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Alistair MacRobert/Unsplash
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Outdoor/27.05.2024

Beach Vibes vor Beton: Wie künstliche Wellen die Community ins Land locken

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Der Urban-Outdoor-Trend des „Artificial Surfing“ schwappt als riesige Erfolgswelle durchs Land, und immer öfter reitet die Surf-Gemeinschaft darauf. Möglich machen das unterschiedliche Angebote – vom naturbelassenen Flusslauf bis hin zum Hightech-Wavepool. Neben heiß ersehnten Surf-Sessions bringen die Abenteuerspielplätze für Wassersport auch Chancen für Brands, Tourismus und Vereine mit sich.

Fantastische Barrels vor Hawaii, konstante Brandungswellen vor Australien, perfekte Reefbreaks vor Bali: Oftmals liegen die besten Surfreviere eine halbe Weltreise entfernt. Und zwischen den Trips? Sitzen die Surf-Enthusiasten gezwungenermaßen auf dem Trocknen. Welch Luxus, wenn man für die nächste Welle dann kein Flugzeug, sondern höchstens Bahn, Bus oder das eigene Fahrrad besteigen muss.

Urbane Surfspots bringen den Sport und das zugehörige Stranderlebnis in die Städte. Das gilt schon länger für stehende Wellen wie die im Münchner Eisbach, doch inzwischen auch vermehrt für andere Konzepte. Eine laufende Welle entsteht derzeit nicht allzu weit entfernt vom bekannten Surf-Hotspot im Englischen Garten.

O2 Surftown MUC: Innovative Technologie fürs klassische Stranderlebnis

Die Eröffnung der O2 Surftown MUC in der bayerischen Gemeinde Hallbergmoos ist für diesen Sommer geplant. Rund 20.000 Quadratmeter umfasst das Gelände nördlich von München, dessen Herzstück ein gigantischer Wavepool sein wird. Allein dieses bis zu drei Meter tiefe Becken beansprucht etwa 10.000 Quadratmeter Fläche. Nebenan verteilen sich ein Bereich mit Liegeflächen, eine Lounge, ein Restaurant mit Sonnenterrasse und eine Kids Area. „Wir schaffen ein für Deutschland einzigartiges Outdoor-Angebot, mit dem wir einen Sport in einem urbanen Umfeld erlebbar machen, den es sonst nur am Meer gibt“, sagt Stefan Schumm, Head of Marketing der Surftown.

Einzigartig – nicht nur in Bezug auf die Bundesrepublik – ist vor allem die Wellentechnologie, die von Surftown-Partner Endless Surf entwickelt und in Hallbergmoos verbaut wurde. Im Betrieb lassen sich später insgesamt 34 verschiedene Luftkammern separat ansteuern. Durch Luftdruck erzeugen sie die gewünschten Wellen, die nicht nur unterschiedliche Höhen bis zu einem Maximum von 2,20 Metern erreichen, sondern zudem verschiedene Sections bilden können. Das Surf-Erlebnis lässt sich somit exakt nach individuellen Wünschen anpassen. „Anders als im Meer haben wir den Vorteil, dass wir die gewünschte Welle zur gewünschten Uhrzeit bieten können“, erklärt Schumm. Das weckt insbesondere das Interesse der Profis.

Dabei ist die O2 Surftown MUC alles andere als ein reines Trainingsgelände für die Surf-Elite. Neulinge können sich unter sicheren und modulierbaren Bedingungen an den Sport herantasten. Überhaupt wird die Zeit auf dem Brett nur einer von mehreren Aspekten sein, der Outdoor-Begeisterte vor die Tore von München lockt. „Bei uns sollen Menschen zusammenkommen, den Tag gemeinsam verbringen und einfach den Surf-Spirit leben“, meint Schumm.

Up Stream Surfing: Immer gegen den Strom

Rund zwei Stunden südlich von Hallbergmoos ist dieser Geist bereits spürbar. Seit 2019 bietet Urban Surf Solutions in Innsbruck eine Mischung aus Surfen und Wakeboarden an. Für ihr Up Stream Surfing setzen die Betreiber einen speziellen Flaschenzugmechanismus ein, den sie selbst entwickelt und patentiert haben. 2016 überzeugte das System schon die Jury der ISPO Brandnew Awards. Damals zog Up Stream Surfing in die Finalrunde ein.

Eine Surferin reitet auf einer künstlichen Welle.
Die perfekte Welle? Gibt es nicht. Die verschiedenen Wellensysteme haben alle Vor- und Nachteile.
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Stokedhouse/AllWaves

Der Mechanismus hinter dem Surfen gegen den Fluss ist denkbar simpel – und dadurch einfach genial. Benötigt werden ein Seil, ein Unterwassersegel und ein Flaschenzug, den man zum Beispiel an einer Brücke befestigt. „Das Segel nimmt die Strömungsenergie des Flusses auf“, erklärt Michael Strobel, Mitgründer von Urban Surf Solutions und Ingenieur für den Sportbereich. Treibt das Segel an einem Ende des Seils flussabwärts, nimmt die Person am anderen Ende richtig Fahrt auf. „Indem wir die Energie übersetzen, können wir jemanden vier- bis sechsmal so schnell wie die Strömungsgeschwindigkeit beschleunigen.“ Auf dem Inn erreichen die Surf-Fans Geschwindigkeiten bis zu dreißig Kilometern pro Stunde. Gut zweihundert Meter düsen sie in diesem Tempo den Fluss hinauf.

Dabei ist für Up Stream Surfing gutes Teamwork erforderlich. Das Segel taucht erst in den Fluss ein, wenn jemand es unter Wasser drückt. Den Spaß auf dem Surfboard verdient man sich durch Hilfestellungen für andere. „Dadurch eignet sich Up Stream Surfing etwa als Teambuilding-Maßnahme für Unternehmen“, sagt Strobel. Nach einem Start, den Corona empfindlich beeinträchtigt hat, werde das Angebot inzwischen sehr gut angenommen. Nicht zuletzt, weil sich die Community während der Saison zu verschiedenen Festivals und Events am „Airport Reef Innsbruck“ trifft.

Ist Surfen als Vereinssport denkbar?

Viele Mitglieder der Up Stream-Gemeinschaft möchten gerne regelmäßig zum (Flaschen-)Zug kommen. Eine Vereinsstruktur sei daher bereits angedacht, sagt Strobel. „Wichtig wird sein, dass das Sicherheitskonzept eingehalten wird“, betont er. „Es muss immer eine Absicherungsperson vor Ort sein. Außerdem müssen die Verantwortlichen die nötige Ausbildung haben, um das System auf- und abzubauen.“

Einer anderen Herausforderung sehen sich die Mitglieder des gemeinnützigen Vereins „Surfwelle Augsburg“ gegenüber. Sie möchten eine künstliche Flusswelle im Senkelbach anlegen, die sich zum Surfen, Kajakfahren, Body- und Wakeboarden eignet. Mittlerweile ist die Baugenehmigung der Stadt eingetroffen. Sobald die Finanzierung geklärt ist, kann Augsburg auf der Surf-Landkarte erscheinen.

Generell steckt das Vereinswesen in Deutschland im Bereich Wellenreiten, abgesehen vom Deutschen Wellenreitverband mit zahlreichen Mitgliedern, noch in den Kinderschuhen. „Zwar gibt es mittlerweile recht viele Vereine, die im Bereich Rapid Surfen aktiv sind, aber die Struktur mit regionalen Vereinen auf verschiedenen Unterebenen entwickelt sich langsam – aber stetig“, sagt Stefan Schumm. „Eine Anlage wie die O2 Surftown MUC wird diese Entwicklung natürlich fördern, nicht nur im sportlichen Umfeld, da wir es mit der Sportart Wellenreiten ja mit einer olympischen Sportart zu tun haben, sondern auch im organisatorischen und administrativen Bereich."

Künstliche Wellen weltweit

Wave Garden, nach eigenen Angaben Weltmarktführer in künstlichen Wellen, ist derzeit an acht Standorten rund um den Globus vertreten. Neben Küstenländern wie Brasilien, Australien, Spanien, England und Südkorea findet man die Technologie auch im Binnenland Schweiz. Weitere Surf-Anlagen entstehen zurzeit in den USA, in Israel oder in Schottland. Wettbewerber AllWaves hat vor Kurzem eine riesige Anlage in Belgien eröffnet.

Mehr als Meer: Das bedeuten urbane Surfspots für Marken

Der Tourismus dürfte die potenzielle Zielgruppe noch anwachsen lassen. Einen Großteil der Sport- und Naturfreunde wird aus der Region erwartet, zumal die O2 Surftown MUC strategisch günstig im DACH-Raum liegt. „Das ist unser Kerneinzugsgebiet“, sagt Schumm. Allerdings glaubt er, dass der Wavepool durchaus Anziehungskraft für Surf-Begeisterte aus Europa und aller Welt besitzt. „Für viele wird die O2 Surftown MUC ein weiterer Anreiz sein, Urlaub in München zu machen, weil man seinen Aufenthalt dort nun mit echten Wellen verbinden kann.“ Das ohnehin für seine Freizeit- und Outdoor-Angebote bekannte Münchner Umland wird damit um eine attraktive Facette reicher. Kleinere stehende Wellen, wie die von CityWave, haben den Vorteil, dass sie noch näher an die urbanen Zentren heranrücken können. Oder sie werden gleich mitten in die Stadt gebaut, so wie Rif101 in Rotterdam.

Nachhaltigkeit: Surfen auf der „grünen Welle“

Dass die künstliche Welle am Standort Hallbergmoos von Anfang an auf viel Gegenliebe stieß, hängt sicherlich mit dem zu erwartenden Tourismus-Schub zusammen, hat jedoch noch einen weiteren Grund. „Wir haben früh mitgedacht, wie wir uns nachhaltig aufstellen können“, sagt Schumm. Das Areal befindet sich in einem Business-Park, in der keine Natur- oder Landschaftsfläche versiegelt werden musste. Im Sommer soll die für den Betrieb benötigte Energie bis zu hundert Prozent aus Solarstrom stammen. Und die Wasseraufbereitung holt ein Maximum aus dem Wasserzyklus heraus, was einen Austausch nur selten notwendig macht.

Eine künstliche Welle in der O2 Surftown MUC.
In Halbergmoos sollen ab Sommer 2024 die künstlichen Wellen rollen.
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©SURFTOWN

„Neben der ökologischen Dimension und der ökonomischen, die wir zum Beispiel durch den Tourismus vorantreiben, sehen wir noch eine dritte Dimension der Nachhaltigkeit, nämlich die gesellschaftliche“, führt Schumm aus. „Wir möchten Surfen für alle erlebbar machen.“ Derzeit stehe man im Austausch mit gemeinnützigen Vereinen, um Kindern und Jugendlichen den Sport zu ermöglichen. Zudem ist eine Integration in den Schulunterricht angedacht. Und auch körperlich beeinträchtige Menschen könnten auf den zuverlässig steuerbaren Wellen im Surfpark aufs Board steigen.

Up Stream Surfing: Energiegeladen ohne externe Energiequelle

Aus einem weiteren Blickwinkel nimmt man sich bei Up Stream Surfing dem Thema Nachhaltigkeit an. „Uns geht es nicht um die Frage, wie man ein Produkt herstellen kann“, sagt Michael Strobel, „sondern darum, wie ich mein Engagement in eine Dienstleistung stecke, die einen Mehrwert bietet. Wir wollten zeigen, dass man eine Sportstätte ohne bauliche Maßnahmen umsetzen kann, die keine Energie verbraucht und trotzdem eine Menge Spaß bringt.“

Unter den passenden Voraussetzungen ist diese Art des Artificial Surfing auch in anderen Städten denkbar. Ein Fluss allein reicht dafür nicht, auch die Fließgeschwindigkeit des Wassers muss stimmen. „Schneller als sieben, acht Stundenkilometer sollte es nicht sein, sonst wird es zu wild“, erklärt Strobel. „Und unterhalb der Schrittgeschwindigkeit funktioniert das System nicht.“

In Zukunft soll Up Stream Surfing um zwei Aspekte erweitert werden. Gemeinsam mit einer finnischen Firma arbeitet man an Up Stream Wave, einer Konstruktion, die durchs Wasser gezogen wird und über der sich eine Welle bildet. Außerdem ist Up Stream Energy in Planung. Diese Weiterentwicklung des bereits angemeldeten Patents soll demnächst Strom generieren. „Damit bewegen wir Up Stream Surfing vom Spaß in den sinnvolleren Bereich“, blickt Strobel voraus, um mit einem Augenzwinkern zu ergänzen: „Wobei wir beides als sinnvoll erachten.“ Die ausgehungerte Surf-Community in urbanen Gebieten wird ihm da zweifellos zustimmen.

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