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Schmidhuber/IMAGO
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Sports/09.01.2023

„Gold-Rosi“: Das bewegte Leben einer Ikone des Wintersports

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Rosi Mittermaier war die erste weibliche Ikone des Wintersports. Aus dem Nichts mit Superlativen überhäuft, hängte „Gold-Rosi“ ihre Karriere früh an den Nagel. Später beflügelte sie mit ihrer Popularität soziale und sportliche Projekte. Die ISPO-Pokal-Preisträgerin verstarb kürzlich im Alter von 72 Jahren nach schwerer Krankheit. Das Porträt einer Ausnahme-Athletin und -Persönlichkeit.

Was große Sportlerkarrieren von den ganz Großen unterscheidet, ist das Gespür für ein ideales Timing beim Aufhören. Drei Monate nach ihrem überraschenden Doppelgold-plus-Silber-Triumph bei den Olympischen Winterspielen 1976 in Innsbruck, nach einer Saison, in der sie auch den Weltmeistertitel in der Alpinen Kombination und den Gesamtweltcup gewinnt, sagt Rosi Mittermaier dem Skizirkus Servus. Ihre enorme Popularität bleibt auch Jahrzehnte danach ungebrochen, weil sie auch auf neuen Pisten ihre Spuren hinterlässt.

Sicherlich wird die große, kleine (1,59 Meter) Rosa Katharina Mittermaier auch nach ihrem Tod noch lange wirken – persönlich wie sportlich. „So einen Menschen findet man nicht wieder“, sagt Fußball-Legende Sepp Maier stellvertretend für viele, die Rosi Mittermaier nun sehr vermissen. Tobias Gröber, Head of ISPO Group, schreibt in seinem Kondolenzschreiben an Rosi Mittermaiers Familie:Rosi Mittermaier wird uns und der gesamten Wintersportgemeinde durch ihre liebenswerte, offene und fröhliche Art immer in Erinnerung bleiben. Ihre Lebensfreude und Begeisterung war regelrecht ansteckend und eine Inspiration für Millionen Menschen in Deutschland und weit darüber hinaus.“ Denn nicht nur dem Megatrend Nordic Walking verhalf die gebürtige Münchnerin hierzulande zum Durchbruch, sondern ihre Skigymnastik-Übungen im Bayerischen Fernsehen genießen mittlerweile Kultstatus. Ihr lebenslanges Credo: Der moderne Mensch soll sich bewegen, raus in die Natur, statt sitzend zu verkümmern.

Bayerisches Aushängeschild

Sie war ein Musterbeispiel dafür, wie man trotz atemberaubender Erfolge bodenständig und zugänglich bleiben kann. Sie stand in vorbildlicher Weise für die Liebe zur Heimat, Sportsgeist, Toleranz und Fair Play“, würdigte der bayerische Ministerpräsident Markus Söder die stets strahlende Rosi Mittermaier, die so viel mehr war als eine Skirennläuferin. Nämlich auch eine Symbolfigur der alten Bundesrepublik; für das einst belächelte Agrar-Bundesland zur aufstrebenden Wintersport-Location gereifte Bayern sowieso.

Rosi Mittermaier war eine Vertreterin des neuen, selbstbewussten Bayern, das weibliche Pendant zu Beckenbauer, Hoeneß und Müller, dem Bomber der Nation. Als Olympia-Botschafterin warb sie später für Winterspiele in München, die CSU bat sie zur Wahl des Bundespräsidenten in die Bundesversammlung. Ein Aushängeschild aus dem Bilderbuch, diese „Gold-Rosi“.

Plötzlich „Gold-Rosi“

Ihren größten sportlichen Triumph feiert sie 1976 – und jeder kennt plötzlich die „Gold-Rosi“. Vor den Olympischen Winterspielen in Innsbruck hatte sie nämlich keiner auf dem Zettel, Favoritinnen waren andere. Umso mehr ist man in Reit im Winkl aus dem Häuschen, als die damals 25-Jährige von der Polizei durch ihre Heimat eskortiert wird, mit ihren drei Medaillen um den Hals. Nur der Postbote namens Steff seufzt, weil er Rosi täglich tausende Fanbriefe und -Pakete hochschleppen muss auf die Winklmoos-Alm. Als Dankeschön für die Auslieferung gibt's immer Kaffee und a gscheide Brotzeit von Rosis Mutter. Die unendlich vielen Blumensträuße reichten die Mittermaiers weiter an Krankenhäuser in Traunstein und Umgebung.

Insgesamt erreichte sie 41 Podestplätze im Alpinen Skiweltcup, darunter zehn Siege. Unter anderem schaffte sie es 1976 auf dem Copper Mountain in den USA gleich zweimal auf Platz 1: sowohl im Slalom als auch Riesenslalom. 

Wegbereiterin für andere Wahrnehmung des Frauensports

Selbst ABBA war für die Olympiasiegerin keine Konkurrenz. Trotz des Erfolgstitels „Dancing Queen“ musste sich die Pop-Gruppe 1976 mit einem bronzenen „Bravo-Otto“ zufriedengeben, während Rosi Mittermaier, na klar, auch hier das goldene Exemplar abräumt. Der allererste weibliche Popstar des Skisports war geboren. Die New York Times tauft sie „Miss Lächeln“, „Rosi, wir küssen dich!“, titelt die Bild-Zeitung. „Mit diesem Erfolg hat Rosi maßgeblich dazu beigetragen, dass der Frauensport anders wahrgenommen wird“, findet Maria Höfl-Riesch, die als Skirennläuferin zwar eine olympische Goldmedaille mehr gewann als ihr Idol, aber nicht ansatzweise so frenetisch gefeiert wurde. Das gelang keiner nach Rosi Mittermaier.

Vielleicht waren es damals einige Küsschen zu viel für Rosi Mittermaiers Bescheidenheit und ihr heimatliches Idyll: „Vor der Hütte ist kein Gras mehr gwachsn, weil so viel Leut da waren“, so erläuterte sie ihren Abschied aus dem Profizirkus. Immer wieder seien übergriffige Fans über den Zaun geklettert, um einen Blick ins Mittermaiersche Esszimmer zu werfen.

Die Medaillen veränderten ihre Lebensumstände, aber Rosi blieb Rosi. Der Schnee („Wenn es schneit, ist für mich ein Jubeltag. Alles Hässliche war zugedeckt.“) und das Skifahren, das beteuerte sie immer wieder, waren ihr Schönstes, „die totale Freiheit“. Wegen des Hypes um ihre Person gab sie auf, was sie nach eigenen Angaben am allermeisten liebte.

Fröhlichkeit und Herzenswärme statt verbissener Ehrgeiz

Über Siege ihrer Kameradinnen freute sich die Skisportlerin wie über ihre eigenen. Eine Oliver-Kahn-artige Besessenheit strahlte sie nie aus, stattdessen: Fröhlichkeit und Herzenswärme. Als hätte ihr bei den Olympischen Skirennen 1976 die pure Freude am Herabgleiten auf der weißen Pracht das Gold beschert. „Sie suchte nicht den Erfolg, aber vielleicht gerade deshalb fand der Erfolg sie“, vermutet der „Tagesspiegel“ in seinem Nachruf.

Rosi – eine ziemlich moderne Frau

Dass die goldige Gold-Rosi Potenzial über das rein Sportliche hinaus besaß, erkannte auch Mark McCormack. Der US-Amerikaner, legendärer Gründer der „International Management Group“, gilt als Erfinder des modernen Sportmarketings. Neben dem Jahrhundert-Tennis-Ass Björn Borg und weiteren internationalen Topathlet*innen nahm er Rosi Mittermaier unter Vertrag – als einzige Deutsche und nicht mehr aktive Sportlerin. 

Der Deal bringt ihr zwei Millionen Mark für drei Jahre Laufzeit, was zu dieser Zeit eine gewaltige Summe darstellt. Sie entwirft eine Wintersportkollektion, wirbt für Skiartikel, performt auf Werbeterminen, überall auf der Welt. Im zeitlichen Kontext war Jet-Set-Rosi, Ende der 1970-er Jahre, eine ziemlich moderne Frau für ein Madl von der Winklmoos-Alm.

Moderne Frau: von der Winklmoos-Alm in die Welt
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www.blu-news.org

Rosi Mittermaier als internationale Marke

Damit begann für sie „ein zweites Leben“, schreibt Rosi Mittermaier 2011 in ihrem Buch „Fröhlich bin ich sowieso“, einem beschwingten Mix aus Autobiografie, Lebens- und Kochrezepten. „Auf einmal war ich Geschäftsfrau, obwohl mir Geld nie wichtig war. Ich tauchte ein in ein völlig neues Leben, konnte Neues entdecken und meinen Horizont erweitern. Ich war ständig unterwegs. Ob in Amerika oder in Japan, quer durch die Welt, überall wurde ich … mit äußerstem Terminzwang herumgereicht, als hätte ich irgendetwas Außergewöhnliches geleistet.“ Letzteres würde bei so manchem Star aufgesetzt und pseudobescheiden wirken, der Rosi kauft man es ab.

Sehnsucht nach ihrem bayerischen Ursprung

Sie sei dankbar für New York, Rio, Tokio, doch je länger diese Reise dauerte, desto mehr sehnte sie sich zurück: „Zu meinen Wurzeln, zu meinem bayerischen Ursprung, von dem ich mich nie entfernen wollte.“ Ihre Eltern und ihre Geschwister, ihre ewige große Liebe Christian Neureuther, den sie als 15-Jährige kennenlernte, und ihre Kinder bedeuteten ihr alles, ebenso vermisste sie die Kässpatzen ihrer Freundin Traudl und die Profi-Nähmaschine, die ihr ihre Mutter zur Hochzeit schenkte.

Weiter schreibt sie: „Wenn ich sehe, mit welchen Einflüssen Kinder heutzutage fertig werden müssen, dann weiß ich, welches Glück ich mit meiner Kindheit in einfachen Verhältnissen hatte.“ Ihre Eltern waren aus München in den Chiemgau ausgewandert. Die Mittermaiers bewirtschafteten zuerst ein Gasthaus, später ein Studentenheim. Vater Heinrich brachte den Gästen das Skifahren bei, Mutter Rosina kümmerte sich um deren Verpflegung. Für ihr Lebensglück brauchte Rosis Familie nicht viel: „Harmonie in der Familie, Zeit füreinander, Gesundheit und Natur.“

Bei der jungen Rosi war Bewegung reichlich vorhanden: direkt vor ihrer Tür. In dieser Umgebung habe sie sich ihren „Bewegungs- und Koordinationsbedarf fürs restliche Leben durch Spiel und Spaß zwanglos angeeignet“. Das fehle den Playstation-Kids von heute. Rosi Mittermaier beklagte daher öffentlichkeitswirksam, dass sich Sport auf der Streichliste von Kindergärten und Schulen befinde. „Auch wir Eltern stehen in der Verantwortung, diesen fundamentalen Erkenntnissen der Biologie des Menschen gerecht zu werden. Wir müssen unseren Kindern Spiel und Bewegung ermöglichen“, forderte sie.

Auch ihren eigenen beiden Kindern, der Modedesignerin Ameli Neureuther und dem erfolgreichen Skirennläufer Felix Neureuther brachte sie Sport und Natur näher. 

Im Vorwort ihrer Lebenserzählung empfiehlt sie ihrer Leserschaft, sich zwischen den Kapiteln vom Sofa zu erheben und behutsam Kniebeugen oder Dehnübungen zu machen. Der Mensch müsse sich bewegen, so das Credo von Rosi Mittermaier. Bewegung sei der Urtrieb des Menschen überhaupt, der in unserer zivilisierten Welt zu verkümmern drohe.

Heute Kult: Ski-Gymnastik im TV

Mit zahlreichen Büchern wie „Die Heilkraft des Sports: Mit Spaß und Freude mehr Gesundheit“ oder „Stabile Knochen – Mobiles Leben“ verewigte sie ihren Appell und inspirierte ihre Leser*innen. Als der damalige Hollywood-Megastar Jane Fonda mit Aerobic-Videos einen weltweiten Workout-Boom auslöste, konterte Rosi Mittermaier mit Skigymnastik-Übungen im Bayerischen Fernsehen, die mittlerweile Kultstatus genießen.

Rosi Mittermaier verhilft Nordic Walking zum Durchbruch

Gemeinsam mit Christian Neureuther verhalf sie dem zunächst unbekannten Nordic Walking zum Durchbruch in Deutschland. Sie veröffentlichten Bücher und DVDs über diese in den Siebzigerjahren in Finnland entstandene Sportart, sie begeisterten Fans dieser Sportart zudem vielerorts mit ihren „Nordic-Walking-Days“. Rosi und Christian, die schon in den frühen Achtzigern als ein für damalige Verhältnisse ungewöhnlich gleichberechtigtes Feelgood-Ehepaar als Dauergäste der TV-Show „Dalli Dalli“ ein Millionenpublikum unterhielten, gelten hierzulande als die wichtigsten Geburtshelfer dieses Megatrends.

Auch dafür ehrt die ISPO Rosi Mittermaier im Jahr 2005 für ihr Lebenswerk. „Mit Rosi Mittermaier verliert die Sportwelt nicht nur eine Ausnahme-Athletin, sondern vor allem eine über alle Maße hinaus herzliche, sympathische und bei aller Bekanntheit bodenständige Persönlichkeit“, so Tobias Gröber, Head of ISPO Group. „Es war uns eine große Ehre und Freude, Rosi mit dem ISPO Pokal für ihre einzigartige sportliche Karriere und ihr vielfältiges soziales Engagement auszuzeichnen.“

2005 gewann Rosi Mittermaier bereits den ISPO Cup für ihre einmaligen Leistungen für die Sportwelt.
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ISPO

Ihre Held*innen waren keine Profisportler*innen

Ihr Einsatz für Menschen, die Hilfe brauchen, war in der Tat außergewöhnlich. Rosi Mittermaier brachte sich unter anderem als Schirmherrin der Kinder-Rheumastiftung ein. „Was wird für ein Hype um unsere Topathleten gemacht, jedes kleine Wehwehchen ist eine Schlagzeile wert und wird breit diskutiert“, konstatiert sie in ihrem Buch. Ihre Held*innen seien die Kinder in der Klinik, „die jeden Tag aufs Neue für sich und ihre Gesundheit kämpfen. Meine Helden sind die Ärzte, Betreuer und Eltern, die sich aufopferungsvoll um die Zukunft dieser Kinder kümmern, die mich positiv anstrahlen und mir berichten, wie gut es ihnen geht“.

Soziales Engagement mit Herz aus Gold

Außerdem engagierte sich Rosi Mittermaier für die Initiative gegen Knochenschwund und als Patin für die Initiative „Wir helfen Kindern“, die sich für die Verbesserung der augenmedizinischen Versorgung blinder und sehbehinderter Kinder in Nepal und Simbabwe einsetzt. Über diese Dinge zu sprechen war ihr lieber als über ihre Erfolge als Rennläuferin, die für sie nicht mehr waren als eine nette Episode ihres Lebens.

Eine langjährige Weggefährtin, die Schauspielerin Michaela May, bringt mit einem Satz auf den Punkt, was Rosi Mittermaier am meisten ausmacht: „Für mich war sie nicht, Gold-Rosi‘ wegen ihrer Medaillen, sondern weil sie einfach goldig war.“ Auch viele Kolleg*innen und Sportler*innen trauern um die Skirenläuferin, zum Beispiel der ehemalige italienische Skirennläufer Paolo De Chiesa, der auf seinem Instagram-Profil rührende Worte findet und die herausragenden Erfolge von Rosi Mittermaier feiert: „Abschied von Rosi Mittermaier, der sanften Supermeisterin!“

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