Birgit Burges ist 44, liebt klassische Musik, Reisen und macht leidenschaftlich gerne Sport. Sie fährt immer mit dem Rad in die Arbeit, nur wenn es regnet fährt sie Bus. Gleichzeitig ist Birgit Athletin, hat landes- und bundesweite Leichtathletik-Wettkämpfe gewonnen. Im Winter tritt sie beim Schneeschuhlaufen in der Staffel an. Und sie hat Schizophrenie und eine Lernschwäche.
„Ich mag das Wort Behinderte aber nicht. Lieber Menschen mit besonderen Fähigkeiten“, sagt Burges. Zum Sport ist sie über eine Freundin gekommen. Seitdem geht sie regelmäßig ins Training. Das ist mittlerweile fast zehn Jahre her. Special Olympics lernt sie später dann über ihren Verein und ihre Freundin kennen.
In Deutschland mittlerweile sehr bekannt sind die Paralympics für Menschen mit körperlicher Beeinträchtigung. Dahingegen ist Special Olympics Deutschland (SOD) die deutsche Organisation der weltweit größten, vom Internationalen Olympischen Komitee (IOC) offiziell anerkannten Sportbewegung für Menschen mit geistiger und mehrfacher Behinderung. Im Jahr 1968 von Eunice Kennedy-Shriver, einer Schwester von US-Präsident John F. Kennedy, ins Leben gerufen, ist Special Olympics heute mit 5,2 Millionen Athletinnen und Athleten in 174 Ländern vertreten.
International versucht Special Olympics ein stärkeres Bewusstsein um die Bedeutung von Sport für Menschen mit geistiger Behinderung und mehrfacher Behinderung zu schaffen. Die Initiative startete in den USA als Sommercamps.
Mehr Aufmerksamkeit auf Augenhöhe für die sportlichen Leistungen – das sollen Großveranstaltungen wie die Special Olympics World Games fördern. Die weltweiten Spiele finden regulär alle zwei Jahre im Wechsel zwischen Winter- und Sommersportarten statt – als nächstes die Weltwinterspiele im Januar 2023 in Kasan in Russland. Hier treten rund 2000 Athletinnen und Athleten in sieben Disziplinen gegeneinander an, von Schneeschuhlaufen über Ski Alpin und Langlauf bis hin zu Eiskunstlauf. Wegen der Corona-Pandemie ist Berlin ebenfalls 2023 Gastgeber der Sommerspiele. Bis dahin gibt es nationale Wettkämpfe und regionale Veranstaltungen.
„Die Special Olympics World Games in Berlin sind mit dem bundesweiten Nachhaltigkeitsprogramm das größte zusammenhängende Inklusionsprojekt Deutschlands“, erklärt Sven Albrecht, Bundesgeschäftsführer von Special Olympics Deutschland. Zu den Spielen werden über 7000 Athleten aus 170 Ländern erwartet, um in 26 Sportarten miteinander anzutreten. 20.000 Volunteers werden helfen, die Veranstaltung zu stemmen, darunter auch zahlreiche Menschen, die selbst eine Behinderung haben.
„Es sollen Spiele von Athleten für Athleten sein“, so Albrecht weiter. Die Spiele sollen vor allem auf lange Sicht für eine bessere Inklusion von Menschen mit geistiger Behinderung in Gesundheit und Sport sorgen. Dieses Nachhaltigkeitsprogramm ist laut Albrecht als wichtiger Treiber der Spiele zu sehen, weshalb auch Städte und Kommunen in ganz Deutschland als Gastgeber einbezogen werden. Vier Tage werden die internationalen Delegationen über ganz Deutschland in unterschiedlichen Kommunen beherbergt, um anzukommen, und Deutschland kulturell kennenzulernen. Danach finden sieben Wettkampftage in Berlin statt. Die Spiele dienen dabei als Katalysator, um auf kommunaler Ebene inklusive Strukturen aufzubauen.
Inklusion passiert aber nicht nur über große Veranstaltungen, diese sind nur ein Teilaspekt der Bewegung. Wichtiger ist es laut SOD, dass im täglichen Leben bessere Netzwerke zum Ausüben von Sport entstehen. Damit Menschen mit geistiger Behinderung mehr Anerkennung erfahren und Akzeptanz über den Weg des Sports erleben. Insgesamt geht es dabei auch um mehr gesellschaftliche Teilhabe. „Über die Begegnung wollen wir die Einstellung in der Gesellschaft verändern“, sagt Bundesgeschäftsführer Sven Albrecht.
Ziel ist, die Gesellschaft inklusiver und offener zu machen. Das heißt nicht, dass jede*r Sport machen muss, sondern dass in erster Linie ein Angebot, und damit eine Wahlmöglichkeit besteht. Sowohl in Angeboten für Menschen mit Behinderung als auch in sogenannten „Unified Sports“. Dabei machen in gemischten Teams Menschen mit und ohne Behinderung auf gleichem Niveau Sport.
Special Olympics Deutschland bietet rund 30 Sportarten an und ist in den Bundesländern durch Landesverbände präsent. Diese bieten zusätzlich Vernetzungsmöglichkeiten für Familien und machen Sport zugänglicher.
Denn der überwiegende Teil des organisierten Sports für Menschen mit geistiger Behinderung findet eher selten im klassischen Sportverein statt. Sie sind überwiegend in Organisationen der Behindertenhilfe, Förderschulen und Werkstätten aktiv, teils auch in eigenen Vereinen. Barrierefreiheit ist dabei wichtig, etwa in Form von Anleitungen in leichter Sprache.
Birgit Burges ist seit etwa zehn Jahren Teil von Special Olympics in Bayern, aktuell als Athletensprecherin. In dieser auf drei Jahre gewählten Funktion nimmt sie an Sitzungen teil und ist repräsentativ bei Veranstaltungen dabei, wenn sie nicht selbst an den Wettkämpfen teilnimmt. Manchmal auch zusätzlich dazu. Dabei kommt es auch darauf an, wie sie es neben ihrem Alltag und ihrer Arbeit in einer Behindertenwerkstätte hinbekommt.
Sie trainiert einmal die Woche in der Gruppe Leichtathletik im Verein. Dazu gehören unterschiedliche Distanzen und Weitsprung, ihre Wettkampfdisziplinen im Sommer. Im Winter macht sie Schneeschuhlaufen, auch in der Staffel. „Die Mutter meines Freundes hat mich einmal gefragt: ,Birgit, musst du immer gewinnen?‘ Aber mir macht das Auspowern und der Wettkampf einfach Spaß.“ So energiegeladen sie ist, geht es ihr aber nicht nur um den Ehrgeiz. „Bei den Wettkämpfen finde ich besonders schön, dass immer alle angefeuert werden. Egal wie gut man ist oder woher man kommt.“
Da die sportliche Leistung je nach Beeinträchtigung auseinandergehen kann, finden Wettkämpfe in homogenen Leistungsgruppen statt, eingeteilt nach Alter, Geschlecht und Leistungsfähigkeit. Insgesamt ist aber vor allem der Gedanke wichtig, gemeinsam Sport zu machen und damit gesund zu bleiben. Dabei soll jeder entscheiden können, welchen Sport er gerne ausüben möchte. Dennoch sind die Strukturen nicht überall gleich stark ausgebaut.
„Es nehmen in Deutschland nur acht Prozent der Menschen mit geistiger Behinderung am organisierten Sport teil. Das sind Zahlen vor der Pandemie, die diese Zahl noch deutlich beeinflusst hat“, so Sven Albrecht.
Alle Herausforderungen, die der organisierte Sport heute hat – sei es ein Mangel an Ehrenamtlichen, fehlende Angebote oder zu wenig Hallenzeiten und Schwimmzeiten – potenzieren sich für Menschen mit Behinderung. Durch Beschränkungen wie Besuchsverbote in Einrichtungen oder Quarantäne-Regelungen während der Corona-Pandemie kamen zusätzlich soziale Isolation, Bewegungsmangel und damit gesundheitliche Beeinträchtigungen hinzu. Die Folgen werden laut Albrecht noch deutlich länger zu spüren sein. Während Verbände und Vereine versuchten, Sportangebote online anzubieten, fehlten in den Einrichtungen und Wohngruppen für behinderte Menschen oft digitale Infrastruktur oder Internetanbindung mit ausreichend Datenvolumen fürs Streaming.
Bei Birgit Burges hat es hingegen gut geklappt. „Online-Sport war lustig. Ich habe mit meinem Freund und einer Freundin zusammen mitgemacht.“ Mit Ehrgeiz und Spontanität, sodass eine Übung auch manchmal über Bord geworfen und improvisiert wurde.
Wie alle anderen freut sie sich aber auch darauf, wieder vor Ort in der Halle oder auf der Bahn zu sein. „Mit allen zusammen macht es einfach mehr Spaß.“ Genauso freut sie sich auf die Special Olympics World Games in Berlin. Am liebsten will sie als Helferin, Sprecherin und Athletin teilnehmen. „Wenn mir das nicht zu viel wird und ich so viel Urlaub bekomme.“ Besonders freut sie sich auf die Athlet*innen-Disco, die abschließende Abendveranstaltung für alle Teilnehmenden, bei der alle ihre Leistungen und persönlichen Erfolge feiern können. Abschließend ist ihr auch besonders wichtig zu betonen: „Ich finde vor allem gut, dass bei Special Olympics niemand dopt.“
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