufmerksamkeit und generell für die Stärkung der Frauen in der Gesellschaft einsetzt. Einige Marken setzen Zeichen, indem sie mehr Frauen in Führungspositionen bringen. Das sendet ein starkes Signal und zeigt, dass es im Sport nicht mehr nur um Männer geht. „Es ist großartig, dass sich in der Branche etwas ändert und dass dieses Problem angegangen wird, denn Outdoor ist für alle da“, sagte Georgina Kirby, General Manager von Kari Traa, beim Women’s Day by ISPO.
Menschen wollen wieder verstärkt in der Gemeinschaft Sport treiben. Soziale Kontakte und Spaß in der Gruppe haben nach der Pandemie große Bedeutung für viele. Ein Grund, warum Padel so erfolgreich ist. „Es ist sehr interessant zu beobachten, wie riesig die Nachfrage nach Open-Matches ist. Häufig kennen sich die Spieler*innen vorher nicht und buchen einen freien Spot“, sagte Filip Kollar von Playtomic, einer Buchungssoftware, die solche Begegnungen ermöglicht.
Ähnliches hat Ronny Kübrich beobachtet, Mitgründer von Sally Trailrunning. Das junge Unternehmen veranstaltet Trailrunning-Events und antwortet damit auf die steigende Nachfrage. „Eigentlich kann man auch alleine querfeldein laufen. Aber die Menschen wollen das in der Gemeinschaft erleben, der Community-Gedanke ist hier sehr wichtig“, erklärt Kübrich. Das gilt auch für Yoga. „Online-Yoga war Corona-bedingt ein großes Ding. Aber die Menschen zieht es wieder zurück in die Studios, in Yoga-Retreats. Yogis suchen die Gemeinschaft, die Nähe zu Gleichgesinnten und die Magie“, so die Einschätzung von James Apppleby, General Manager EMEA von Manduka.
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