Nachhaltigkeit und Performance sind die großen, branchenübergreifenden Megatrends. Der Wandel ist nicht zu übersehen: Sport-, Outdoor- und Fashionbrands haben längst Fertigung und Design, Produktsortiment und Vertrieb angepasst, um bei der Transformation Schritt zu halten. Es geht um die Rettung der Welt. Und dass dabei alle an einem Strang zu ziehen scheinen, ist eine gute Nachricht. Es führt aber auch dazu, dass die Grenzen zunehmend verschwimmen. Wie kann es Marken dennoch gelingen, herauszustechen?
Wir haben einen gefragt, der es wissen muss: Sebastian Kemmler, Gründer der Berliner Kreativagentur Kemmler Kemmler. Seit 2013 unterstützen er und sein Team Brands wie Nike, Adidas, Armedangels oder Tinder bei der Markenkommunikation. Und zwar mit der festen Überzeugung, dass eine Marke zunächst einmal kulturell relevant werden muss, um Erfolg zu haben. Wie das bei der neuen, anspruchsvollen Zielgruppe klappen kann und welchen anderen Herausforderungen sich Sport- und Lifestylebrands jetzt stellen müssen, erklärt Kemmler im Interview.
ISPO.com: Sebastian, du realisierst mit deinem Team Kampagnen für Brands wie Hess Natur und Armedangels. An wen richten sie sich?
Sebastian Kemmler: An die New Conscious Middle, die neue, grüne Mitte. Das ist eine sehr gebildete, diverse Gruppe aus Millenials und Gen Z. Moderne Kosmopoliten mit neuen Werten und hohen Konsumausgaben. Große Megatrends wie das riesige Interesse an nachhaltigen Produkten und der Outdoor-Hype lassen sich dieser Gruppe zuschreiben.
Was ist an dieser Zielgruppe signifikant anders als an der alten Mitte?
Sie üben Konsumkritik über ihren Konsum. Niemals würden sie für viel Geld ein schnelles Auto kaufen. Aber für ein teures, hochgerüstetes E-Lastenrad schon, denn Nachhaltigkeit ist für sie der wahre Luxus. Alte Statussymbole wie eine dicke Uhr oder ein Urlaub auf den Malediven sind heute eher ein Unterklasse-Phänomen.
Abgesehen vom Lastenrad – was ist diesen Konsument:innen wichtig?
Neben der Nachhaltigkeit vor allem Werte und Performance. Das zeigt sich auch im Freizeitverhalten, daher auch der Outdoor-Hype. Für sie ist es aspirativ backpackend durch Indonesien zu reisen oder den Mont Blanc zu besteigen, weil dabei sowohl Umwelt, Leistung als auch Individualismus eine Rolle spielen. Für bodenständige Traditionsmarken wie Hessnatur, Schöffel oder Vaude ist das eine riesige Chance.
Wieso?
Weil ein Wandel stattgefunden hat, weg von Conspicious Consumption hin zu Conspicious Production: Früher wurden Markenprodukte gekauft, um aufzufallen, um jemand zu sein. Heute ist es wichtiger, wie das Produkt hergestellt wird. Zum Beispiel von welchem Feld in Kolumbien die Kaffee-Bohne kommt und wer sie geerntet hat. Solche Produktionsgeschichten kann man wunderbar erzählen.
Wie können Marken diese Zielgruppe erreichen?
Marken müssen sich in drei Arenen behaupten. In der Produkt-Arena, der Brand-Arena und einer neuen, kulturellen Arena. Es ist heute schwer, in der Produkt-Arena zu punkten, weil sich die Produkte immer mehr ähneln. Und Begehrlichkeiten nur durch Markenbekanntheit zu schaffen, reicht auch nicht mehr. Deshalb glauben wir, dass ein Unternehmen heute kulturell relevant werden muss, um erfolgreich zu sein – gerade in der New Conscious Middle.
Wie entsteht kulturelle Relevanz?
Das besondere an kultureller Relevanz ist, dass du sie nicht einfach behaupten kannst. Marken müssen wirklich etwas Spannendes machen, um kulturell relevant zu werden. Ein kreatives Produkt, eine Kunst-Installation, eine Kollaboration. Deshalb setzen derzeit viele auf Kollaborationen, zum Beispiel Gucci mit The North Face oder Palace mit Calvin Klein.
Da verschwimmen die Grenzen zwischen Sport und Fashion. Warum ist genau das so erfolgversprechend?
Weil jetzt in fast allen Lebensbereichen der Leistungsgedanke zählt: Im Beruf, auf Reisen, zu Hause und vor allem im Bezug auf den eigenen Körper. Selbstoptimierung ist das höchste Gut und daraus resultiert der Gym- und Fitness-Hype. Als ich noch jung war, war es uncool, leistungsfähig zu sein. Wir hingen in Parks rum und fuhren Skateboard, für mich ein Ausdruck der Untätigkeit. Das hat sich komplett gewandelt. Die Jugendkultur wird heute vom Sport dominiert.
Woher kommt das?
Neben dem Performance-Trend liegt das am dominierenden Einfluss der USA auf die Popkultur. Die amerikanische Jugend war schon immer sehr sportfixiert. Ein Beispiel ist die Zusammenarbeit von Nike und Michael Jordan – ein ikonischer Moment in der Geschichte des Sportmarketings. Heute arbeiten alle großen Sport Brands mit amerikanischen Sportikonen zusammen.
Siehst du die gleiche Tendenz beim Thema Nachhaltigkeit?
Ich glaube der Trend wird bleiben, weil er zu einem kollektivistischen Mindset in eine multipolare Welt passt. Aber der Performance-Wahn, bei dem es ja immer um individuelles Gewinnen geht, wird angesichts der vielen weltumfassenden Krisen vielleicht bald uncool. Wir haben ehrlich gesagt gerade auch Wichtigeres zu tun.
Nochmal zurück zum Geheimnis für gutes Marketing: Wie kann eine Kampagne erfolgreich sein, ohne im Greenwashing-Brei zu versumpfen?
Ich glaube, dass die Leute wegen der vielen Krisen noch stärker nach Substanz fragen. Niemand hat mehr Bock auf Marketing-Bullshit. Das heißt, dass du als Marke nicht mehr irgendwas behaupten kannst, dass du gar nicht einhältst. Global galaktische Statements wie „We love Nature“ oder „For everyone“ ziehen nicht mehr. Vor allem beim Thema Sustainability musst du viel konkretere Themen finden und dich auf Werte fokussieren, die du auch wirklich erfüllst.
Wie steht ihr als Agentur zu diesen Werten?
Natürlich fokussieren wir nachhaltige Themen und kulturelle Relevanz auch, weil wir es gut finden, die Welt ein bisschen besser zu machen. Aber vor allem müssen wir das tun, weil es wichtig fürs Business ist. Die alte Idee von Werbung und dumpfem Konsum funktioniert nicht mehr – weder für die Marken, noch für uns als Agentur.
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