Als Reinhold Messner (73) und Peter Habeler (75) am 8. Mai 1978 ohne Verwendung von künstlichem Sauerstoff den Gipfel des 8848 Meter hohen Mount Everest erreicht haben, überschritten die Bergsteiger eine für unmöglich gehaltene Grenze und markierten einen Meilenstein in der Geschichte des Alpinismus.
Pünktlich zum 40. Jubiläum dieses Grenzgangs zeigt Reinhold Messner mit „Mount Everest – Der letzte Schritt“ seine dritte Regiearbeit.
ISPO.com hat mit Messner, der 1989 mit dem ISPO Pokal ausgezeichnet wurde, über den legendären Aufstieg, den Bergsport von heute und seine Arbeit als Regisseur gesprochen.
ISPO.com: Am 8. Mai 1978 erreichen Sie gemeinsam mit Peter Habeler gegen 13:15 Uhr den Gipfel des Mount Everest. Wie gegenwärtig ist Ihnen dieses Ankommen 40 Jahre später?
Reinhold Messner: Die Gefühle sind sehr präsent. Die exakte Uhrzeit jedoch hätte ich spontan nicht nennen können, ohne vorher in meinen Aufzeichnungen nachzulesen. Diese Zahl ist ohnehin irrelevant. Wir tragen nur eine erinnerte Wirklichkeit in uns, nicht die Realität.
Woran ich mich jedoch gut erinnere: Als ich den Gipfel erreichte, hockte ich mich hin und versuchte sofort meine Kamera auszupacken, was umständlich war, weil ich erst die Überhandschuhe ausziehen musste. Nicht ungefährlich, denn es war fürchterlich kalt und windig. In meine Erinnerung eingeprägt hat sich vor allem eine Gipfelszene: Peter beugt sich im tosenden Wind zu mir, wir umarmen uns und danken uns gegenseitig. Ein sehr emotionaler Moment! Die Außenwelt war unendlich weit weg.
Nicht einen einzigen Gedanken hatten wir daran verloren, dass uns eine Sensation, etwas vielleicht Einmaliges gelungen ist. Wir waren zwar oben, allerdings galt es wieder sicher abzusteigen. Das war der einzige, konkrete Gedanke, den ich da oben noch fassen konnte.
Ohne Zusatzsauerstoff auf den Everest zu steigen galt seinerzeit als unmöglich. Waren Sie damals leichtsinnig oder selbstsicher?
Ohne eine gewisse Leichtigkeit – ich vermeide bewusst das Wort Leichtsinn – ist eine derartige Unternehmung nicht machbar. Es braucht die Gabe, so etwas zu wagen. Trotz guter Vorbereitung, ausgeklügelter Logistik und bestem Training bleibt bei so einer Unternehmung immer ein nicht kalkulierbares Restrisiko, das man in Kauf nehmen muss.
Mit der Idee, den Everest ohne Sauerstoff zu versuchen, bin ich so lange schwanger gegangen wie mit keiner anderen. Bereits 1972 beschlossen Wolfgang Nairz, Oswald Oelz und ich nach der Manaslu Expedition den Everest zu versuchen. Ganze sechs Jahre hat es gedauert, bis wir eine Genehmigung zur Besteigung des Mount Everest erhielten.
1978 haben Sie sich einer österreichischen Expedition angeschlossen.
Peter und ich waren als autarkes Team in die Everest-Expedition des Österreichischen Alpenvereins eingebunden, deren Ziel es war, die ersten Österreicher auf den Gipfel des Everest zu entsenden. Peter und ich waren innerhalb dieser Gruppe als Zweierteam völlig unabhängig. Wir haben in die Expeditionskasse eingezahlt, um das Basislager gemeinsam nützen zu dürfen und um verpflegt zu werden.
Wir sind mit allen Teammitgliedern in der gemeinsamen Vorarbeit abwechselnd aufgestiegen bis Peter und ich auf dem Südsattel das letzte Lager für uns errichtet hatten. Von da aus waren wir völlig eigenständig auf dem Weg zum Gipfel und wieder zurück.
Wie haben Sie seinerzeit den gefürchteten Khumbu Eisbruch gemeistert?
Icefall Doctors gab es natürlich noch nicht. Wir haben im Team den Aufstiegsweg, die Route bis zum Südsattel festgelegt, also auch den Khumbu Eisbruch gemeinsam abgesichert. Natürlich ohne, dass Sherpas vorausgegangen wären. Die Aufgabe unserer Lastenträger war, den Nachschub zu garantieren. Heute ist das umgekehrt. Sherpas, die mittlerweile großartige Bergsteiger sind, präparieren vorab die gesamte Route bis zum Gipfel hinauf und begleiten später ihre Klienten im Aufstieg. Im gefährlichen Khumbu Eisbruch, der sich täglich verändert, steigen Sherpas regelmäßig ein und kontrollieren Seile, Leitern, Brücken und bauen gegebenenfalls kurzfristig die Route um.
Gehirnforscher hatten damals eindringlich davor gewarnt, den Everest ohne Flaschensauerstoff zu besteigen. Wie haben Sie sich auf dieses Wagnis mental und körperlich vorbereitet?
Ich hatte vor dem Everest schon drei Achttausender bestiegen und wusste, wie mein Körper in dieser Höhe reagiert. Peter Habeler (hier im Interview mit ISPO.com) hatte ebenfalls bereits Achttausender-Erfahrung. Wir kamen also beide keineswegs aus dem Nichts. Diese Selbstmächtigkeit, die mit der Erfahrung wächst, war eine Grundvoraussetzung für dieses Unterfangen. Außerdem sind Peter und ich nicht mit dem Vorsatz losgegangen, um jeden Preis den Gipfel zu erreichen. Wir wollten so weit gehen, wie es unser Körper bzw. unsere Angst erlaubte. Wir waren bereit, einen Versuch zu wagen und hatten eine eventuelle Umkehr eingeplant.
Wie war Ihre Taktik angelegt?
Die Warnungen von Ärzten und Wissenschaftlern habe ich aus historischen Gründen nicht wirklich ernst genommen, denn ich wusste, dass Edward Felix Norton 1924 ohne Sauerstoff bereits über 8.500 Meter hoch gestiegen war. Mit Pickel, Gamaschen, Nagelschuhen, in einem Jacket anstelle eines Daunenanzugs. Das Problem damals war, dass die Bergsteiger in dieser Höhe völlig entkräftet nur noch 25 bis 30 Meter pro Stunde geschafft hatten.
Mir war klar, dass wir eine andere Taktik, eine umgekehrte Logistik brauchten, um beim entscheidenden Gipfelversuch noch halbwegs bei Kräften zu sein. Also verbrachten Peter und ich die Nacht vor dem Gipfel vergleichsweise tief auf etwa 8.000 Metern Höhe. Tiefer ansetzen, weniger Sauerstoffdefizit, am Gipfeltag schnell steigen – so war unser nicht unumstrittener Plan. Peter Habeler war damals einer der besten und schnellsten Bergsteiger der Welt und damit der ideale Partner. Um in der lebensbedrohlichen Todeszone möglichst wenig Zeit zu verbringen, lautete unsere Taktik also: Schnell rauf, schnell runter.
Angenommen, der Everest wäre 200 Meter höher, also ein Neuntausender. Wäre dann eine Besteigung ohne Zusatzsauerstoff noch möglich?
Irgendwann ist einfach Schluss, weil das Blut in der Höhe zu kochen beginnt. 200 Meter über dem Everestgipfel ist – das ist wissenschaftlich belegt – die äußerste Grenze der Hypoxietoleranz längst überschritten. Ohne genügend Sauerstoff im Körper, sinkt nicht nur die Leistungsfähigkeit in den Keller. Das Gehirn leidet ebenfalls unter Sauerstoffmangel. Über längere Zeit unterversorgt, schwinden die Willens-, Denk- und Entscheidungskraft. Ohne Wille, er ist der alles entscheidende Motor in der Höhe, machst du keinen Schritt mehr. Übertrieben gesagt, mutiert man in derart dünner Luft zu einem Zombie.
Hatten Sie Flaschensauerstoff für den Ernstfall wo deponiert?
Wir hatten keinen Sauerstoff deponiert.
Angenommen: Sie hätten damals die Möglichkeit gehabt, einen Ausrüstungsgegenstand von heute mitnehmen zu können. Ihre Wahl?
Am ehesten wäre das wohl ein Satellitentelefon um den Wetterbericht abfragen zu können. Heute ist der Everest keine besondere Herausforderung mehr. Es wird – anders als beim von uns geprägten Verzichtsalpinismus - vorab eine Infrastruktur für Bergtouristen, eine Piste vom Basecamp bis zum Gipfel angelegt. Man besteigt den Berg mit Flaschensauerstoff, wodurch der Berg zu einem mittleren Sechstausender reduziert wird. Heute folgen nur noch ein paar wenige traditionelle Alpinisten weltweit meinem Weg.
Was macht der Großteil?
Die große Masse klettert in der Halle an Plastikgriffen oder in gut mit Haken abgesicherten, eingebohrten Sportkletterrouten. An den berühmten Bergen wie Kilimandscharo, Mount McKinley, Manaslu, Aconcagua etc. sind Pisten vorbereitet für Menschen, die in Eigenregie nicht in der Lage sind auf deren Gipfel zu steigen.
Sie fuhren in jungen Jahren einen orangefarbenen Porsche und trugen eine Rolex. War es früher leichter, sein Leben als Bergsteiger zu finanzieren?
Die Everest-Rolex war nicht mit Geld verbunden. Ich habe sie für die Aktion „Licht ins Dunkel“ zur Verfügung gestellt. Sie wurde versteigert. Und der Porsche war ganz normal erworben. Sponsoring ist erst durch das enorme Anwachsen der Outdoor-Industrie größer geworden. Ein Stück weit habe ich dafür sogar den Boden mit bereitet und freue mich darüber, dass heute viel mehr Profi-Alpinisten ein Auskommen finden als früher.
Nach „Still Alive“ und „Ama Dablam – Drama am heiligen Berg“ ist „Mount Everest – der letzte Schritt“ Ihre dritte Regiearbeit. Konnten Sie Originalaufnahmen verwenden und wo wurden neue Filmszenen nachgedreht?
Das Originalmaterial von Leo Dickinson ist die Basis. Dieser Film wurde zum Teil gekürzt und mit aktuellen Großaufnahmen vom Everest aufgefüllt, um die Einzelszenen in eine anschauliche Übersicht zu bringen. Heute können wir Spezialkameras an Helikopter schrauben und damit wunderbare Aufnahmen machen, die einem einen Gesamteindruck vermitteln.
Wir haben neu gedrehte, szenische Sequenzen, die 1978 aus logistischen Gründen unmöglich gefilmt werden konnten, hinzugefügt und Aufnahmen eingebaut, die vor Ort in Nepal sowie in Sulden im Bereich des Madritsch-Gebietes gedreht wurden. Mein Sohn Simon hat gemeinsam mit seinem Kletterkameraden Philipp Brugger diese Szenen in der Originalausrüstung von damals nachgespielt.
Wie froh sind Sie als Vater, dass Simon kein zweiter Reinhold Messner geworden ist?
Ich bin weder froh noch traurig darüber. Jeder hat das Recht, sein Leben selbst zu bestimmen. Simon hat sich im Moment dazu entschlossen, nachdem er sein Studium der Molekularbiologie großartig abgeschlossen hat, eine Art Übergangszeit in den Bergen zu nehmen, weil er ein begeisterter Kletterer und Bergsteiger ist. Ich mache ihm keine Vorschriften, was die Gestaltung seines Lebens betrifft.
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