Der gesellschaftliche Druck auf die Bekleidungsindustrie wächst. Auch die Mode- und Sportindustrie ist längst zur Zielscheibe geworden. Und das ist gut so, finden die Berliner Modeaktivistinnen Jana Braumüller, Vreni Jäckle und Nina Lorenzen, die vor zwei Jahren die Community Plattform Fashion Changers gegründet haben.
In ihrem Blog und auf Social Media schreiben sie nicht nur über nachhaltige Mode, sie mobilisieren Gleichgesinnte und gehen für ihre Forderungen auf die Straße. Auch den Kontakt zu Politik und Wirtschaft suchen sie aktiv, halten Vorträge und organisieren Podiumsdiskussionen - zuletzt auf der Messe für nachhaltige Mode, Neonyt, in Berlin.
Im März erschien ihr erstes Buch „Fashion Changers. Wie wir mit fairer Mode die Welt verändern können“ im Knesebeck Verlag. Im Rahmen der Fashion Revolution Week vom 20. bis 26. April stellt sich die Frage: Wie können Aktivist*innen die Bekleidungsindustrie verändern?
ISPO.com: Sie nennen sich Fashion Changers – was genau wollen Sie an der Mode ändern?
Vreni Jäckle: Wir wollen eigentlich die ganze Modebranche verändern und erreichen, dass die faire und nachhaltige Mode sichtbarer wird. Dabei geht es auch darum, dass die Mode diverser und inklusiver wird und nicht immer nur einen Typ Mensch zeigt. Wir wollen sozusagen eine verträglichere Mode für Mensch, Umwelt und Gesellschaft.
Wie ist Fashion Changers entstanden? Wie haben Sie drei sich gefunden?
Nina Lorenzen: Wir haben verschiedene berufliche Hintergründe, aber wir hatten alle unseren eigenen Blog mit feministischen oder ökologischen Schwerpunkten und kannten diese. Irgendwann haben wir uns offline getroffen und angefangen, erste kleine Events für Blogger*innen mit ähnlichen Themen zu organisieren. Wir fanden es wichtig, die Community weiter zusammenzubringen und gemeinsam an Themen zu arbeiten. Zuerst ging es nur um Mode und Nachhaltigkeit, jetzt auch um andere gesellschaftlich relevante Themen. Warum wir drei? Zu dritt ist alles besser! Es wundert uns manchmal sehr, dass die Vorteile des Kooperationsgedankens noch nicht Konsens sind.
Gleichzeitig bezeichnen Sie sich als Modeaktivistinnen – was heißt das genau?
Vreni Jäckle: Nur weil wir ein Magazin zu Nachhaltigkeitsthemen haben und Bestehendes hinterfragen, macht uns das nicht persé zu Aktivistinnen. Deshalb besteht ein Teil unserer Arbeit auch aus politischen Aktionen und darin, Forderungen voranzutreiben, Petitionen zu unterstützen. Wir organisieren z.B. Demoblocks zum Thema Mode und versuchen dafür Menschen auf die Straße zu holen. Wir arbeiten hier inzwischen auch mit anderen Aktivist*innen zusammen und treffen uns regelmäßig, beispielsweise mit Fridays for Future und Parents for Future und vielen anderen, um uns gegenseitig zu unterstützen.
Fashion Changers ist aber kein Verein, sondern ein Unternehmen. Wie sieht Ihr Geschäftsmodell aus?
Nina Lorenzen: Wir sind ein Start-up und haben unser eigenes Online-Magazin. Dafür kreieren wir Content, wir organisieren aber beispielsweise auch Events in Kooperation mit Unternehmen. Beispielsweise hatten wir vor kurzem ein Event mit einer Naturkosmetikmarke, bei dem es um Körperbilder ging. Wir halten Vorträge und organisieren Podiumsdiskussionen.
Diskussionen über die neuesten nachhaltigen Mode-Trends gibt es auch auf der OutDoor by ISPO.
Soll man nur noch nachhaltige Produkte konsumieren oder möglichst ganz auf Konsum verzichten?
Vreni Jäckle: Zu nachhaltigem Modekonsum gehört mehr als nur den Kleiderschrank auf grün umzustellen. Uns geht es darum, dass die Menschen aufhören, passiv zu konsumieren. Wir wollen mehr Auseinandersetzung darüber, wie ein Produkt entsteht und auch, ob man es wirklich braucht. Aber in unserer Kommunikation rufen wir weder zum Konsumverzicht noch zum schnellen Konsum auf. So funktioniert der Konsum in der Realität auch nicht – kein Mensch macht entweder nur das eine oder das andere. Unser Ansatz lautet: denk nach, kauf bewusst ein, achte auf gute Qualität und Langlebigkeit. Und nutze verschiedene Wege, man kann auch leihen, tauschen und Second-Hand kaufen. Es geht um den Mix, der mehr Verantwortlichkeit bringt und dabei nicht den Spaß an der Mode nimmt.
Nina Lorenzen: Darum geht es uns auch in unserem Buch: Wir wollen Möglichkeiten aufzeigen. Wir sagen nicht, alles ist schlecht und lassen die Leser*innen dann damit alleine. Das ist zu deprimierend. Daher rührt ja zum Beispiel auch die Klimaangst, und die lähmt. Wir wollen aber mobilisieren. Deshalb auch die Community. Es ist wichtig, dass man nicht alleine kämpft, und dieses Gefühl wollen wir weitergeben. Wir sagen auch nicht, alle Unternehmen machen alles falsch, uns ist klar, dass wir die Unternehmen mit ins Boot nehmen müssen, um etwas verändern zu können.
Wie ist die Reaktion der Unternehmen auf Ihre Arbeit?
Nina Lorenzen: Nachhaltigkeit ist inzwischen ein Buzzword geworden, und jetzt liegt es an uns, journalistische Sorgfalt walten zu lassen, um darzustellen, wer es ernst meint und wer Greenwashing betreibt. Natürlich geht Veränderung nicht von einem Tag auf den anderen, aber es ist wichtig, öffentlichen Druck auszuüben und von den Unternehmen Transparenz zu fordern.
Viele Unternehmen – auch in der Outdoorbranche – berufen sich jetzt im Zuge der Nachhaltigkeitsdiskussion gerne darauf, dass sie besonders langlebige Produkte machen. Ist das ausreichend?
Nina Lorenzen: Langlebigkeit ist natürlich ein entscheidender Faktor, wenn es um Nachhaltigkeit geht. Insofern sollte nachhaltig produzierte Kleidung natürlich auch immer lange halten. Wenn nun eine Outdoormarke mit langlebigen Produkten wirbt, ist das zwar gut, wir würden aber trotzdem fragen: Wo kommt der Stoff her? Wurden die Menschen, die ihn verarbeitet haben, ordentlich bezahlt? Kann das recycelt werden? Sind die Bestandteile des Kleidungsstücks aus nachhaltigen Quellen?
Ihnen geht es auch um feministische Fragen: Mode ist vor allem ein Frauenthema, und auch beim Kampf um nachhaltige Mode sieht man vor allem Frauen vorne. Warum ist das so?
Vreni Jäckle: Männer sagen uns oft, sie kaufen eh nur drei Sachen im Jahr. Dahinter steht der Gedanke, Mode hätte gar nichts mit ihnen zu tun, was so aber nicht stimmt, denn wir alle tragen Mode. Dementsprechend ist das Interesse an fairer und nachhaltiger Mode auch oft geringer. Soziale Themen sind übrigens auch häufig weiblich konnotiert – faire Mode hat somit im doppelten Sinne nichts mit vermeintlich männlichen Rollenbildern zu tun. Hinzu kommt: Der billige Modekonsum richtet sich vor allem an weibliche Zielgruppen. Er spiegelt so auch das PayGap zwischen Mann und Frau wider. Zudem arbeiten vor allem Frauen in der globalen Modeproduktion und im Handel. Vielleicht fühlen sich Frauen deshalb besonders motiviert, hier Veränderungen herbeizuführen.
In den Bereichen Sport und Outdoor gibt es nachhaltige Kollektionen und eine primär männliche Zielgruppe. Wie steht es um diese Bereiche?
Nina Lorenzen: Das Outdoorsegment richtet sich an naturverbundene Menschen, insofern ist es nur folgerichtig, dass Konsument*innen und Unternehmen in diesem Bereich Umweltschutz wichtig finden. Gleichzeitig haben wir es hier mit dem Paradox zu tun, dass Funktionsbekleidung besonders schwer nachhaltig produziert werden kann, weil es oft ressourcenintensiver Prozesse bedarf, bis ein Kleidungsstück beispielsweise wasserdicht oder besonders atmungsaktiv sein kann.
Was muss sich in der Sport- und Outdoorbranche Ihrer Meinung nach vor allem ändern?
Vreni Jäckle: Die Outdoorbranche bietet unserer Meinung nach ein besonders großes Innovationspotential. Wir wünschen uns zum Beispiel ressourcenschonendere Prozesse für Imprägnierungen und einen sinnvolleren Umgang mit den verarbeiteten Materialien, Cradle to Cradle ist da ein guter Ansatz. In der Outdoorbranche werden außerdem viele Textilien tierischen Ursprungs verarbeitet, wie zum Beispiel Wolle, aufgrund der antibakteriellen und atmungsaktiven Eigenschaften. Hier braucht es eine ethische und umweltverträgliche Tierhaltung.
Fashion Changers gibt es seit 2018 – wie lautet Ihr bisheriges Fazit?
Nina Lorenzen: Die mediale Berichterstattung hat sich schon sehr verändert. Auch Bewegungen wie Fridays for Future haben das Thema weiter nach vorne gebracht. Davon profitiert auch die nachhaltige Mode. Aber wir sehen auch: Der Ressourcenverbrauch weltweit ist so hoch wie nie zuvor und wächst weiter. Wir wissen auch um die Wissen-Verhaltenslücke, dass Menschen zwar nachhaltiger werden wollen, sich aber nicht so verhalten. Unser Fazit daher: Wir können nicht darauf warten, dass alles von selbst besser wird. Auch bei den Öko-Lebensmitteln, die ja schon eine gewisse Marktdurchdringung erreicht haben, liegt der Prozentsatz gerade mal bei fünf Prozent. Es ist keine Zeit mehr für freiwillige Selbstverpflichtung. Wir brauchen Regularien, wir können es nicht allein den Konsument*innen überlassen.
Vreni Jäckle: Es ist ein Märchen, dass alle vernünftig werden, wenn sie nur richtig aufgeklärt sind – das ist unrealistisch. Der Wille zur Veränderung muss aus verschiedenen Richtungen kommen – von den Konsument*innen, der Politik und der Wirtschaft. Deshalb sind wir in unserer Arbeit auch immer aktivistischer geworden.
Wie ist Ihre Prognose?
Vreni Jäckle: Defacto ist die Klimakrise im vollen Gange, wir werden in Zukunft immer mehr Probleme bekommen. Deshalb wird sich das Thema Nachhaltigkeit auch in Zukunft fortsetzen. Im Moment wird noch viel darüber geredet, und meine Hoffnung ist es, dass wir bald in eine aktive Phase übergehen, wo viel gehandelt wird.
Welche neuen Aktionen sind bisher für 2020 geplant?
Nina Lorenzen: Wir werden jetzt erstmal unser Buch promoten und stecken in den Vorbereitungen für den Fashion Revolution Day am 24. April. Im Herbst werden wir außerdem unsere erste Fashion Changers Konferenz veranstalten. Das Datum steht aber noch nicht fest.
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