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Messe München
INTERVIEW/29.04.2024

„Sport sollte ein Menschenrecht sein”

Yusra Mardini
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Yusra Mardini stammt ursprünglich aus Syrien, nahm als Profi-Schwimmerin an Olympischen Spielen teil und rettete auf der Flucht in Seenot sich selbst und anderen das Leben. Heute studiert sie in den USA und führt eine eigene Stiftung, die für Geflohene im Zugang zu Sport und Bildung unterstützt. Im Interview spricht sie über ihre Geschichte im Zusammenhang mit dem Sport, über mentale Gesundheit und welche Botschaften für die heutige Sports-Community wichtig sind.

Zum Einstieg: Wie war das letzte Jahr für dich?

Es war wirklich aufregend! Ich habe mich als Frau weiterentwickelt, gelernt, meine Prioritäten zu setzen und wohin ich im Leben will. Außerdem habe ich gelernt, dass es keine Grenzen gibt, wenn du große Träume hast.

Deine Hauptsportart ist Schwimmen. Hast du weitere Favoriten?

Oh ja, Synchronschwimmen und Tennis mag ich auch sehr. Und Basketball natürlich, das habe ich früher selbst gespielt. Es gibt so viele Sportarten, die ich mir gerne anschaue, zum Beispiel Formel 1 oder Leichtathletik. Als Schwimmerin müsste ich das Laufen hassen, aber ich liebe Laufen, wahrscheinlich weil ich es von klein auf mache. Mein Vater hat es früher ins Schwimmtraining integriert. Und auch heute laufe ich mindestens einmal die Woche 10 Kilometer.

Wie fühlt es sich für dich an, der Sportwelt deine Geschichte zu erzählen?

Ich überlege, wie ich sie authentisch herüberbringe und welche Botschaft ich vermitteln will. Und die ist mir wichtig: der Einsatz für Flüchtlinge und für Sport. Ich mache das so gerne, weil es ja um meine Geschichte geht und es ein Privileg ist, sie zu teilen und die Welt damit besser zu machen.

Welche Message möchtest du der internationalen Sport-Community mitgeben?

Als Athletin würde ich sagen: Stecke dir selbst keine Grenzen! Ich weiß, dass es sich vielleicht so anfühlen kann, als hätte man sein Maximum erreicht, aber man muss manchmal etwas verrückt denken, um zu Zielen wie einer Goldmedaille oder einem neuen Rekord zu kommen. Du musst dafür out of the box denken, selbst, wenn dein Körper erst nein sagt. Wenn dein Kopf ja sagt, folgt irgendwann der Körper. Dieses Mindset ist der Wahnsinn! Es hilft mir sehr in meinem Leben, nicht nur als Sportlerin. 

Ein bisschen verrückt und einzigartig zu sein, ist absolut großartig! Wir alle denken anders oder vielleicht denken wir sogar gleich, stehen aber deshalb im Wettkampf. Das ist doch das Schöne am Leben!

Stell dir vor, du könntest etwas auf die Tagesordnung von Entscheider*innen im Sport setzen, was wäre das?

Ich bin überzeugt, dass wir mehr ins Schwimmen investieren sollten. Denn wir schauen es alle gerne an und es ist der am zweitbeliebteste Sport bei den Olympischen Spielen. Warum also nicht mehr fördern, wie Fußball oder Formel 1? 

Als ich von Under Armour gesponsert wurde, wegen meiner Backstory und meiner Resilienz, war das wirklich eine tolle Erfahrung und hat mir auch gleichzeitig die Motivation gegeben, eine bessere Sportlerin zu werden. Es muss nicht immer um Medaillen gehen, manchmal suchen wir uns auch Sportler*innen wegen ihrer Geschichte aus. Ich finde, das sollte viel öfter passieren.

Deine Geschichte wurde als Buch veröffentlicht und für Netflix verfilmt. Wünschst du dir manchmal, über etwas anderes zu sprechen?

Klar, es ist hart. Das habe ich bereits jung begriffen und das ist auch der Grund, warum ich viele Interessen und Dinge habe, die ich im Leben verfolge. Ich studiere jetzt Filmwissenschaften, bin in der Modewelt unterwegs und träume davon, einmal meine eigene Modemarke zu haben. Natürlich ist es herzzerreißend, meine Geschichte wieder und wieder zu erzählen. Aber ich weiß auch, dass ich damit etwas Gutes tue, denen eine Stimme gebe, die ihre Geschichte nicht erzählen können. Ich bin zwar geflohen, aber ein ganz normaler Mensch mit Träumen und Ambitionen, der manchmal auch eine Pause braucht. Aber zum Glück merke ich ganz gut, wann.

Du bist zu einem Symbol für Widerstandsfähigkeit geworden. Zugleich gibt es weltweit zahlreiche Kriege und Konflikte. Wie bleibst du selbst mental stark und gesund?

Ich mache das, was alle Menschen machen: Wenn es zu viel wird, weine ich, spreche mit meinen Eltern darüber oder mit anderen, die mir nahestehen. Ich hole mir ein Eis und gehe spazieren, die normalen Dinge, die man macht, wenn man traurig ist.

Persönlich sammle ich meine Energie durch das Wissen, eine Plattform und eine Stimme zu haben, der viele Menschen Gehör schenken. Es gibt mir Kraft, zu wissen, ich könnte ihre Meinung beeinflussen. Meine Arbeit besteht nicht nur darin, eine Geschichte zu erzählen, sondern darin, wie Menschen Flüchtende wahrnehmen und wie sie Flüchtende in ihren Ländern aufnehmen. Das ist auch, was wir mit der Stiftung machen.

Ich hoffe, dass wir dadurch so vielen Flüchtenden wie möglich mit Bildung und Sport helfen können. Große Marken und Unternehmen können wiederum uns helfen, mehr zu erreichen. Also lasst uns zusammenarbeiten, um die Welt zu einem besseren Ort zu machen!

Hat deine Geschichte den Blick auf die Höhen und Tiefen als Athletin verändert?

Als ich neun war, ging es nur ums Gewinnen. Schwimmen und Gold. Schwimmen und Gold. Es geht im Leben aber nicht nur darum, zu gewinnen oder zu verlieren, sondern zu wachsen und zu lernen. Das habe ich auf die harte Art gelernt, aber es hat sich definitiv gelohnt!

Mit deiner Stiftung unterstützt du den Zugang zu Sport. Findest du, Sport sollte ein Menschenrecht sein?

Ja, unbedingt! Für mich war es das, was mir beim Überleben geholfen hat, als das Boot nicht mehr funktionierte, als ich nach Deutschland kam und die Sprache nicht sprach. Ich habe durchs Schwimmen kommuniziert. Es hat mir auch in Syrien geholfen zu überleben. Es war die eine Sache, die mir Hoffnung gab, weiterzuleben und zu träumen.

Ich weiß nicht, ob ich ohne den Sport die gleiche Person wäre. Durch den Sport habe ich gelernt, zu scheitern und es nochmal zu versuchen. Ich habe gelernt, mit dem Coach zu kommunizieren, Freundschaften zu pflegen, aber im Becken Rivalen zu sein. Jeder Wert, den der Sport vermittelt, ist wirklich wichtig im Leben.

Die meisten Athlet*innen, die ich treffe, sind unglaubliche Persönlichkeiten, die in der Welt etwas verändern wollen. Sport sollte also ein Menschenrecht sein, das vielen Kindern mit ihrer psychischen Gesundheit helfen kann. Stell dir vor, sie sind in einem Flüchtlingslager und du ermöglichst ihnen am Tag eine Stunde Sport. Das bedeutet alles für sie.

Wenn du einen Blick auf die Sportwelt wirfst, was fehlt?

Es kommt auf den Sport an. Natürlich wird viel mehr Sport gebraucht. Aber es fehlen auch Perspektiven. Es gibt immer noch nicht die gleichen Gehälter für Frauen und Männer. Eine Frau kann genauso Goldmedaillengewinnerin sein wie ein Mann, aber sie verdient weniger. Das ist doch nicht fair! Das können wir verbessern. Zweitens, ich habe es schon gesagt, könnten wir meinen Lieblingssport Schwimmen viel mehr unterstützen. 

Und wir könnten Sport noch viel mehr mit sozialem Engagement verknüpfen! Wir könnten Athlet*innen darin ausbilden, sich für die Dinge einzusetzen, die ihnen wichtig sind – ob das nun Klimawandel, Mental Health oder Flüchtlinge sind. Ich bin überzeugt, dass wir Sportler*innen lehren können, noch mehr zu Vorbildern zu werden, als sie es sowieso schon sind.

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