Mein Name ist Lukas Meindl. Mit Leidenschaft habe ich das Schuhmacher-Handwerk erlernt und führe seit 1990 zusammen mit meinem Bruder Lars Meindl in der 9. Generation in ununterbrochener Reihenfolge als Schuhtechniker die Geschäfte des Familienunternehmens Meindl. Vom Standort Kirchanschöring aus, wo wir seit über 300 Jahren Schuhe produzieren, die damals wie heute für Qualität, Innovation und Tradition stehen.
Lars und ich haben uns die Führung aufgeteilt: die kaufmännische Leitung liegt bei meinem Bruder, ich bin für die Bereiche Produktion und Entwicklung zuständig.
Welche vielschichtigen Herausforderung und Chancen mit der Produktion von Bergschuhen aktuell einhergehen, was es bedeutet, Spezialist zu sein und warum Nachhaltigkeit bei Meindl kein Ziel, sondern ein Weg ist, zeige ich in meinem Gastbeitrag.
Für mich als CEO gibt es keine „größte Herausforderung“. Es gibt täglich neue Herausforderungen, die wir, also Lars und ich, zusammen mit unseren Mitarbeitern in unserer Position lösen müssen. Das gehört zu unserer Aufgabe und die verändert sich stetig. Gerade mit Blick auf die Pandemie, in der die Herausforderungen vielschichtig sind.
Corona hat einen Ruck durch die ganze Welt gemacht. Im letzten Jahr wusste niemand, wie es weiter geht. Da war es unsere Aufgabe das Unternehmen zusammenzuhalten. Dafür zu sorgen, dass alle an einem Strang ziehen – dass wir vorausgehen und ein starkes Team bilden. Dafür muss man genau wissen, wo man hin will, was einen als Unternehmen ausmacht. Das ist wichtig! Wir haben mehr denn je gearbeitet. Vor allem, als der Einzel- und Fachhandel, unser wichtigster Partner, lange Zeit geschlossen hatte. Auch wenn sich Händler mit gut funktionierendem Online-Shop schneller berappelt haben, war erst einmal weniger Konsumbedarf da. Nicht zuletzt, weil Deutschland am längsten in der Stillhalteposition war. Viele Märkte waren offen – aber der Fachhandel nicht.
Diese Schwierigkeiten waren da, obwohl wir als Unternehmen in der Grundausrichtung sehr gut aufgestellt sind. Meindl ist eine Marke, die seit vielen Jahren bekannt ist; sich einen Namen gemacht hat über Qualität, Innovation – und international sehr gut aufgestellt ist. Das war einer der Schlüssel: Denn hätten wir uns nur auf den deutschen Markt verlassen können, hätte uns das weitaus mehr Probleme bereitet.
In der Krise waren wir mutig und haben entschieden, weiter zu produzieren. Wir waren uns sicher, dass wir die produzierten Schuhe bald wieder brauchen, und so war es glücklicherweise auch. Die Natur und das Naturerlebnis sind in den Fokus gerückt. Bergschuhe waren und sind dadurch gefragt, was uns als Bergschuhspezialist wieder Aufschwung gab. Vom Stillstand ging es für uns also plötzlich in eine hohe Nachfragesituation.
Mit der anhaltend starken Nachfrage kommen heute jedoch andere Probleme auf. Wie die Beschaffung der Rohstoffe: Die Materialzyklen laufen schlecht, die Materialnachfrage ist enorm. Die Preise für alle Materialien steigen entsprechend stark an. Wir müssen uns so organisieren, dass wir in keine Lieferschwierigkeiten geraten und die Fachhandels-Partner und somit den Konsumenten verlässlich bedienen können.
Wir arbeiten eng mit unseren Partnern der Lieferkette zusammen, pflegen langfristige Partnerschaften und können damit Kontinuität schaffen und Schwankungen ausgleichen. Das schafft Qualitätssicherheit und Planbarkeit.
Schauen wir weiter in die Zukunft, wird künftig ein noch stärkerer Preisdruck entstehen, die Inflation wird auf das Produkt durchschlagen. Was bedeutet das für uns als Marke? Menschen müssen wieder bewusster kaufen, mehr auf Qualität achten. Hochwertige und langlebige Produkte rücken weiter in den Vordergrund.
Mein Bruder Lars und ich sind im Unternehmen aufgewachsen. Wir haben dort gespielt und gelebt, wo Bergschuhe gemacht werden. Als ich älter wurde, habe ich mich gefragt: Wieso genau machen wir Bergschuhe und nichts anderes? Die Antwort meines fanatisch bergbegeisterten Vaters war einfach: „Am Bergschuh erkennst Du den Unterschied.“ Denn was in der Mode vielleicht im ersten Moment nicht so sichtbar ist: Am Berg spürt man sofort den Unterschied eines guten Schuhs.
Für den Bergschuh-Käufer ist es wichtig, ein hochwertiges, funktionales Produkt zu kaufen. Und er braucht das Produkt, das am besten passt. Deshalb haben wir auch bereits vor 40 Jahren als erster Bergschuh-Hersteller in Europa Schuhe mit GORE-TEX ausgestattet. Mein Vater sah schon damals darin die Lösung, Schuhe wasserdicht zu machen. Die Entwicklung einer Verarbeitungstechnologie des Materials am Schuh war dabei unsere Herausforderung.
Unser Ziel ist es nicht, viel größer zu werden, wir wollen besser werden. Denn wenn wir gut sind und ein Produkt haben, das gesucht und gebraucht wird, dann sind wir automatisch im Markt. Deshalb verfolgen wir schon immer simple, aber wichtige Ziele und wollen gleichzeitig ein innovatives und partnerschaftliches Unternehmen sein: Wir wollen Spezialisten für Schuhe sein, an unseren Produktionsstätten festhalten und ein guter Partner für den Fachhandel sein.
Spezialist sein bedeutet auch: Wir machen nur Schuhe. Wir brauchen keine zusätzlichen Aufgaben. Das ist auch ein Schlüssel. Wir wollen Schuhe besser verstehen – und intensiv über Probleme nachdenken können. Die Komplexität eines Schuhs ist enorm – wahrscheinlich eines der komplexesten Themen am Markt. Das ist spannend und ausfüllend. Unsere Modelle werden komplett vom Leisten bis zur Sohle in eigener Hand entwickelt.
Das Bewusstsein für Qualität muss definitiv noch weiterwachsen. Das steht im Gleichklang mit der wichtigen Thematik Nachhaltigkeit. Mit Nachhaltigkeit bringt man den Menschen näher, auf Qualität zu setzten und darauf zu achten, ein langlebiges Produkt zu kaufen. Der Energieeinsatz für viele Produkte ist so enorm, dass man sich fragen muss: Brauche ich das?
Nachhaltigkeit ist ein sehr großes Wort, das ich nicht nur auf 1,5 Grad Klimaerwärmung und CO2-Ausstoß reduzieren will. Schauen wir allein darauf, werden wir nicht genug verändern. Man muss sich selbst herausfordern und fragen: Was will ich wirklich und was nehme ich dafür in Kauf? Ich sage es immer so: Früher waren wir sparsam. Die gesamte Gesellschaft. Wir bei Meindl sind vom Handwerk geprägt schon immer sparsam. Aus jedem Rest wurde etwas geschaffen. 100% Materialeinsatz ist auch heute das Ziel – Funktion und Haltbarkeit steht aber immer im Vordergrund.
So ist Nachhaltigkeit bei Meindl kein Ziel, sondern ein Weg, den wir schon lange gehen. Für uns galt immer, bewusst und sorgsam mit Ressourcen umzugehen. Nachhaltigkeit betreiben wir aus der Tradition heraus. Jetzt machen wir dies auch mit unseren definierten EcoSteps für alle sichtbarer.
Nachhaltigkeit bedeutet heute: die zur Verfügung stehenden Technologien nutzen und das Bewusstsein dafür schaffen, was man verändern will. Wir müssen uns im Klaren sein: Wir können nicht alles in einer Nacht verändern. Das ist ein Prozess. Strikte Nachhaltigkeit bedeutet: Wir gehen weit zurück, verzichten auf alles und halten uns still. Das wollen wir als Gesellschaft nicht.
Einer Sache sind wir uns bei Meindl bewusst: Wenn wir produzieren, schaffen wir Abfall und Müll. Die Frage ist nur: Wieviel ist es – und was ist es? Darauf versuchen wir Antworten zu finden – und das nicht erst seit gestern. Wir zeigen den Käufern transparent, was wir in Sachen Nachhaltigkeit tun.
Wichtig zu erkennen ist auch, dass es am Schuh viele Materialien gibt, auf die wir aktuell nicht verzichten können. Wir brauchen Leder, Gummi, PU, EVA und gewisse Metalle. Wir schauen uns jedes Produkt im Einzelnen an, um zu sehen, wie wir es optimieren können. Nur so können wir uns stetig weiterentwickeln. Das ist ein Prozess, der permanent läuft. Gleichzeitig darf der Schuh nie an Performance verlieren, damit sich der Träger zu 100 Prozent darauf verlassen kann.
Ein wichtiger Beitrag von uns ist beispielsweise das Verbessern von Klebstoffen im Sinne ihrer Umweltfreundlichkeit. Das bedeutet, dort zu reduzieren, wo wir auf lösungsmittelhaltige Klebstoffe verzichten können oder auch bei Pflegemitteln auf wasserbasierte Produkte umzustellen. Das andere sind PFCs, die wir der Natur zuliebe sehr stark reduziert haben und auf die wir in wenigen Jahren komplett verzichten werden. Das sind wichtige Schritte.
Das Vernünftigste und Nachhaltigste ist, einen Schuh möglichst lange zu tragen: Ein Bergschuh wird irgendwann zum Gartenschuh, dient als Schlechtwetterschuh. Natürlich hat ein leichter Multifunktionshalbschuh eine kürzere Lebensdauer als ein Bergschuh, der aus 2,5 Millimeter dickem Leder gearbeitet ist. Er ist schwerer, hält aber auch mehr aus. Durchschnittlich dauert es fünf bis sieben Jahre, bis dieser Schuh neu besohlt werden muss. Dafür braucht es nicht direkt einen neuen Schuh.
Ist der Schuh in Ordnung, kann man ihn immer wieder neu besohlen. Wir haben häufig Schuhe zur Neubesohlung im Haus, die über 30 Jahre alt sind. So ein Schuh ist immer etwas Besonderes. Ihn und den Träger verbinden viele Geschichte.
In der Zeit, in der ich aufgewachsen bin, haben wir ausschließlich schwere Bergschuhe gemacht. Heute braucht es eine große Palette an Schuhen, um in den Märkten eine Position zu haben und dem Fachhandel ein starker Partner sein zu können – und das braucht und verlangt er. Der schwere Schuh ist heute nicht mehr der, der als Bergschuh im Fokus steht. Der Kunde möchte heute viel leichtere Schuhe haben.
Und: Früher haben wir in einer Gesellschaft gelebt, da hatte man ein Paar Outdoor-Schuhe, mit dem alles gemacht wurde. Heute haben wir viele Schuhe im Schrank: vom Kletterschuh über den Multifunktionsschuh, Trailrunning- oder Barfußschuh. Die Natur ist eine große Spielwiese geworden.
Auch deshalb muss man als Spezialist breit aufgestellt sein. Ich bin überzeugt davon, dass den Spezialisten die Zukunft gehört. Wir bleiben dem Schuh treu.
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