Etwa 80 Prozent aller Rindsleder, die für die Schuhproduktion verwendet werden, stammen heute aus Asien oder Südamerika. Früher hatte noch jede Kleinstadt hierzulande ihre Gerber, die die Tierhäute aus den örtlichen Schlachthöfen abgeholt und weiterverarbeitet haben. Doch das ist längst Vergangenheit. Wenn überhaupt gibt es in Deutschland noch Gerbereien für die Automobilindustrie oder für Lederbekleidung.
„Die Schuhindustrie ist eine Billigindustrie geworden, die für niedrige Lohnkosten und Umweltstandards ins Ausland abgewandert ist“, sagt Thomas Heinen, Geschäftsführender Gesellschafter der Lederfabrik Josef Heinen aus Wegberg.
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Heinen führt das 1891 gegründete Unternehmen in vierter Generation und beliefert fast alle großen Schuhmarken im Outdoorbereich - beispielsweise Lowa, Hanwag, Meindl, Zamberlan. Dass Heinen Leder noch existiert, verdankt es der ökologischen Weitsicht seiner Inhaber, die schon vor Jahrzehnten damit begannen, dem Umweltschutz oberste Priorität einzuräumen.
Vor etwa 15 Jahren entwickelte Heinen das Label Terracare als Markenzeichnen. Früher stieß Heinen damit oft auf Unverständnis, heute trifft er den Nerv der Zeit. Und was genau bedeutet „nachhaltiges Leder“?
Nachhaltigkeit fängt schon bei der Herkunft der Tierhäute an. „Wir arbeiten nur mit deutschen Schlachthöfen zusammen, die ihre Tiere aus dem nahen Umland beziehen und die gut kontrolliert werden“, berichtet Heinen. So kann er sicherstellen, dass alle Verarbeitungsprozesse gesetzeskonform sowie möglichst schnell und schmerzfrei für die Tiere ablaufen.
Damit die Häute auf dem Weg zur Gerberei nicht Schaden nehmen, lässt Heinen sie kühlen. „So konservieren wir die Häute und können komplett auf das umweltschädliche Salzen verzichten.“ Eine umweltschonende Maßnahme, die in der globalisierten Gerberzunft zu teuer wäre: Da die meisten Häute aus Nord- und Südamerika stammen, aber das meiste Leder in Asien gegerbt wird, wäre eine Kühlkette sehr lang und kostenintensiv. Damit ist sie in der konventionellen Gerberwelt keine Option.
„Nur 25 Prozent einer Tierhaut wird zu Leder“, erklärt Heinen. Der Rest ist Abfall – zumindest gilt das für viele Gerbereien weltweit. Und gerade diese Nebenprodukte wie Haare, Fette und andere Bestandtteile seien der Grund dafür, warum die Umwelt in der Nähe von vielen Gerbereien so leide. Heinen hat deshalb Wege gefunden, die restlichen 75 Prozent an andere Industrien zu verkaufen, die daraus neue Produkte machen können.
„Beispielsweise beliefern wir Biogasanlagen, die bestimmte Stoffe zu Energie umwandeln können, das Spaltleder geht an die Lebensmittelindustrie, die daraus Gelatine gewinnt“, sagt Heinen. Im Laufe der letzten Jahre hat er auf diesem Gebiet viel Know-how dazu gewonnen. Dafür brauche man eine entsprechende Infrastruktur und passende Industrien, und die gebe es in vielen Produktionsländern in Fernost einfach nicht.
Um Häute lange haltbar zu machen und ihnen all die Eigenschaften mitzugeben, die wir heute von unseren Schuhen erwarten, braucht es viel Chemie. Aber auch in diesem Bereich lässt sich einiges verbessern. „In den meisten Ländern geht es bei den Chemikalien nur um den Preis“, sagt Heinen. Es gebe gute Alternativen, aber die seien oft wesentlich teurer.
Heinen arbeitet mit der Chromgerbung und managt seinen Chemikalien-Input anhand von RSL-Listen (Restricted Substances List) und der REACH-Verordnung der EU, die ein hohes Schutzniveau für die menschliche Gesundheit und die Umwelt sicherstellt. Er achtet aber auch darauf, wie nachhaltig die Stoffe transportiert werden, ob sie biologisch abbaubar sind und ob sie später im fertigen Produkt zurückbleiben. Heinen: „Jeder andere Gerber könnte das auch, wenn er nur wollte.“
Das trifft auch auf die Vermeidung der gefährlichen Chrom-VI-Verbindungen zu, die die Lederindustrie immer wieder in Verruf bringen. Chrom-VI gilt als allergen, in höheren und dauerhaften Dosen als krebserregend und akut toxisch. Es entsteht aber nur, wenn bei der Gerbung billige Fettungsmittel zugeführt werden, auf die Heinen verzichtet.
Vegetabile Gerbungen, die Laien gerne für gesund und ökologisch halten, sind hingegen keine Option. Heinen: „Auch die Gewinnung vegetabiler Gerbstoffe ist nicht problemlos. Vor allem aber erfüllen vegetabil gegerbte Leder nicht unsere Ansprüche.“
Sie lassen sich nicht wasserabweisend ausrüsten, ohne an Atmungsaktivität einzubüßen, und sind schlicht zu hart und schwer, um den Konsumentenwunsch nach immer leichteren, flexiblen Schuhen zu erfüllen. „Für moderne Outdoor-Schuhe sind sie komplett ungeeignet.“
Nach wie vor benötigen Gerber viel Wasser. „Es macht aber einen Unterschied, ob ich es dort nutze, wo Wasser im Überfluss existiert oder in wasserarmen Gegenden“, erklärt Heinen. „In Deutschland haben wir glücklicherweise viel Wasser.“
Dennoch verwendet er es so sparsam wie möglich. Auf einen Quadratmeter Fertigleder kommen in seiner Fabrik etwa 100 Liter Wasser. Konventionelle Gerbereien verbrauchen das Drei- bis Vierfache. Und natürlich reinigt er es gründlich, bevor es wieder dem natürlichen Wasserkreislauf zugeführt wird.
Die Technik dafür stehe schon seit Jahren zur Verfügung, so der Unternehmer, „dennoch nutzen sie nur wenige“. Auch hier gilt, so Heinen: „Man muss all diese Maßnahmen auch durchführen wollen.“
Und wie sieht es beim Thema Energie aus? Zur Verbesserung der Energiebilanz und zur Reduzierung der CO2-Emissionen setzt Heinen auf Erdgas als Energielieferant und erzeugt Strom im eigenen Blockheizkraftwerk. Auch Abwärme wird weiter genutzt und ermöglicht eine Energieeffizienz von 97 bis 98 Prozent.
Weitere Stromzukäufe stammen aus erneuerbaren Energiequellen. Auf einen Quadratmeter Leder (das entspricht drei bis vier Paar Schuhen) kommen bei Heinen zwei Kilogramm CO2. Um diesen Wert auszugleichen, unterstützt Heinen Aufforstungsprogramme.
Wie sieht das in Fernost aus? „In ganz schlechten Fällen liegt der Wert der CO2-Bilanz im Ausland um Faktor 10 höher“, so Heinen. Vorteile hätten dagegen die sonnenreichen Regionen, die ihren Strom mit Sonnenkollektoren decken können.
Corporate Social Responsibility (CSR) gehört ebenso zum Themenkomplex Nachhaltigkeit. Die deutschen Vorschriften für soziale Absicherung und Arbeitsschutz der Mitarbeiter gelten weltweit als besonders streng, nicht nur mit Blick auf Fernost. „Nördlich von uns gibt es keine Gerberei mehr für Schuhleder, südlich nur in Italien und einige im Osten. Aber selbst im Vergleich zu Europa gibt es relevante Unterschiede bei den Vorschriften“, erklärt Heinen.
Outdoormarken machen ein Drittel des Kundenstamms von Heinen aus. Manche davon arbeiten schon seit Generationen mit der Lederfabrik zusammen, wie z.B. Meindl. Lukas Meindl schätzt die Qualität des Leders: „Hochwertiges Leder ist der wichtigste Bestandteil an einem hochwertigen Bergschuh und Hochwertigkeit wird heute als Teil der Nachhaltigkeit interpretiert.“
Gute Bergschuhe halten bei guter Pflege leicht zehn bis fünfzehn Jahre. Wer sie neu besohlen lässt, kann die Haltbarkeit um weitere Jahre verlängern. „Wir stecken viel Energie in einen Schuh, aber wir kompensieren das mit seiner Langlebigkeit“, so Meindl.
In seiner Identity-Linie bietet Meindl zudem Transparenz bei der Herkunft des Leders: Über einen Code am Produkt kann der Konsument genau zurückverfolgen, von welchem Hof aus der Region das Tier stammt. Lukas Meindl: „So etwas kann nur Heinen.“ Der Lederpreis schreckt die Marken dagegen nicht. Thomas Heinen: „Wir sind gar nicht wesentlich teurer und das zeigt: die ökologische Ausrichtung einer Gerberei ist umsetzbar.“
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