Per Definition fühlen wir uns gestresst, wenn eine Bedrohung oder Anforderung von außen besteht und wir nicht wissen, wie wir handeln sollen. Dabei ist Stress eine ganz natürliche Reaktion unseres Körpers, die vor allem zu Urzeiten überlebensnotwendig war. Bei einer akuten Gefahr haben sich über Jahrtausende hinweg zwei Ur-Reaktionen bewährt: Kampf oder Flucht. Und darauf ist das menschliche Gehirn bis heute programmiert: Stresshormone wie Adrenalin werden ausgeschüttet und versetzen den Körper sekundenschnell in Handlungsbereitschaft – das Herz schlägt schneller, der Blutdruck steigt, das Blut strömt vermehrt in die Muskulatur und die Atemfrequenz beschleunigt sich, damit der Körper mit mehr Sauerstoff versorgt wird. In dieser Alarmphase wird dem Körper Energie bereitgestellt.
Durch die folgende körperliche Reaktion – Kampf oder Flucht – wurden die bereitgestellte Energie und die Stresshormone unverzüglich abgebaut. Nachdem die Gefahr gebannt war, reagierte der Körper auch schon vor Urzeiten mit Entspannung – Kreislauf- und Stoffwechselfunktionen kamen wieder zur Ruhe.
So konnte sich der Mensch wieder vollständig von seinem Stress erholen.
In der heutigen Zeit sind wir Stresssituationen ausgesetzt, deren Bewältigung einen anderen Umgang erfordert. Das Problem ist, dass die bereitgestellte Energie nun nicht unmittelbar abgebaut werden kann – Kampf oder Flucht sind keine Optionen. So kann es geschehen, dass alltägliche Anforderungen den Körper irgendwann in permanente Alarmbereitschaft versetzen.
Deshalb ist es heutzutage umso wichtiger, dass unser Körper die aufgestaute Energie auf andere Art und Weise abbauen kann. Dabei gibt es einfache Gegenmittel: Sehr wirksam beim Stressabbau ist Bewegung. Ausdauernde Sportarten wie Schwimmen und Laufen sind hilfreich; ein einfacher Spaziergang oder eine kurze Radtour unterstützen uns dabei, besser mit Stress klar zu kommen. Aber auch bewusste Erholungsphasen und die richtige Ernährung helfen uns im Umgang mit den Anforderungen des Alltags.
Im Interview erklärt Stefan Schneider von der Deutschen Sporthochschule Köln die komplexen Prozesse, erklärt wie Bewegung und Sport gegen Stress helfen und gibt Praxistipps.
In welchem Teil des Gehirns entsteht Stress?
Das ist ein hochkomplexer Prozess. Akuter Stress entsteht im Frontalkortex. Der Vorderlappen, das stammesgeschichtlich jüngste Areal unseres Gehirns, sortiert und verarbeitet ständig massenhaft Informationen.
Erst das macht in Abstimmung mit dem Langzeitgedächtnis überlegtes, sozial adäquates Handeln möglich. Der Frontalkortex funktioniert im Prinzip wie der Arbeitsspeicher eines Rechners. Bei Stress – um im Bild zu bleiben – sind zu viele Programme geöffnet.
Der Vorderlappen wird mit Informationen überflutet, die er nicht mehr angemessen verarbeiten kann. Der Rechner läuft immer langsamer und immer langsamer, weil immer mehr Informationen verarbeitet werden müssen, die Rechenkapazität aber nicht ausreicht.
Was passiert dann? Wie reagieren wir?
Das archaische Reaktionsmuster ist Bewegung: Wir wollen weglaufen oder werden aggressiv. Stattdessen kanalisieren wir den Stress nicht, sondern fressen ihn in uns hinein.
Anders die Urzeitmenschen, die einem Mammut begegneten und dadurch vielleicht in Stress gerieten, weil sie furchtbar hungrig waren. Sie gingen auf die Jagd nach dem Tier. Bewegung ist die rudimentäre Antwort des Menschen auf Stress.
Deshalb hilft auch modernen Menschen, sich zu bewegen, um Stress abzubauen?
Im Prinzip ja. Sport oder höhere körperliche Belastungen beanspruchen im Gehirn einen anderen Prozessor als das rationale Handeln: Bewegungen steuert der Motorkortex.
Ein Beispiel: Schaut man sich die Robotik an, wird man sehen, dass dort heutzutage vieles möglich ist. Aber vernünftig gehen, das kann ein Roboter immer noch nicht, geschweige denn laufen oder einen Ball kicken. Das heißt, Bewegung an sich ist kompliziert und braucht unheimlich viel Rechenkapazität, was oft unterschätzt wird.
Laufen und Gehen – das sind für uns ja scheinbar simple Aufgaben. Wenn aber der Motorkortex dominiert, fehlen dem Frontalkortex Ressourcen. Hier wird die Aktivität entsprechend heruntergefahren, und so verfliegt der Stress.
Ich gehe eine Runde joggen und der Druck ist weg?
Das funktioniert nur, wenn Sie sich mit dem Sport positiv identifizieren. Eine wichtige Rolle spielt auch, wie intensiv man sich fordert.
Wenn man übertreibt oder zu ehrgeizige Ziele anstrebt, baut das keinen Stress ab, sondern neuen auf. In diesem Fall helfen Bewegung und Sport gegen Stress als nicht. Und wenn man die Intensität zu niedrig ansetzt und sich zu wenig fordert, bleibt man in seinem Stress- und Grübelrhythmus stecken.
Angenommen ich finde das richtige Maß, wäre ich dann auch seelisch ausgeglichener als ohne Bewegung?
Da bin ich mir relativ sicher. Dazu gibt es bisher noch keine großen epidemiologischen Studien. Allerdings hat man kürzlich eine kleinere Bevölkerungsgruppe in Papua-Neuguinea untersucht, die vom Land in größere Städte umsiedeln musste.
Mit der Umsiedlung nahmen Bluthochdruck und seelische Erkrankungen deutlich zu. Ich denke, jedes Weniger an Bewegung führt im Endeffekt dazu, dass wir körperlich und seelisch verkümmern. Das ist kein zwingender Umkehrschluss, aber die Tendenz dazu besteht.
Hilft gegen Stress nur regelmäßige Bewegung oder reicht auch eine Wanderung am Wochenende?
Es reicht wahrscheinlich auch, ein Glas Wein zu trinken oder ein sinnfreies Fernsehprogramm einzustellen. Stressabbau funktioniert am besten über die Eigenwahrnehmung: Wie schaffe ich für mich die Möglichkeit, Druck abzubauen? Ein intensives Beschäftigen mit Maßnahmen der Stressprävention sind ebenso wichtig. .
Man sollte sich dabei auf keinen Fall weiter überfordern: Diese Fitnesswelle, die uns diktieren möchte, du musst das und du musst das und das am besten auch noch, finde ich vollkommen übertrieben. Sport zu treiben hat sicher den großen Vorteil, dass ich die körperliche und die seelische Ebene zugleich anspreche.
Aber jemand, der den ganzen Tag auf den Beinen ist, eine Krankenschwester oder ein Altenpfleger etwa, der wird abends keine Lust mehr haben, Sport zu treiben. So jemand muss für sich abends einen anderen Ausgleich finden. Das kann eine Meditation sein, ein Glas Wein oder auch ein Gebet.
Über Stefan Schneider:
Stefan Schneider erforscht am Institut für Bewegungs- und Neurowissenschaft der Deutschen Sporthochschule Köln die Zusammenhänge zwischen Sport, Stress und Spiritualität. Der Wissenschaftler wies zum Beispiel nach, dass regelmäßiges Joggen im Gehirn vergleichbare Reaktionen auslöst wie Beten. „Beides bewirkt spezifische neurophysiologische Veränderungen, die dem Prinzip des Flows (Form von Glück, völliges Aufgehen in einer Sache) sehr nahekommen.“
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