Zwischen zwei Vorlesungen bleibt Zeit für ein Gespräch im Münchner Universitätsviertel: Nina Schlickenrieder ist überpünktlich, mit ihrem sportlich-lässigen Outfit und den wilden blonden Locken fällt die 19-Jährige im vollbesetzten Café durchaus auf. Positiv.
Nina Schlickenrieder im Interview
ISPO.com: Frau Schlickenrieder, war Ihnen die Loipe zu langweilig?
Nina Schlickenrieder: (lacht) Nein, so kann man das nicht sagen. Dass mein Bruder und ich nicht wie unser Vater beim Langlauf gelandet sind, war keine Entscheidung gegen seine Sportart, sondern für Freeski.
Sie und Ihr Bruder Lukas gehören zu den größten deutschen Slopestyle-Talenten in Deutschland. Ihren Nachnamen kennen die meisten deutschen Wintersport-Fans aber wohl vor allem wegen Ihres Vaters. Werden Sie oft darauf angesprochen, dass Sie eine Schlickenrieder sind?
Klar, das kommt schon vor. Mein Vater war ja ein bekannter Skilangläufer und ist als ARD-Experte immer noch stark präsent. Was witzig ist: Viele können zwar mit unserem Nachnamen etwas anfangen, aber genau wissen es die Leute dann doch nicht. Irgendwas mit Wintersport halt. Dabei haben Langlauf und Slopestyle in keinster Weise etwas miteinander zu tun.
Immerhin sind Sie auch auf Ski unterwegs. Eine echte Wintersport-Familie, oder?
Ja, aber ich würde eher sagen: Wir sind eine Outdoor-Familie. Weil: Ich fahre ja auch viel Mountainbike, da würde ich gerne mal ein Enduro-Rennen mitmachen. Mein Bruder ist auch oft dabei – und mein Vater ist mittlerweile auch viel mit dem Rad unterwegs. Der nimmt meine Mutter dann gleich mit. Früher ist meine Mama auch Skirennen gefahren.
Wenig Konkurrenz bei Freeski-Contests
Dass der Schlickenrieder-Nachwuchs so sportlich ist, musste also fast zwangsweise so kommen. Wer von Ihnen beiden hat denn die größeren Ambitionen?
Wie Lukas gehöre ich zum C-Kader des DSV. Für Lukas, der zwei Jahre jünger ist, ist es schwerer: Es gibt viel mehr Jungs, die Freeski fahren, die Konkurrenz ist hart. Bei uns treten bei ‘nem Europacup manchmal gerade mal zehn Mädels an, in Kanada sind’s auch bei kleineren Wettbewerben schnell mal 25.
Das Niveau bei den Männern ist schon viel höher. Lisa Zimmermann (amtierende Slopestyle-Weltmeisterin, Anm.d.Red.) ist die einzige Frau weltweit, die den Double Cork beherrscht. Bei den Männern ist dieser Trick Grundvoraussetzung. Aber ich bin überzeugt: Mein Bruder hat so viel Talent, dass er mal eine Olympia-Medaille holen könnte – wenn er wirklich will.
Und Sie? Was sind Ihre sportlichen Ziele?
Ich würde mich gerne für Olympia qualifizieren. In diesem Winter wollte ich voll bei den Weltcups und auch bei der WM angreifen, aber dann habe ich mir Anfang Oktober beim ersten Wettkampf im Kaunertal den Außenmeniskus gerissen. Jetzt darf ich langsam wieder anfangen.
Im Oktober hat für Sie ein neuer Lebensabschnitt begonnen: Sie sind jetzt Studentin.
Ja, ich studiere Englisch und Wirtschaft auf Gymnasiallehramt an der LMU in München. Das ist schon eine Umstellung.
Was meinen Sie?
Na ja, ich war nach meinem Abi ein Jahr lang unterwegs, von November 2015 bis Mai 2016 in Whistler. Das ist ein ganz anderes Umfeld, gerade in den kanadischen Freeski-Orten herrscht ein extrem lässiger Umgang. Jeder trägt, worauf er Bock hat. Einfach entspannt. Und jetzt sitze ich in Kursen mit BWL-Studenten, die dich schon komisch anschauen, wenn du als Frau ‘ne Mütze aufhast.
100 Euro von der Sporthilfe
Sie setzen auf Studium und Sport – wäre nicht auch reines Profitum möglich gewesen?
Freeski ist eine relativ neue Sportart und vielen noch unbekannt, es ist als Newcomer quasi nicht möglich, davon zu leben. Lisa (Zimmermann) ist ein absolutes Ausnahmetalent und sehr erfolgreich, sie ist eine der wenigen, die aktuell von unserem Sport leben können – aber wie lange halt? Mir ist es wichtig, noch etwas anderes zu machen neben dem Sport.
Wie funktioniert Freeski denn für Sie finanziell?
Das einzige Geld, das ich erhalte, sind 100 Euro monatlich von der Sporthilfe. Unterkünfte und Anreise muss ich selbst bezahlen, das Startgeld für die Wettkämpfe lege ich zunächst aus, rechne es später über meinen Verein ab. Bei den Liftkarten bekommen wir meistens über den DSV Prozente.
Wie sieht’s mit der Ausrüstung aus?
Wir als Slopestyler befinden uns nicht im DSV-Einkleidungspool, weil jeder individuell seine eigenen Sponsoren hat. Ich habe einen Super-Ausrüster gefunden: Scott stellt mir die komplette Winter- und Sommer-Ausrüstung, also neben Ski und Klamotten auch Bikes, zur Verfügung. Das ist natürlich super, weil die Materialkosten schon ziemlich hoch sind.
Peter Schlickenrieder „mischt sich nicht ein“
Klingt als wären Freeskier ganz schön auf sich allein gestellt…
Na ja, die Unterstützung könnte größer sein. Aber es sind ja auch andere Dinge, die durch den Kaderstatus beim DSV möglich werden. Zum Beispiel in meinem Studium: Die Kooperation zwischen DSV und LMU ermöglicht mir, dass mein Lehramtsstudium auf meinen Sport Rücksicht nimmt. Dafür gibt es sogar einen Mentor, an den ich mich immer wenden kann. So muss ich nur zwei Tage pro Woche nach München an die Uni und kann mich den Rest der Woche auf den Sport konzentrieren.
Und richtig gut ist die ärztliche Betreuung über den DSV: Nach meiner Verletzung konnte ich direkt zum DSV-Mannschaftsarzt (Peter Brucker, Anm.d.Red.). Er ist ein absoluter Spezialist und ich habe sehr schnell einen OP-Termin bekommen. Auch die Reha verlief sehr gut.
Inwiefern kann Ihnen Ihr Vater, der ja auch DSV-Vizepräsident ist, bei Sportbusiness-Angelegenheiten helfen?
Klar ist er eine große Hilfe, er kennt extrem viele Leute – aber vor allem im Langlauf-Bereich. Er mischt sich nicht ein, aber wenn ich Fragen habe, kann ich zu ihm kommen. Als ich zum Beispiel im Sommer einen Brief von meinem bisherigen Ausrüster Hamox bekam, dass er mich nicht weiter unterstützen kann, habe ich Papa gefragt, was ich machen könnte. Er hatte dann ein paar gute Tipps und Kontakte für mich. Wenn es um Sponsoren geht, ist mein Bruder sogar noch umtriebiger. Lukas engagiert sich, seit er 13 ist und hat K2 als Ausstatter.
Wie wichtig ist Social Media für Sie als junge Athletin in einer Trendsportart?
Ich habe keine eigene Facebook-Fanseite, weil ich finde, dass man erst größere Erfolge auf internationaler Ebene gehabt haben sollte, bevor man so etwas macht. Ich bin vor allem auf Instagram aktiv. In den USA und in Kanada ist Instagram richtig groß und super wichtig, hier ist es eher noch Facebook.
„Nicht mit Sponsoren-Logos zupflastern“
Mit Scott als Sponsor im Hintergrund: Wie privat ist Ihr Instagram-Profil?
Hm, ich würde sagen: Nicht extrem privat, aber dennoch sehr authentisch. Mittlerweile schreibt jeder Sponsor in den Vertrag rein, dass man zu einer bestimmten Anzahl an Posts verpflichtet ist, aber für mich ist das kein Problem. Es ist ja nichts erzwungen. Schließlich bin ich eh auf Facebook und Instagram aktiv und poste nichts, wovon ich nicht hundertprozentig überzeugt wäre. Im Gegenteil: Mir macht Social Media viel Spaß, ich teile meine Erlebnisse gerne mit der Welt.
Noch haben Sie viel Platz auf Ihrer „Sponsorenwand“...
Ja, aber ich stehe am Anfang meiner Karriere. Ich möchte auch nicht mit Sponsoren-Logos zugepflastert sein und mich nur noch auf allen Social-Media-Kanälen profilieren. Ich will Freeski fahren. Und wenn es mit der großen Ski-Karriere nichts wird, bin ich in zehn Jahren vielleicht Lehrerin. Ich finde, das ist ebenfalls ein Traumjob!
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