ISPO.com: Herr Greis, Ihr Karriereende ist jetzt sechs Jahre her. Wie erleben Sie den Übergang vom Athleten zum Trainer? War schon damals klar, dass Sie Trainer werden?
Michael Greis: Nein, das war gar nicht klar. Ich habe in Ansbach Internationales Management studiert und abgeschlossen, war danach für Eurosport als Experte unterwegs. Generell ist es ganz gut, wenn man mal ein bisschen Abstand gewinnt. Ich habe mich ja seit ich 13 bin unglaublich viel mit Biathlon beschäftigt. Dann ergab sich der Nachwuchstrainer-Posten in Lenzerheide und nun der für den US-Verband. Ich bin jedenfalls genauso ehrgeizig wie früher.
Apropos Ehrgeiz: Wie beurteilen Sie die Entwicklung von Laura Dahlmeier? Steht da tatsächlich schon das baldige Karriereende bevor?
Ich bin mir sicher, dass Laura noch ein paar Jahre dem Biathlonsport treu bleibt. Ihre bisherige Karriere war phänomenal, sie hat bereits alle wichtigen Titel gewonnen. Momentan scheint sie jedoch eine schwierige Phase zu haben und ist deshalb kurz vor dem Saisonstart für ein paar Wochen kürzergetreten. Daran erkennt man auch den großen Druck, dem Laura ausgesetzt ist. Da sie sehr professional arbeitet und der Betreuerstab ihr den notwendigen Freiraum gibt, wird sie hoffentlich gestärkt aus dieser Situation kommen.
Der öffentliche Druck entsteht ja nicht zuletzt, weil wohl keine andere Wintersportart bei den Fernsehzuschauern so beliebt ist wie Biathlon. Ist das noch so oder wandert nicht gerade die jüngere Generation ins Netz ab?
Biathlon und Skispringen sind immer noch die Wintersportarten Nummer eins. Ich glaube, es sind rund fünf Millionen Zuschauer und ein Marktanteil von 20 bis 25 Prozent. Das ist schon enorm. Wenn man sich die Übertragungen an den Wintersport-Wochenenden anschaut, sieht man, dass die eigentlich immer um die Biathlon- und Skisprung-Wettbewerbe herum gebaut sind. Daher können wir optimistisch in die Zukunft blicken.
Weil die deutschen Athleten eben seit vielen Jahren konstant erfolgreich waren. Was passiert, wenn das mal nicht mehr so ist? Wenn eine Laura Dahlmeier künftig lieber klettern geht?
Wenn man in die Historie schaut, waren die Damen eigentlich immer stärker als die Männer. Klar, in der Masse war das Damen-Team schon mal besser aufgestellt als das jetzige. Es gab ja Zeiten, da ist immer eine auf dem Podest gestanden. Dass das nicht immer geht, ist klar. Wichtig ist, dass so eine wie die Laura da ist und die Leaderin gibt, an der man sich orientieren und an der man mitwachsen kann. Das hat sie in den letzten Jahren super gemacht. In vier Jahren wird vor allem bei den Männern ein großer Umbruch stattfinden. Dann wird es interessant, ob die neue Generation in die großen Fußstapfen treten kann. Wenn man in die Historie schaut, gab es aber immer wieder einen Generationenwechsel, den die DSV-Biathleten gut gemeistert haben. Daher bin ich mal optimistisch.
Nun gab es einen Trainerwechsel...
Sie haben jetzt ein junges Team, da muss man schauen, was rauskommt. Ich kenne die Strategie nicht, weiß nicht, was da den Ausschlag gegeben hat bei der Entscheidung. Aber bei der zweitwichtigsten Wintersportart sollte man sich sehr gut überlegen, wen man da einsetzt.
Der DSV hat einen Strategiewechsel vollzogen und setzt nun auf ein junges Trainerteam. Ich bin gespannt wie sie die Herausforderung meistern. Das gesamte Team wird sicherlich die Erfolge der letzten Jahre bestätigen können.
Wurden Sie auch vom Deutschen Skiverband angefragt?
Es gab Gespräche, ob ich Interesse habe, im Nachwuchsbereich zu arbeiten. Zu der Zeit war ich bereits mit dem US-Team in Verhandlungen, und auf diese Aufgabe freue ich mich jetzt riesig.
Zuvor hatten Sie knapp zwei Jahre lang als Nachwuchs-Coach beim Schweizer Biathlon-Verband gearbeitet. Wie kam es zum Wechsel in die USA?
Letztes Jahr im Sommer war klar, dass ich da aufhöre. Anfang letzten Winters hat sich dann Bernd Eisenbichler, der Sportchef des US-Biathlon-Verbandes, bei mir gemeldet, weil er einen Trainer suchte. Das war zunächst ein loser Kontakt. Wir haben uns bei den Olympischen Spielen in Pyeongchang getroffen und diskutiert, und dann wurde es immer konkreter. Für mich ist das eine super Herausforderung, so ein kleines Abenteuer. Es ist schon eine andere Kultur, ein Lernprozess für mich. Bislang gefällt es mir sehr gut, trotz der vielen Reiserei.
Wie organisieren Sie sich? Die Stützpunkte sind quer übers Land verteilt: in Lake Placid, in Vermont an der Ostküste, in Anchorage in Alaska...
Der Hauptstützpunkt, das Olympic Training Center, ist in Lake Placid. Dort finden die meisten Lehrgänge statt und dort leben auch die meisten Athleten. Klar, das Land ist riesig groß, aber das ist nun die Aufgabe von Tim Burke. Er soll das Nachwuchsteam und die verschiedenen Stützpunkte koordinieren. Bei der Trainingsgestaltung muss ich natürlich darauf achten, dass der Reisestress nicht zu viel wird. Jetzt gilt es halt auch, eine gewisse Gruppendynamik aufzubauen.
Wie oft sind Sie noch zuhause im Allgäu?
Falls es die Zeit zulässt bin ich gerne im Allgäu, sonst bei meiner Freundin in München. In der Vorbereitung bin ich im Zwei-Wochen-Turnus hin und her geflogen. Im Juni/Juli war das Team auch mal ein paar Wochen in Deutschland. Die Jüngeren verkraften diesen Reisestress noch ganz gut, aber ein paar im Team sind verheiratet, haben eine Familie und wollen auch mal wieder heim. Da muss man in der Planung aufpassen, dass auch wirklich jeder von Anfang bis Ende mit dem Kopf dabei ist.
Was erwarten Sie sich von Ihrer ersten Saison als Cheftrainer?
Grobe Zielsetzung ist es, den Nationenplatz 13, den wir bisher hatten, zu halten. Mit Sean Doherty (vierfacher Junioren-Weltmeister) haben wir einen relativ Talentierten dabei, der in die Fußstapfen von Burke und Bailey treten soll, was sicher schwierig wird. Er hat das notwendige Potenzial, aber im Training sehe ich auch, dass er noch ein paar Jahre braucht. Deswegen ist ein kontinuierlicher Aufbau über vier Jahre wichtig. Aber in dieser Saison gilt es, schon Schritte in die richtige Richtung zu machen. Ein Trumpf dabei ist natürlich meine Erfahrung, die ich nun weitergeben kann. Wenn das Startsignal ertönt, ist zwar jeder auf sich allein gestellt, aber wenn die Jungs wissen, dass sie gut trainiert haben, dass sie im Saft sind, dass sie in ihrer Mitte sind, dann hilft das schon gewaltig.
Wie gut kennen Sie das Team?
Wir trainieren seit Mai zusammen und auf den vielen Lehrgängen wächst man als Team zusammen. Jetzt freue ich mich auf die anstehende Saison und bin gespannt, wie sich meine Athleten schlagen. Bislang haben sie sich noch nicht beschwert, obwohl meine Trainingsphilosophie ein wenig anders ist. Mit einem Wechsel kann man neue Dinge einführen, auch wenn es da kulturelle Unterschiede gibt. Aufgrund der großen Distanzen gibt es natürlich schon viel Training auf Vertrauensbasis, da ich nicht tagtäglich dabei sein kann. Ein Trainer kann nur das beisteuern, was ein Athlet auch zulässt.
Wie schwer oder leicht tun Sie sich mit der Sprache?
Wenn man auf englisch über Technik spricht, wie sich die Lauftechnik oder die Position im Schießen anfühlen soll, dann ist das schon eine gewisse Herausforderung. Wie kriege ich den Athleten gepackt? Wie kann ich einen Reiz setzen? Da braucht man sicherlich etwas Zeit, da kann ich mich bestimmt noch verbessern.
Wie gehen Sie das an?
Learning by doing. Ich beschäftige mich natürlich wesentlich mehr mit Englisch, seien es Filme oder gewisse Texte, und ich glaube: Übung macht den Meister. Als Trainer hat man ja sowieso nie ausgelernt, egal ob man mit Jungen oder Älteren arbeitet. Wenn man denkt, man weiß alles, ist man auf dem Holzweg. Aber die Jungs merken, dass ich mit voller Leidenschaft dabei bin. In diesem Jahr will ich auf jeden Fall sehen, dass die vom ersten Wettkampf an um jede Sekunde und jede Platzierung kämpfen, das ist das A und O.
Wie wichtig ist dazu ein gescheiter Rennanzug?
Im Vergleich zu meiner aktiven Zeit hat sich das schon einiges getan. Meine Laufhosen haben sich an den seitlichen Nähten durch den Stockgriff schnell aufgescheuert. Maloja hat hierfür ein spezielles Material eingesetzt, das ist schon eine ganz andere Qualität. Fürs Schießen gibt es spezifisch am Oberarm, der Hüfte und am Ellenbogen eine entsprechende Applikation, damit einen guten Grip auf der Matte hat.
Was für eine Beziehung haben Sie zum Chiemgauer Label Maloja, das seit dieser Weltcup-Saison das US-Team ausstattet?
Ich kenne Maloja von einem kleinen Gettogether, als wir im Sommer einen Lehrgang hier in der Nähe in Ruhpolding hatten. Eine super junge, innovative und pfiffige Marke – genauso wollen wir als Team auch sein. Ich bin sicher, dass es eine tolle Zusammenarbeit wird. Wir sind jedenfalls sehr begeistert. Die Geschäftsführer haben uns die Entwicklung der Marke und ihre Vision vorgestellt. Davon können wir einiges in unseren Sport übertragen. Das gibt Motivation für die neue Saison. Die ist für uns ja auch ein Neuanfang, nachdem Tim Burke und Lowell Bailey aufgehört haben. Das Ziel ist, dennoch auf einem ähnlichen Niveau weiterzumachen.
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