Yao Ming ist in China ein Volksheld. 2002 kam der 2,29-Meter-Riese als erster Chinese überhaupt in die NBA und avancierte dort bei den Houston Rockets zum Superstar. Schon seine erste Partie für die Rockets verfolgten über 200 Millionen Chinesen am Fernseher. Doch nach neun Jahren auf höchstem sportlichem Niveau war Mings Körper am Ende: Wegen mehrerer Ermüdungsbrüche im linken Fuß musste der Center 2011 mit nur 30 Jahren seine Karriere beenden.
Doch für Mings Rolle im chinesischen Basketball bedeutete das nicht das Ende, sondern lediglich ein Perspektivwechsel: Seit 2017 ist Yao Ming Vorsitzender des Chinesischen Basketballverbands CBA und der gleichnamigen chinesischen Profiliga. Noch immer ist er die Galionsfigur im chinesischen Basketball. Sein Ziel: Das endlich zu ändern. „Wenn wir in zehn Jahren immer noch Yao Ming als Aushängeschild für China hernehmen, bin ich gescheitert. Wir brauchen einen neuen Star“, sagte Ming der „Sports Illustrated“.
Die Vorzeichen dafür stehen eigentlich gut: 300 Millionen Chinesen spielen laut einer NBA-Studie Basketball. Die NBA ist mit über 180 Millionen Social Followern die populärste Sportliga Chinas. Dennoch sucht man derzeit sowohl in ihr als auch der EuroLeague – den beiden sportlich stärksten Basketballwettbewerben der Welt – vergeblich nach Talenten aus Fernost. Auch bei der Basketball-WM, die vom 31. August bis 15. September erstmals in China stattfindet – natürlich mit Yao Ming als Botschafter des Turniers – werden China nur Außenseiterchancen zugerechnet.
Um das zukünftig zu ändern, hat Ming die heimische Liga umgekrempelt: Die Anzahl der Teams wurde erhöht, angestaubte Teamnamen und -Logos auf Mings Geheiß aufgepeppt. Die Trophäen für die Topspieler der Liga, die in den letzten Jahren noch schnöde online bei Pokalherstellern bestellt wurden, sind jetzt Maßanfertigungen. Möglich wurde all das unter anderem durch den Gewinn der „China Life Insurance“ als Großsponsor für die Liga.
Doch das größte Problem der CBA, die nach der NBA immerhin mit den zweithöchsten Gehältern der Basketballwelt lockt, bleibt die Nachwuchsarbeit: Nur 14 chinesische Spieler eines Universitätsteams haben im Draft 2018 den Sprung in ein CBA-Team geschafft.
„Es geht immer noch zu viel Potenzial verloren, was vielerlei Gründe hat. Noch immer sehen es die meisten chinesischen Familien nicht als erstrebenswert an, ihre Kinder Profisportler werden zu lassen“, erläutert Conrad Ziesch, Projektleiter China bei ALBA Berlin, im Gespräch mit ISPO.com.
Ziesch und ALBA Berlin sind in Europa Pioniere: Bereits seit 2011 verbindet der Bundesligist deutsche und chinesische Basketballer mit einem Austauschprogramm. Mit den Guangdong Southern Tigers verbinden die Berliner eine Klub-Partnerschaft. Zudem waren die ALBA-Profis bereits dreimal für Freundschaftsspiele in China. Im Herbst 2018 reiste eine Klubdelegation gemeinsam mit Außenminister Heiko Maas ins Reich der Mitte.
Mit dem Pekinger und Shanghaier Basktballverband unterzeichnete ALBA Berlin langfristige Kooperationsverträge, die unter anderem den Jugendaustausch zwischen beiden Ländern fördern.
„Unser Ziel ist es, deutsche und chinesische Kids durch den Basketball zusammenzubringen und das Lernen einer neuen Sprache spielerisch zu unterstützen. Seit vielen Jahren organisieren wir dazu Turniere, Camps und Lehrerfortbildungen“, so Ziesch, der auch auf der ISPO Munich auf der China Deep Dive Conference über den chinesischen Sportmarkt sprach: „Ein ähnliches inhaltliches Konzept verfolgen wir mit Studenten, kooperieren hier mit der renommierten Tongji-Universität Shanghai sowie der TU Berlin. Auf Verbandsebene pflegen wir Partnerschaften mit dem Pekinger und Shanghaier Basketballverband.“
Ziesch und ALBA Berlin haben in acht Jahren Engagement die richtige Ansprache für chinesische Partner gefunden: Im Reich der Mitte spielen persönliche Kontakte sowie die Pflege des eigenen Netzwerkes eine noch größere Rolle als in Europa. „Chinesischen Partnern ist der Ausbau und die Pflege von Kontakten mindestens genauso wichtig wie mediale Reichweite und das eigene Brand Building. Dies unterstützen wir gezielt, in dem wir unseren Partnern unser Netzwerk öffnen und sie aktiv beim Netzwerken unterstützen.“
Ein Konzept, bei dem am Ende beide Seiten profitieren: Chinesische Nachwuchsspieler, Teams und Verbände erhalten Know-How der westlichen Profistrukturen, ALBA Berlin wiederum gewinnt neue Partner: „In den letzten Jahren hatten wir bereits zwei chinesische Haupt- und Trikotsponsoren. Chinesischen Unternehmen können wir sowohl die attraktive Plattform im europäischen Spitzenbasketball anbieten als auch unser länderübergreifendes Programm im CSR-Bereich.“
Dass sich ein Engagement im chinesischen Basketball auch für den Westen lohnt, hat auch die NBA früh erkannt: Schon in den späten 1980ern verhandelte der damalige NBA-Commissioner David Stern mit Chinas Staatssender CCTV über Übertragungsrechte. Seit 1994 wurde jede Finalrunde der NBA in China live übertragen.
In der Saison 2017/18 haben 640 Millionen Chinesen mindestens eine NBA-Ausstrahlung angeschaut – fast das Doppelte der Einwohnerzahl der USA.
Seit 2004 trägt die NBA Spiele in China aus. Inzwischen fanden schon 23 Spiele der sogenannten Preseason in China statt. Im Oktober kommen Superstar LeBron James mit seinen Los Angeles Lakers und spielen in Shanghai und Shenzhen gegen die Brooklyn Nets, die zu 49 Prozent dem Alibaba-Mitgründer Joe Tsai gehören.
Um die Kooperation mit China zu stärken, hat die NBA im Jahr 2008 die Organisation „NBA China“ ins Leben gerufen. Inzwischen hat die der Liga 25 Marketing-Partner in China beschert, darunter der Sportartikelriese Anta, Milchproduzent Mengniu oder das Touristikunternehmen Ctrip. NBA China CEO Derek Chang: „Wenn globale Partner die NBA betrachten, sehen sie vor allem die beiden Märkte USA und China, und allmählich sehen sie China als das größere Zukunftsthema.“
Inzwischen hat die NBA in China 200 NBA Style Stores eröffnet, seit April 2019 gibt es einen neuen NBA Flagship Store in Peking. Der Fokus dort? Eher Streetwear als Sportswear. „Du siehst überall auf der Straße Leute in NBA-gebrandeten Outfits“, so Chang.
Aber auch die Stars der NBA, die Spieler, bespielen längst gekonnt den chinesischen Markt: Partnerschaften mit chinesischen Marken sind keine Ausnahme mehr. So unterschrieb Klay Thompson von den Golden State Warriors im Juni 2018 einen Zehnjahresvertrag mit dem chinesischen Sportartikelriesen Anta über 80 Millionen Dollar.
Dwyane Wade – der seine Karriere nach der vergangenen Saison beendet hat – steht auf Lebenszeit bei der chinesischen Sportmodemarke Li Ning unter Vertrag.
Der größte Superstar in China ist allerdings Jeremy Lin vom amtierenden Champion, den Toronto Raptors. Der Sohn taiwanesischer Eltern ist laut dem „NBA Red Card 2018 China Digital Report“ vom Institut Mailman der beliebteste NBA-Spieler in China. Nicht zuletzt, weil Lins Management eine auf chinesische Konsumenten zugeschnittene Social-Kampagne fährt: Auf Weibo postet Lins Account in hoher Frequenz, immer wieder sind dort Schnappschüsse mit Online-Stars zu sehen. Außerdem gibt es inzwischen eine eigene Cartoon-Serie über Lin. In einer Dokumentation über das Chinesische Neujahr – das wichtigste Fest der Chinesen – die auf dem Weibo-Kanal der NBA ausgestrahlt wurde, war Lin beteiligt.
Außerdem ist Lin auf neuen Trendkanälen wie der Videoschnipselplattform Douyin präsent, wo er mit 7 Millionen Followern der meistgefolgte westliche Sportler ist.
Doch auch für die NBA und ihre Stars ist der Weg in den chinesischen Markt keine Einbahnstraße. Zahlreiche Kooperationen sollen dem chinesischen Basketballnachwuchs zugutekommen: Um junge Chinesen selbst zum Basketball zu bringen, hat die Liga sogenannte NBA Playzones in Peking, Shanghai und Chengdu eingerichtet. Dort können Kinder im Alter von drei bis zehn spielerisch zum Sport finden.
Dazu kommt mit der Jr. NBA eine eigene Nachwuchsturnierserie, die vier Millionen chinesische Studenten erreicht. Es gibt NBA Academies in drei chinesischen Provinzen und eine gemeinsame Basketballschule.
„Wir wollen dabei helfen, die Entwicklung des kompetitiven Basketballs in China voranzutreiben“, so Chang: „Dadurch wächst der Sport nicht nur in der Breite, sondern bringt auch ihre eigene Liga auf ein ganz neues Niveau.“
In diese Kerbe schlägt auch eine Kooperation zugunsten des chinesischen Nationalteams, die Yao Ming mit der NBA vereinbart hat: Im Vorfeld der Heim-WM konnte sich das Nationalteam in den NBA Summer Games in Freundschaftsspielen mit NBA-Teams messen.
Es ist ein weiterer kleiner Zwischenschritt auf Yao Mings Mission, China vom Land der Basketballverrückten zum Land der Basketballstars zu machen.
„Yao Ming als Präsident des Chinesischen Basketball-Verbandes hat bereits Reformen auf den Weg gebracht, die in die richtige Richtung zeigen. Ein Großereignis wie die WM im eigenen Land wird ebenfalls nochmal Auftrieb geben“, freut sich ALBA Berlins China-Chef Conrad Ziesch: „So etwas wird natürlich nicht über Nacht funktionieren, sondern braucht Zeit.“
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