Fitness/06.09.2022

Kopf über Herz: Trainingstrend Neuroathletik zündet

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Muskelimpulse beginnen im Gehirn. Unser Kopf ist also ein wichtiger Faktor für sportliche Leistung. Lars Lienhard verbessert als Neuroathletik-Trainer mit simplen und zugleich verrückten Übungen die Leistung von Spitzensportler*innen. Seine Tricks lassen sich auch im Ausdauersport einsetzen.

Mit Neuroathletik-Training beim Trailrunning höheres Level erreichen

Alle Informationen, die wir beim Sport aufnehmen, werden vom Gehirn verarbeitet. Alle Bewegungen, ob sie nun unbewusst oder bewusst passieren, werden vom Gehirn gesteuert. Grundsätzlich ergibt es also Sinn, auch die Bereiche des Gehirns zu trainieren, die dafür zuständig sind. Lars Lienhard macht genau das. Er ist Deutschlands führender Neuroathletik-Experte, hat mehrere Bücher zum Thema veröffentlicht und mit Topathlet*innen wie Sprint-Europameisterin Gina Lückenkemper, Tennis-Olympiasieger Alexander Zverev oder Fußballprofis wie Serge Gnabry oder Per Mertesacker trainiert.

Neuroathletik Training: Software-Update fürs Gehirn

Neuroathletik-Training, kurz NAT, beschäftigt sich mit Aufgaben, die das Gehirn beim Sport vollzieht, also was das Gehirn können muss, um Bewegungen auszuführen. Der Begriff setzt sich aus „neuronal“ und „Athletik“ zusammen und verbindet das Zusammenspiel zwischen Nervenbahnen und Körper.

Neuroathletik-Experte und Trainer Lars Lienhard spricht auch von der „Software des Körpers“, die funktionieren muss, damit sportliche Leistung erbracht werden kann: „Was sind die Anforderungen, die eine Sportart oder eine Bewegung an die bewegungssteuernden Komponenten des Athleten stellt? Sind es physische Probleme oder haben wir ein Software-Problem, also im Gehirn? Das muss ich erstmal herausfinden.“ Dabei sind verschiedene Hirnareale für verschiedene Bewegungsformen zuständig, aber auch für Koordination und Gleichgewichtssinn. Körperliche Outputs sind neben Kraft und Schnelligkeit dann auch solche wie Schmerzsymptome und Verletzungen, wenn Defizite bestehen.

Neuroathletik-Training versucht Defizite in der Übertragung von Informationen ans Gehirn zu überwinden
Bildcredit:
Hal Gatewood / Unsplash.com

Hauptfunktion des Gehirns: Überleben

„Als Erstes will unser Gehirn eines: Überleben. Das grundlegende Problem bei Ausdauerbelastungen ist vor allem eines: Es wird anstrengend.“ Inwiefern das ein Problem darstellt, erklärt Lars Lienhard weiter: „Du bist nur leistungsfähig, wenn sich dein Gehirn sicher fühlt. Es versucht ständig zu beurteilen: Wie sicher ist das, was ich gerade tue? Denn wenn ich mich jetzt so fertig mache, dass ich danach drei Tage liege, bin ich Futter. Dann kann ich nicht mehr wegrennen.“ Je weniger sicher das Gehirn sich also bei einer sportlichen Aktivität fühlt, desto wichtiger werden Wille und Charakterstärke, um weiterzumachen. Unser Urinstinkt, gerne auch innerer Schweinehund genannt, entscheidet dementsprechend mit, wie weit wir beispielsweise beim Joggen unterhalb unserer Belastungsgrenze bleiben.

Um die Lage einzuschätzen, werden ständig Informationen ausgewertet, die das Gehirn vom Körper und von außen bekommt. Hier gilt es laut NAT anzusetzen und zu beeinflussen, etwa um Ermüdungserscheinungen im Ausdauersport zu verzögern. Vereinfacht gesagt, beeinflusst der Input fürs Gehirn die Interpretation und letztlich den Output.

Für das Aushalten von körperlich unangenehmen Situationen ist die Inselrinde im Gehirn zuständig. Die Ausdauer-Elite und auch Soldat*innen kommen hier laut Lienhard nachweislich auf ausgezeichnete Werte. „Die besten Ausdauerläufer der Welt sind die, die sagen können: Du stirbst noch nicht!“ Sie hätten gelernt, Informationen anders zu bewerten und einzuschätzen. Dabei greifen die Athlet*innen auf gemachte Erfahrungen zurück. Trainieren kann man die Inselrinde zudem durch Atemübungen, etwa einseitiges Einatmen, durch Differenzieren von Geräuschen oder auch durch Gleichgewichtstraining und indem man sich auf Wahrnehmungen aus dem Körperinneren konzentriert, wie das Fühlen des eigenen Herz- oder Pulsschlags.

Körpergefühl entwickeln: Fühlen des Pulses ist eine NAT-Übung zur Leistungsverbesserung
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Kampus Production / Pexels

Besonderheit: Trailrunning

Bei den weltbesten Sportler*innen sieht der letzte Schritt beim Laufen wie der erste aus. Die richtige Lauftechnik wird auch unter Ermüdung ausgeführt und sorgt zudem dafür, dass sie später einsetzt. Es gilt: Je effizienter die Technik, desto später kommt die Ermüdung. Vor allem beim Trailrunning sieht Lienhard dies als wichtigen Faktor, da hier unterschiedliche Belastungen auf den Körper wirken: eine hohe konzentrische, positiv-dynamische oder überwindende Belastung bergauf sowie eine hohe exzentrische, also negativ-dynamische oder ausgleichende Belastung bergab. Diese unterschiedlichen Aufgaben beanspruchen also auch unterschiedliche Bahnen, die Informationen in Richtung Gehirn transportieren, und können trainiert werden. Genauso beeinflussen sie das Techniktraining, um beispielsweise Müdigkeit vorzubeugen. 

Beim Laufen ist auch die Kraftübertragung auf den Boden wichtig. Denn dort muss der Fuß ausgleichen, um das Bein und den Rest des Körpers zu stabilisieren. Alles, was dort an Infos für das Gehirn fehlt, wird schneller zur Ermüdung führen. Ein Training des Fußgelenks bezeichnet Lienhard deshalb als gute Einstiegsübung, vor allem fürs Trailrunning. Vorab empfiehlt er, mechanischen Stress auf den Ischias-Nerv durch Dehnübungen zu lösen. Zusätzlich dazu rät er zu Entspannungstraining ebenso wie einem Training der Schmerztoleranz.

Das Fußgelenk ist beim Laufen eine wichtige Feedback-Quelle fürs Gehirn
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Run FFWPU / Pexels

Neuroathletik-Übungen: Abwechselnd atmen, schielen, Zunge raus

NAT hat also zum Ziel, mit Übungen Unsicherheiten im Gehirn zu eliminieren und die Übertragung von Informationen aus unterschiedlichen Körperregionen zu verbessern. 

Dabei muten die angewandten Übungen oft etwas seltsam oder verrückt an. Oder aber so, als hätten sie rein gar nichts mit Sport zu tun. So präsentiert Lienhard bei Vorträgen gerne eine Folie, auf der die Worte Rot, Grün, Schwarz oder Blau in einem ganz anderen Ton eingefärbt sind. Die Zuhörer*innen müssen das geschriebene Wort vorlesen, ohne sich von der Schriftfarbe beirren zu lassen. Auch Augenrollen, Schielen und anderes visuelles Training gehören zum Repertoire. Ebenso wie die Zunge so weit wie möglich herausstrecken, zu rollen oder bestimmte Punkte am Gaumen zu berühren. Grund: Sowohl die Augen als auch die Zunge sprechen bestimmte Areale an, die für Bewegung zuständig sind. 

Ob aber Defizite durch die Methoden des Neuroathletik-Trainings minimiert werden können, ist wissenschaftlich umstritten. Das räumt auch Trainer Lienhard ein. Dennoch scheinen seine Trainingsmethoden zumindest ein Baustein des Erfolgs seiner betreuten Sportler*innen zu sein.

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