Die Zahlen seines neuen Rekords sind beeindruckend: 460 Kilometer schwamm Jonas Deichmann in der Adria – nur begleitet von seinem Floß, das er selbst hinter sich herzog. 21.600 Kilometer legte er auf seinem Rad zurück, das Nötigste am Rahmen und unter dem Lenker befestigt. Und für seine 120 Marathons (5060 Kilometer) quer durch Mexiko waren seine Habseligkeiten in einem Trailer (ein sogenannter Kidrunner) verstaut, den er ebenfalls hinter sich herzog.
Seine Reise startete und endete am Odeonsplatz in München. Sie führte ihn in 429 Tagen einmal um die ganze Welt. Entlang der kroatischen Küste über die Türkei bis nach Wladiwostock, dann per pedes von Tijuana nach Cancun, für die letzte Etappe von Portugal nach Deutschland stieg er nochmal auf sein Gravel-Bike „Esposa“.
Jonas Deichmann: Mein Physiotherapeut hat mich kürzlich durchgecheckt. Er war überrascht, wie beweglich ich war nach den Marathons. Es hat mir wohl nicht geschadet dieses Projekt. Außerdem bin auch ohne größere Verletzungen oder Krankheiten da durchgekommen. Natürlich hatte ich mal ein paar Wehwehchen, aber nichts Schlimmes.
Ohne Erfahrung 460 Kilometer in der Adria geschwommen
Ich habe in den vergangenen vier Jahren diverse Rekorde auf der Lang-Distanz aufgestellt. Fahrradfahren war immer meine Parade-Disziplin, und davon habe ich meine Grundlagenausdauer. Dafür musste ich also nicht speziell trainieren. Auch war ich immer ein anständiger Läufer, wenn auch kein Profiläufer. Beim Schwimmen habe ich das Seepferdchen. Also null Erfahrung. Ich bin viel gelaufen im Vorfeld. Schwimmen habe ich gar nicht trainiert. Ohne Erfahrung habe ich mich also in den Bodensee gestürzt, mit Floß, das hat funktioniert. Dann habe ich mir gedacht, wenn du durch den Bodensee schwimmen kannst, dann geht das auch in der Adria. Ist aber doch alles ganz anders. Der Wind, die Strömung, das Salzwasser. Das ist halt die Hölle.
In Kroatien ist das Wasser sehr, sehr klar – tagsüber zumindest. Du siehst an der Küste die zehn Meter unter dir. Mental ist das allerdings sehr langweilig. So lange ich meine Hände und Füße noch sehe, ist es okay. Aber in der Dunkelheit ist es unangenehm. Es ist ein mulmiges Gefühl. Ich weiß vom Kopf her, in Kroatien gibt es keine Hai-Attacken, aber man macht sich dann doch seine Gedanken, was schwimmt da so rum…
Ich habe nie Panik. Ich fokussiere mich. Und ich blende Dinge aus.
Sage mir: Das bringt mir jetzt nichts, nicht schneller werden, im Rhythmus bleiben. Da drüben ist das Land, da geht es jetzt hin, und das ist das Einzige was jetzt zählt.
Ich visualisiere sehr stark Dinge. Bei so einem Projekt gibt es keinen Platz für Zweifel. Mein großes Geheimnis: Ich sehe die Ziellinie, lange bevor ich da bin. Zudem breche die großen Ziele in kleinere Ziele herunter. Wenn Tag 1 die Hölle war im Schwimmen, dann sage ich nicht, das waren jetzt gerade mal zehn Kilometer und es folgen noch 450 Kilometer. Das ist extrem demotivierend. Das Ankommen ist meine Vision. Mein Ziel aber ist der nächste Felsen, die nächste Tankstelle, der nächste Schokoriegel. Ich schwimme halt immer zum nächsten Schokoriegel. 1000 Schokoriegel später habe ich einmal die Welt umrundet.
Ganz Mexiko feiert den deutschen Forrest Gump
Herausstechen tut ganz klar Mexiko. Nicht nur die Hündin La Coqueta, die mir 130 Kilometer gefolgt ist, sondern einfach die Begeisterung der Leute. Denn was bleibt von so einem Projekt? Klar, macht es mir auch Spaß am Limit zu sein, oder auf ein Ziel hinzuarbeiten. Aber ich frage mich oft, an was erinnerst du dich, wenn du alt bist? Es ist nicht der Rekord, das ist ein Bonus. Was bleibt sind Erlebnisse und die Erinnerungen. Und da erlebte ich in Mexiko teilweise echt skurrile Sachen.
Ganze Polizeiabteilungen liefen mit, ihre Maschinengewehre an der Hand und sangen ihre Marschlieder. Oder das Drogenkartell kam vorbei, und wollte ein Selfie mit mir machen. Da dachte ich schon, ich bin im falschen Film. Wunderschön waren aber auch die einsamen Momente in Baja California. Da bin ich durch die Wüste gerannt. Und du weißt, hinter dem nächsten Kaktus, hinter der nächsten Kurve gibt es einen wunderschönen Platz zum Campen. Du liegst dann unter deinem Moskitonetz unter freiem Himmel, mitten in der Wildnis. Das sind Nächte, die vergesse ich nicht. Und natürlich gehört da auch der Baikalsee dazu. Ich habe ja auf dem See gezeltet. Es sind diese einsamen Momente, und besonderen Begegnungen mit Menschen – das bleibt.
In Mexiko war ich zuerst eine lokale Story, und dann kam La Coqueta. Und die ist dann zur berühmtesten Hündin Mexikos avanciert. Ich bin am nächsten Tag auf der Titelseite jeder Tageszeitung gewesen, bei jedem Fernsehsender. Von einem Tag auf den nächsten. Einen Monat später kannte mich in Mexiko wirklich jeder. Nach Deutschland ist es am Ende auch herübergeschwappt.
Drehbuch für einen Film: „Das glaubt dir kein Mensch“
Meinen Lauf durch Mexiko hat die ganze Aufmerksamkeit sehr einzigartig gemacht. Wäre es ein Drehbuch für einen Film – dann glaubt dir das kein Mensch, das ist vollkommen übertrieben. Deshalb: Dass es so gut läuft, hat mich jetzt schon überrascht.
Ich sehe mehrere Punkte. Mein Triathlon um die Welt ist aktuell einzigartig, ich bin konkurrenzlos. Denn es war das Corona-Jahr, und es hat niemand ein globales Projekt gemacht. Ich habe gezeigt: Man kann träumen, und es geht doch irgendwie weiter. Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Ja, ich bin Leistungssportler, aber das ist nicht mein Fokus. Wenn es darum geht, wie viele Kilometer schaffe ich am Tag, dann interessiert das die Sportler, aber nicht die breite Masse. Es sind die Erlebnisse, die Begegnungen mit Menschen, die Storys, die begeistern. Es ist einfach ein Projekt mit vielen Facetten.
95 Prozent Kopfsache: „Das Limit bin am Ende ich“
Die Botschaft „Das Limit bin nur ich“ richtet sich an jeden. Ich bin nicht der schnellste Radfahrer, ich habe eine gute physische Voraussetzung, aber das haben andere auch. Ich bin einfach immer überzeugt, dass ich etwas schaffe. 95 Prozent sind Kopfsache. Da kommen immer mal wieder Einwände: Ja, aber du fährst ja schon dein ganzes Leben lang Fahrrad – wie soll ich das jetzt machen? Jetzt kann ich sagen: Ja, aber ich bin in meinem ganzen Leben noch nie geschwommen, und jetzt bin ich 460 Kilometer geschwommen. Ich bin auch kein Läufer, aber jetzt bin ich 120 Marathons gelaufen. Also: Das Limit bin am Ende ich. Und wenn man einen Traum hat, fest daran glaubt, und positiv ist, dann kann man so viel mehr erreichen, als man für möglich hält.
Bei Radabenteuern weiß ich immer: Ich kann’s, aber hält auch das Material durch? Das ist die größere Frage. Es gibt halt keine Hilfe, wenn was kaputtgeht. Deshalb war ich mit meinem Gravel-Bike auch vorher in der Kältekammer der Deutschen Bahn.
Ich verbringe so viel Zeit mit ihr, und sie ist ja auch eine Schönheit, muss also eine Frau sein.
Nein, das mache ich nicht. Ich singe aber sehr gerne auf dem Fahrrad und beim Laufen.
Zukunftsprojekt: Einmal klimaneutral um die Welt
Prinzipiell kann ich mir vorstellen, meinen Hintern mal an einen Pferdesattel zu gewöhnen. Die Tage nach dem Reiten im ukrainischen Charkiw waren zwar die Hölle, weil ich kaum mehr sitzen konnte auf meinem Fahrradsattel. Aber ich könnte mir vorstellen, mal durch die Mongolei zu reiten. Fände ich auch spannend.
Ich habe jetzt auch nochmal festgestellt: Fahrradfahren wird immer meine Lieblingsdisziplin sein. Auch das Laufen hat mir super viel Spaß gemacht. Und selbst beim Schwimmen habe ich die Welt nochmal komplett von einer anderen Perspektive gesehen. Fahrrad ist so immer die erste Entdeckung, da war ich jetzt in über 100 Ländern. Die Hälfte davon war schön, hat gereicht, aber zur anderen Hälfte muss ich nochmal hin. Mit mehr Zeit.
Ja, sowohl in Wladiwostok, als auch in Cancun hatte ich das Problem, dass ich kein Segelboot fand, das mich mitnehmen konnte. Ich habe probiert, probiert und probiert. Und irgendwann habe ich kapiert, dass die Wahrscheinlichkeit, dass ich hier noch eine klimaneutrale Transportmöglichkeit finde, unter fünf Prozent liegt. Ich habe mein Bestes getan, aber die Reise muss trotzdem weitergehen. Das habe ich auf meinen Expeditionen gelernt: Ich habe einen Plan, aber ich weiß nicht, was mich erwartet. Meine Philosophie: Ich treffe die Entscheidung mit dem Wissen, das ich zu dem Zeitpunkt habe, und ich stehe auch dazu. Und selbst wenn es falsch war, denke ich mir hinterher nicht: Oh, hättest du das nicht anders machen sollen. Ist so, abhaken, vorwärts blicken. Deshalb war die Entscheidung zu fliegen für mich okay. Aber auf jeden Fall möchte ich noch einmal CO2-neutral um die Welt reisen.
Mehr über Jonas Deichmann findet ihr auf seiner Website.
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