Ob schwere Niederlagen, langwierige Verletzungen oder schreckliche Missverständnisse im Live-Interview – es gibt Sportler, die sich scheinbar von nichts ablenken lassen. Anderen reicht schon ein unvorhergesehener Regenschauer oder ein eingerissener Fingernagel vor dem Wettkampf, um sie komplett aus dem Konzept zu bringen.
Auch während der Corona-Pandemie scheint es Menschen zu geben, die mit Sorgen, Stress und Ängsten deutlich besser klarkommen als andere. Haben die einen schlichtes Glück und werden als Stehaufmännchen geboren? Eher nicht.
Dabei geht es darum, schneller wieder mental auf der Höhe zu sein, sich zu erholen und quasi wieder aufzuladen. Die Forschung geht davon aus, dass Menschen Resilienz entwickeln, indem sie sich mit Problemen und Schwierigkeiten ihrer Umwelt auseinandersetzen. Demnach wäre Resilienz kein statisches Körpermerkmal, sondern ein Entwicklungsprozess. Die gute Nachricht: Resilienz kann man trainieren.
Dafür müsse man jedoch mit einem Missverständnis aufräumen, glaubt Michelle Gielan. „Wir denken, je zäher wir sind und je länger wir durchhalten, desto erfolgreicher sind wir“, sagt die Psychologin und Bestselleraautorin („Broadcasting Happiness: The Science of Igniting and Sustaining Positive Change“). Resilienz bedeute jedoch nicht, Erschöpfung auszuhalten, sondern sich gut zu erholen, frisch gestärkt neu zu starten. „Ausruhen ist nicht gleich Erholung“, sagt Gielan. Wer zum Beispiel noch im Bett noch stundenlang Probleme aus der Arbeit im Kopf habe oder sich auf dem Sofa über die Nachrichten auf dem Smartphone ärgere, der finde keine Erholung. „Unsere Gehirne brauchen genauso Erholung wie unsere Körper“, ist sich Gielan sicher.
Die Schwachstellen zu erkennen ist dabei nicht überall so einfach wie im Sport, wo man Zeiten messen oder Bewegungsabläufe beobachten kann. Der Sportpsychologe Dr. René Paasch empfiehlt einen einfachen Selbsttest. Er präsentiert seinen Schützlingen sieben Aussagen. Je häufiger sie zustimmen, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit für Resilienz:
- Ich habe gute Teamkollegen, Freunde und ein intaktes soziales Umfeld, auf die ich mich auch in schwierigen Situationen verlassen kann.
- Wenn mal etwas nicht klappt, versuche ich es einfach noch einmal.
- Ich sorgen für mein Glück und Zufriedenheit, das ist mein Lebensmotto.
- Ich weiß um meine Stärken und bin zufrieden mit mir.
- Ich bin selbst unter Stress noch leistungsfähig und kann gut mit Druck umgehen.
- Ich glaube selbst in schwierigen Zeiten daran, dass sich alles zum Guten wenden wird.
- Bei Problemen suche ich aktiv nach einer Lösung.
Wer nur selten zustimmen kann, weiß, woran zu arbeiten wäre. Wie das konkret funktionieren kann, haben die Pädagogik-Professorin Maike Rönnau-Böse und der Psychologie-Professor Klaus Fröhlich-Gildhoff anhand von sechs Faktoren für Resilienz definiert: Wer an seiner Selbstwahrnehmung arbeitet, kann seine Stärken und Schwächen besser einschätzen. Eine gute Selbststeuerung hilft, angemessen auf Emotionen und Spannungen zu reagieren. Mit der Selbstwirksamkeit stärkt man Vertrauen und Zuversicht in sich selbst. Für die Lösung von Konflikten braucht es soziale Kompetenz, für den Umgang mit Stress helfen Bewältigungskompetenzen. Und es braucht Strategien zur Problemlösung, um in schwierigen Situationen Entscheidungen zu treffen.
Für Profi-Sportler und ihre Betreuer ist das keine neue Nachricht. Psychologisches Training ist im Spitzensport schon lange weit verbreitet: Mannschaftssportler trainieren, auch unter großem Druck als Team zu funktionieren. Weitspringer oder Kugelstoßer müssen auch nach zwei verpatzten oder ungültigen Versuchen schnell in der Lage sein, „das große Ding“ rauszuhauen.
Wer zum Beispiel zu Nervosität neigt, ohnehin leichter reizbar und eher unsicher ist, reagiert demnach vergleichsweise stärker auf mentale Belastungen. Im Gegensatz dazu waren optimistische Menschen weniger beeinträchtigt von widrigen Umständen, genauso wie solche, die stärker das Gefühl haben, selbstwirksam zu sein, also sich in schwierigen Situationen auf ihre eigenen Fähigkeiten verlassen zu können. Auch, wer für sich in der Pandemie eine Chance erkennt – indem er oder sie zum Beispiel neue Dinge lernt oder alte Routinen verändert, reagiert resilienter.
Die Krise ist also auch eine Chance, gestärkt und resilienter aus ihr herausgehen, sich ein Stück weit gegen den Stress zu impfen. Wobei hier auch ein Missverständnis lauert: Resilienz bedeutet nicht, möglichst lang schwierige Situationen und Stress auszuhalten.
Wer zum Beispiel in seinem Unternehmen nur auf die Förderung von Resilienz setzt, um die Mitarbeiter für psychisch immer belastendere Arbeitswelten fit zu machen, dürfte scheitern. Das ist wie im Sport: Auch der resilienteste Athlet wird seine Karriere überdenken, wenn er dauerhaft verletzt ist oder im entscheidenden Wettkampf immer wieder einfädelt.
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