Um Nachhaltigkeit ging es auf der ISPO Munich 2020 bei fast jedem Hersteller. Doch der Stand einer Marke fiel besonders ins Auge: Eine drei Meter hohe Plastikflasche ragte bei Wintersport-Spezialist „Picture“ Richtung Decke. Eine überdimensionale Müsliriegelverpackung lenkte daneben von der neuesten Kollektion ab. Und als wäre das nicht provokant genug, hatte jemand vor eine riesige weggeworfene Sardinenbüchse wie vor eine Kutsche zwei Pinguine gespannt.
Naturschutz ist den Menschen hinter Picture wichtig, das war auf einen Blick klar. Mit seiner Schneesport-Hardshell-Jacke auf Bio-Basis gewann Picture den ISPO Award. Und wer den Internetauftritt der französischen Marke besucht, findet das Thema „Nachhaltigkeit“ ganz oben im Drop-down-Menü.
Dass sich Sportartikelhersteller mittlerweile um den Klimawandel sorgen, ist gut und wichtig. Doch sicherlich steckt nicht nur der Umweltschutz hinter solchen Kampagnen. Klimaschutz ist in, Fliegen ist out. Viele Städter wählen grün, Kinder demonstrieren für eine bessere Klimapolitik und ganz Deutschland will die Bienen retten. Wenn in solchen Zeiten eine Sportmarke mit Recycling wirbt, dann kommt das an. Dann ist das sympathisch und trifft den Nerv der Zeit.
„Purpose Driven Marketing“ nennt man es in der Fachsprache, wenn Marken als politische Akteure auftreten, zu gesellschaftlichen Themen Stellung beziehen und eine gewisse Haltung zeigen. Bei diesem „zweckgetriebenen Marketing“ geht es längst nicht nur um Klimaschutz.
Das bis vor kurzem wohl berühmteste Beispiel für Purpose Driven Marketing produzierte 2018 die Firma Nike: Nachdem Football-Star Colin Kaepernick als Protest gegen die Polizeigewalt in den USA 2016 während der Nationalhymne auf die Knie ging und Präsident Donald Trump ihn daraufhin einen „Hurensohn“ nannte, verpflichtete Nike den NFL-Quarterback für seine neueste „Just-do-it“-Kampagne.
Der Sportartikelhersteller setzte damit nicht nur ein Zeichen gegen Rassismus, sondern machte seinen Swoosh zum Symbol gegen Trump. Die Aktion polarisierte, führte zu Boykottaufrufen – und einem Rekordhoch des Nike-Aktienkurses. Bekannt ist auch der Fall von Patagonia: 2019 distanzierte sich der Outdoor-Ausrüster explizit von Wall-Street-Bankern, unter denen Patagonias Westen plötzlich der Renner waren.
Verbraucher, das ergab beispielsweise der „Prophet Brand Relevance Index“, wählen ihre Bekleidung immer häufiger auch nach den gesellschaftlichen Werten aus, hinter denen die Hersteller stehen. Sie finden gut, wenn Marken Haltung zeigen – wodurch immer weniger Brands Angst davor haben, sich zu positionieren. Das irische Unternehmen „Accenture“ befragte Kunden, warum sie bestimmte Marken kaufen, und veröffentlichte die folgenden Umfrageergebnisse:
- 62 % entscheiden sich für eine Marke, weil diese bestimmte ethische Werte vertritt.
- 62 % entscheiden sich für eine Marke, weil diese Plastik reduzieren und die Umwelt schützen will.
- 66 % entscheiden sich für eine Marke, weil diese für eine bestimmte Kultur steht und ihre Versprechen einhält.
- 52 % entscheiden sich für eine Marke, weil deren Haltung mit den persönlichen Werten übereinstimmt.
Weitere Daten liefert die „Purpose-Erfolg-Studie“ im Auftrag der Organisation „Werbungstreibende im Markenverband“ (OWM): Demnach fordern 83 Prozent der Kunden von Unternehmen, verantwortungsbewusst zu handeln, und 60 Prozent versuchen, „purpose-getrieben zu konsumieren“. Für die Marken ist das eine Chance: Eine Chance, sich von Konkurrenten abzugrenzen, Kunden auf einer persönlicheren Ebene langfristig zu binden und zudem etwas Gutes zu bewirken.
Glaubt man dem Beratungsunternehmen „Globeone“, waren die meisten Firmen in Deutschland im Jahr 2018 allerdings noch nicht bereit für „Purpose Driven Marketing“: Nur 18 Prozent der Marken verfügten vor zwei Jahren über einen „höheren Zweck“. Mittlerweile dürfte diese Zahl höher sein. Viele Hersteller auf der ISPO Munich 2020 jedenfalls kommunizierten am Messestand ihren höheren Zweck:
Arcteryx gehört zu den Unterzeichnern der „Fashion Industry Charter for Climate Action“ der Vereinten Nationen. Ziel ist unter anderem, die Treibhausgasemission bis 2030 um 30 Prozent zu reduzieren.
Bergans machte mit der Aktion „Save the Seasons“ auf sich aufmerksam: Das Unternehmen aus Norwegen will die Jahreszeiten zum UNESCO-Weltnaturerbe machen und sammelte auf der ISPO Munich 2020 Unterschriften. „Die Natur ist unsere Grundlage. Wenn wir so weitermachen, wird es diese Grundlage vielleicht bald nicht mehr geben“, so Anne Eggers am Stand des Outdoor-Ausrüsters. „Es geht nicht nur um unser Business. Es geht um viel mehr – um unsere Zukunft.“
Icebug ist die erste Schuhmarke der Welt, die nicht nur klimaneutral, sondern sogar klimapositiv wirtschaftet. Icebugs Deutschland-Geschäftsführer Mathias Basedow: „Letztes Jahr auf der ISPO Munich haben wir uns verpflichtet, klimaneutral zu werden. Da wussten wir noch gar nicht, was uns das kosten würde, und wir haben ganz schön geschwitzt. Doch es war einfacher als gedacht und irgendwann fanden wir: Null reicht uns nicht, wir wollen mehr. Jetzt springen wir höher als wir müssen und sind sogar klimapositiv.“
Wollexperte Ortovox zeigt Haltung mit „Ski local“ und appelliert an seine Kunden, die Berge vor der Haustür zu nutzen und mit dem Zug anzureisen. „Vor allem, wenn man in Alpennähe wohnt, ist es absurd, um den Globus zu fliegen und beispielsweise in Kanada Ski zu fahren“, so Hendrik Reschke, Head of Communication bei Ortovox, wo es seit einigen Jahren eine Nachhaltigkeitsabteilung gibt.
Viele Outdoor-Marken wie beispielsweise Arcteryx, Bergans, Edelrid, Keen, Lowa, Northface, Osprey, Patagonia, Schöffel oder Ternua unterstützen die zahlreichen Naturschutzprojekte von „Eoca“, der European Outdoor Conservation Association“.
Reiner Gerstner, Marketingchef von Schöffel: „Als älteste Outdoormarke der Welt halten wir Nachhaltigkeit schon immer für selbstverständlich. Für uns ist das kein Marketing-, sondern ein Haltungsthema. Wir profitieren von der Natur, also müssen wir sie schützen.“ Katrin Lörch, Schöffels PR-Referentin, bestätigt: „Nachhaltigkeit ist in unserem Marketing kein Peak-Thema, weil wir das für selbstverständlich halten. Schon seit der ersten Wanderhose haben wir einen Reparaturservice, denn uns ist wichtig, dass die Sachen lange halten und zu Lieblingsteilen für unsere Kunden werden.“
Auch wenn Klimaschutz gerade besonders „in“ ist: Beim Purpose Marketing muss es nicht immer um Nachhaltigkeit gehen. Es gibt noch jede Menge andere Bereiche, in denen sich Marken engagieren.
Diese Sportmarken zeigen ebenfalls Haltung, wenn auch nicht auf das Klima bezogen:
- Adidas schloss sich 2016 der Initiative der deutschen Wirtschaft „Wir Zusammen“ an und unterstützte so die Integration von Geflüchteten. Das Unternehmen aus Herzogenaurach unterzeichnete zudem die „Berliner Erklärung“ gegen Homophobie im Sport und gilt laut „Corporate Equality Index 2016“ als vorbildlicher Arbeitgeber für Schwule, Lesben, Bi- und Transsexuelle.
- Skimarke Blizzard stärkt den Frauen-Wintersport mit „Women 2 Women“.
- Decathlon brachte einen Running-Hijab auf den Markt, um muslimischen Frauen das Joggen zu ermöglichen. Das Unternehmen schoss damit aber wohl übers Ziel hinaus und erntete viel Kritik. Inzwischen ist der Verkauf des Produkts eingestellt.
- Die Marke „Girlfriend Collective“ wirbt mit ethisch korrekter Produktion und recycelten Materialien.
- Wintersportausrüster K2 unterstützt „SheJumps“, ein Projekt, das Mädchen und Frauen auf der ganzen Welt zu mehr Sport motivieren soll.
- Kinetic Balance hat sich zum Ziel gesetzt, „zur weltweit wichtigsten Marke für Rollstuhlfahrerkleidung zu werden“ und „die Welt von Rollstuhlfahrerkleidung zu verändern“.
- Die Outdoormarke „Sherpa“ unterstützt Menschen und Gemeinden in Nepal. Jedes verkaufte Teil ermöglicht dem Unternehmen zufolge einem Kind in Nepal einen Schultag. 10 Millionen Schultage will das Unternehmen bis 2030 so erwirtschaften.
Purpose Driven Marketing gilt mittlerweile als Königsdisziplin des Marketings. Es hat jedoch seine Tücken: Wer als Marke Falsches verspricht oder seinen Versprechen keine Taten folgen lässt, fliegt auf – und schadet dem Image der Marke nachhaltig. Denn Kunden, die Produkte aufgrund eines höheren Zwecks kaufen, sind besonders sensibel.
91 Prozent der Millennials, das ergab der Deloitte Global Millennial Survey 2019, würden sich von einer Marke abwenden, wenn sie sich mit ihrem Zweck nicht mehr identifizieren können. Es ist also Fingerspitzengefühl gefragt, wenn man als Unternehmen mit Purpose Driven Marketing erfolgreich sein will. Mit Geschick und Glaubwürdigkeit jedoch kommt Purpose Driven Marketing allen zugute: der Marke, ihren Kunden – und natürlich dem höheren Zweck.
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