„Heute, im Herbst 2020, gibt es wieder eine Weltwirtschaft. Aber die globale Just-in-time-Produktion, mit riesigen verzweigten Wertschöpfungsketten, bei denen Millionen Einzelteile über den Planeten gekarrt werden, hat sich überlebt. Sie wird gerade demontiert und neu konfiguriert. […] Wir wundern uns, dass sogar die Vermögensverluste durch den Börseneinbruch nicht so schmerzen, wie es sich am Anfang anfühlte. In der Nach-Corona-Welt spielt Vermögen plötzlich nicht mehr die entscheidende Rolle. Wichtiger sind gute Nachbarinnen und Nachbarn und ein blühender Gemüsegarten. Könnte es sein, dass das Virus unser Leben in eine Richtung geändert hat, in die es sich sowieso verändern wollte?“
Das ist ein Auszug aus dem Text „Im Rausch des Positiven: Die Welt nach Corona“, der im März 2020 viral ging. Er ist von dem bekannten deutschen Zukunftsforscher und Gründer des Zukunftsinstituts Matthias Horx. Horx schreibt in seinem Beitrag in einer Rückwärts-Prognose, einer sogenannten Regnose, wie und worüber wir uns wundern werden, wenn die Corona-Krise vorbei ist. Viral gegangen ist der Text in einer Zeit, in der alles still stand. Im Lockdown. Als niemand wusste, wie es morgen aussehen wird.
Ist das jetzt also „The end of the world as we know it“, wie sie R.E.M. im gleichnamigen, 1987 erschienenen Song beschrieben hat? Fragte ich mich jeden Tag. Oder ist es eine Zeit, aus der wir Kraft schöpfen können, wenn laut Horx aus einem massiven Kontrollverlust ein regelrechter Rausch des Positiven wird?
„2020 wird der CO2-Ausstoß der Menschheit zum ersten Mal fallen. Diese Tatsache wird etwas mit uns machen. Wenn das Virus so etwas kann – können wir das womöglich auch? Vielleicht war das Virus nur ein Sendbote aus der Zukunft. Seine drastische Botschaft lautet: Die menschliche Zivilisation ist zu dicht, zu schnell, zu überhitzt geworden. Sie rast zu sehr in eine bestimmte Richtung, in der es keine Zukunft gibt. Aber sie kann sich neu erfinden,“ so Horx in seinem Text weiter.
Und ja, irgendwie hat es anfangs den Anschein gemacht, und macht es irgendwie noch immer, dass unser Wirtschaftssystem, dass der Kapitalismus, nicht für Krisen gemacht ist. Dass immer höher, schneller, weiter, konstantes Wachstum, einen Stillstand, einen Verzicht auf Konsum nicht aushalten. Oder warum werden wir gerade jetzt wieder zum Konsumieren animiert? Mit Rabatten, Prämien usw. Diese Gedanken teilen viele, deswegen werden auch jetzt die Rufe nach einem nachhaltigen Wirtschaftswandel immer lauter.
Nicht zuletzt, weil es oft den Anschein macht, dass die drohende Klimakrise durch die aktuelle Corona-Krise in den Hintergrund gerückt ist. Dass die Rettung des Kapitalismus, des aktuell bestehenden Systems, im Jetzt am relevantesten erscheint. Dabei hält das den Klimawandel nicht auf, das sieht auch die Nationale Akademie der Wissenschaften, Leopoldina, in ihrer „Dritten Ad-hoc-Stellungnahme: Coronavirus-Pandemie – Die Krise nachhaltig überwinden“ so: „Angesichts der tiefen Spuren, welche die Coronavirus-Krise hinterlassen wird, vor allem aber wegen der mindestens ebenso bedrohlichen Klima- und Biodiversitäts-Krise kann es nicht einfach eine Wiederherstellung des vorherigen Status geben.“
Jetzt, nach dem Shutdown, haben wir eine historische Chance: Dinge zu verändern. Mutig zu sein und eine Gesellschaft und ein Wirtschaftssystem zu formen, das so auch in Zukunft besser mit Krisen umgehen kann.
Denn laut einer Umfrage von UnternehmensGrün, dem Bundesverband der grünen Wirtschaft, sind an Nachhaltigkeit ausgerichtete Unternehmen schon jetzt deutlich krisensicherer. „Nachhaltige Unternehmen und Investments sind resilienter gegenüber Krisen, weil sie ihre Risiken langfristiger und entsprechend einer ganzheitlichen Betrachtung von Auswirkungen auf Mensch und Umwelt managen“, ist Dr. Katharina Reuter, Geschäftsführerin von UnternehmensGrün, sicher.
Einer Umfrage des Bundesverbandes zufolge gaben die Unternehmen an, dass sich ihre nachhaltig ausgerichteten Geschäftsmodelle auch in der Krise von Vorteil erweisen. Gleichzeitig herrscht eine große Zuversicht, die Ausnahmesituation erfolgreich zu bewältigen – mehr als 84% sind sehr zuversichtlich bzw. zuversichtlich, die Herausforderungen der Krise zu meistern.
So fangen auch weitere Outdoor-Hersteller an, vermehrt über Nachhaltigkeit nachzudenken. Die kanadische Outdoor-Jeansbrand Duer hat zum Beispiel erst Mitte Mai 2020 Next by Duer ins Leben gerufen. Nachdem das Unternehmen in weniger als einer Woche aufgrund von Corona-Maßnahmen 75 Prozent seines Umsatzes eingebüßt hatte, erkannte Duer, dass ein neuer Ansatz für den traditionellen Einzelhandel notwendig ist. Next by Duer ist eine Art Pre-Order-Modell, um Abfall zu reduzieren, Effizienz zu steigern und vor allem Angebot und Nachfrage in Einklang zu bringen. Laut Duer-Gründer Gary Lenett ist das alte System, in dem Kollektionen produziert und anschließend teure Marketingkampagnen gelauncht werden, um den Überschuss an Produkten zu verkaufen, nicht mehr tragfähig. „Die Welt verändert sich und wir müssen uns mit verändern. Wir führen Next als neue Geschäftsmethode ein, bei der wir die Nachfrage messen und dann genau das produzieren, was benötigt wird, und die Kosteneinsparungen direkt an unsere Kunden weitergegeben werden“, erklärt Lenett das Modell.
Ein ähnliches Modell, bei dem zunächst eine Art Produkt-Prototyp vorgestellt wird, und erst nach Kauf durch die Kunden das Produkt in Produktion geht, hat seit langem das spanische Lifestyle-Bekleidungsunternehmen Two Thirds. Über das Pre-Order-System wird dort nur so viel produziert, wie auch verkauft wird. Das führt zu mehr Ressourceneffizienz, verhindert sinnlos produzierte Produkte, verringert somit die Abfallmengen und Produktionskosten. Was sich wiederum positiv auf die Kunden auswirkt, da sie Produkte günstiger erwerben können.
Unternehmen überdenken aber nicht nur ihre Produktionsweise, sondern ebenso ihre Wirtschaftsweise. Am 22. April 2020, dem internationalen Tag der Erde, verpflichtet sich zum Beispiel Arc’teryx dazu die eigenen Treibhausgasemissionen bis 2030 um 65 Prozent zu reduzieren. Das Unternehmen wird dabei von der Science-Based Traget Initiative unterstützt. Einer Partnerschaft zwischen CDP, UN Global Compact, dem World Resources Institute und dem WWF, die Unternehmen unterstützen soll Maßnahmen zu ergreifen um den globalen Temperaturanstieg unter 2°C zu halten. Auch der amerikanische Outdoor-Ausrüster Patagonia geht einen zusätzlichen Weg.
Bereits 2012 hat Patagonia Provisions gegründet und verkauft seitdem verantwortungsvoll erzeugte Lebensmittel wie Muscheln, Lachs oder auch Kaffee und Bier. Firmengründer Chouinard verfolgt damit das Ziel die globale Landwirtschaft neuzudenken und schrieb im April 2020 auf der Firmen-Webseite: „Während ich dies schreibe, hat mich die aktuelle Pandemie gewarnt, dass die Tage des Kaufs teurer Ausrüstung und Flugtickets für Reisen um die halbe Welt zum Fischen, Skifahren, Klettern und Surfen möglicherweise vorbei sind. […] Aber wir müssen noch essen. Tatsächlich denke ich, dass die einzige Revolution, die wir wahrscheinlich sehen werden, die Landwirtschaft ist, und ich möchte ein Teil dieser Revolution sein.“ Hier fokussiert sich Patagonia in Bezug auf Lebensmittel, aber auch im Hinblick auf den Baumwoll-Anbau auf regenerative Landwirtschaft.
Schon der griechische Philosoph Heraklit wusste es: „Die einzige Konstante ist die Veränderung.“ Das war schon immer so und das erleben wir jetzt noch einmal deutlich. Der Ruf nach Nachhaltigkeit ist in den letzten Jahren größer geworden. Jetzt geht es wahrscheinlich zunächst darum, die Wirtschaft am Laufen zu halten, danach können wir als Konsumenten entscheiden, welche Unternehmen auch nach Corona Erfolg haben.
Werden es Nachhaltigkeitsvorreiter? Oder Fast Fashion-Anbieter, für die nur das nächste verkaufte T-Shirt wichtig ist? Wir als Gesellschaft und der Staat haben gezeigt, dass wir etwas verändern können, wenn wir nur wollen. Die Klimakrise ist wie die Corona-Krise, sie verläuft nur in Zeitlupe und ist viel einschneidender. Jetzt haben wir die Chance beides anzupacken. Krisensicherer sind nachhaltig orientierte Unternehmen jetzt schon. Doch werden sie unsere Zukunft sein? Das liegt auch mit in unseren Händen.
Oder wie Matthias Horx sagen würde: „Zukunft entsteht, wenn wir uns in der Reaktion auf den Wandel der Welt innerlich selbst verändern.“
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