Bildcredit:
Sportograf
Bildcredit:
Sportograf
Health/06.07.2023

Against all odds: Hyrox-Wettkämpfe statt Rollstuhl

Wir benötigen Ihre Zustimmung, um die Bewertungsfunktion zu aktivieren!

Diese Funktion ist nur verfügbar, wenn eine entsprechende Zustimmung erteilt wurde. Bitte lesen Sie die Details und akzeptieren Sie den Service, um die Bewertungsfunktion zu aktivieren.

Bewerten
Merken

Diagnose: Querschnittslähmung, ein Leben im Rollstuhl. Über einen Umweg, wie er größer kaum hätte sein können, entdeckte der 24-jährige Maurice-André nach seinem Unfall und tausenden Therapie- und Trainingsstunden die Fitness-Trendsportart Hyrox. Und mit ihr eine neue Leidenschaft für ein neues Leben.

Es ist eine außergewöhnliche Geschichte, die Maurice-André erzählt: Vor zweieinhalb Jahren stürzte er mit dem Gleitschirm ab und brach sich den dritten Lendenwirbel. Der 24-Jährige aus Kempten erinnert sich an den Tag seines Unfalls, den 24. Oktober 2020, sehr gut: „Gegen Ende des Fluges war ich schon relativ tief, wollte aber dennoch eine Kurve einschlagen, um etwas näher am Lift landen zu können. Dadurch habe ich noch mal ordentlich an Geschwindigkeit gewonnen und bin aus ungefähr zweieinhalb Metern auf den Boden gekracht.“ Nach einem Rettungsflug in die Unfallklinik nach Murnau bei Garmisch sorgten ein CT-Scan und eine anschließende Not-Operation für die erschütternde Gewissheit: Der dritte Lendenwirbel war gebrochen, die Diagnose lautete Querschnittslähmung. 

Therapie in den USA: Maurice-André kann wieder laufen

Mehrere Monate ohne jegliche Bein-Funktion folgten, doch dann wurde Maurice-André auf das Therapiezentrum Neurofit360 in den USA aufmerksam. „Auf Instagram sah ich ein Video, wie einer der Therapeuten die finalen Meter eines Fünf-Kilometer-Laufs mit einer Patientin absolvierte. Ich wollte auch von Therapeuten behandelt werden, die bereit sind, solche Dinge mit ihren Patienten zu machen.“ Mit insgesamt vier mehrwöchigen Aufenthalten in den USA verbesserte sich seine Beinfunktion von Krabbeln über Laufen mit Orthesen bis hin zum freien Laufen ohne Krücken. „Mittlerweile kann ich nahezu alle alltäglichen Aktivitäten wieder uneingeschränkt ausüben. Bei vielen Dingen bin ich um einiges langsamer als zuvor und binde meinen Oberkörper viel mehr in die Bewegungsabläufe ein“, sagt Maurice-André. Zufrieden ist der 24-Jährige damit noch nicht: „Laut meinen Ärzten war nichts von dem, was ich heute mache, erreichbar. Keiner weiß, wo diese Reise einmal enden wird, aber ich werde definitiv der Erste sein, der es herausfindet.“

Mentale Fitness: Der erste Schritt zum Erfolg

Trotz der unlösbar scheinenden Aufgabe weigerte sich Maurice-André, den Kopf in den Sand zu stecken. Vereinzelte Erfolgsfälle und medizinische Wunder ließen ihn Hoffnung schöpfen: „Ich habe mich dazu entschieden zu kämpfen. Mein Ziel war es, in vier bis fünf Jahren sagen zu können, dass ich alles in meiner Macht Stehende getan habe, um diese Herausforderung zu bewältigen.“ Er zog Positives aus jedem noch so kleinen Fortschritt: „Das Leben im Rollstuhl hatte ich sicher, alles darüber hinaus war optional und abhängig von meinem Willen, Einsatz und den richtigen Therapeuten. Denn egal wie aussichtslos eine Situation scheint, im Leben hat man immer die Option zu kämpfen. Man hat immer die Möglichkeit, sich ein Ziel zu setzen und auf dem Weg dorthin alles zu geben.“

Mentaltechnik „10X Rule“ hilft auf dem Weg zum Marathon

Mental Health ist schon seit einiger Zeit ein entscheidendes Thema im Sport. Auch für Maurice-André ist mentale Stärke ein wichtiger Bestandteil seines Werdegangs. Übungen und Kenntnisse aus vielen Jahren Mentaltraining halfen dem ehrgeizigen Sportler dabei. Eine dieser Mentaltechniken war die „10X Rule“ des amerikanischen Autors Grant Cardone. „Diese Regel ist eine Art Anleitung für das Erreichen von Zielen. Sie beschäftigt sich vor allem mit dem Weg zum Ziel und teilt diesen in viele einzelne Schritte und Zwischenerfolge auf“, sagt Maurice-André. „Die 10X Rule soll Menschen dabei helfen, ihren Horizont zu erweitern und über sich hinauszuwachsen. Daher nimmt man sein ursprüngliches Ziel und vergrößert es um das Zehnfache. In meinem Fall wurde aus dem Vorhaben, irgendwann wieder laufen zu können, das Ziel, in vielen Jahren einen Marathon zu absolvieren. Das frühere Hauptziel wurde zu einem der vielen kleinen Schritte auf einem viel größeren Weg. Selbst wenn ich auf meinem Weg zum Marathon nur einen Teil der geplanten Ziele erreicht hätte, war die Chance, dass ich überhaupt wieder gehen kann, enorm groß“, so der Allgäuer weiter.

Motivationsprobleme? Für Maurice-André nur eine faule Ausrede

Maurice-André ist ein enorm positiver Mensch. Wenn er über seine Geschichte spricht und an sein Leben vor dem Unfall zurückdenkt, ist keinerlei Wehmut zu verspüren. Ganz im Gegenteil: Selbst wenn er die Chance dazu hätte, würde er sein Schicksal nicht rückgängig machen: „Die Erfahrung, eine solche Reise zurückgelegt zu haben, ist unfassbar wertvoll. Seitdem gehe ich ganz anders durchs Leben. Ich bin einfach entspannt und blicke positiv in die Zukunft, denn was soll noch kommen? Die größte Herausforderung habe ich bereits gemeistert.“

Mit Hyrox zur Heilung

Fester Bestandteil dieses erstaunlichen Wegs ist seit einiger Zeit der Laufsport, eine Leidenschaft, die Maurice-André erst nach seinem Unfall für sich entdeckte. Neben verschiedenen Laufserien, Viertel- und Halbmarathons powert er sich regelmäßig auf Hyrox-Veranstaltungen aus. 

Hyrox ist eine moderne Fitness-Trendsportart, die Laufsport mit funktionellem Training verbindet. Ein Wettkampf besteht aus acht Laufintervallen über eine Distanz von jeweils einem Kilometer. Zwischen den Laufintervallen absolvieren die Starter acht verschiedene Fitnessübungen, zum Beispiel 1.000 Meter auf einem Ski-Ergometer, der die Bewegungen vom Langlauf simuliert, oder 1.000 Meter auf einem Ruder-Ergometer. Erstmals aufmerksam auf die Indoor-Serie wurde er im September 2021 durch einen Hyrox-Fitnesstest, der in seinem lokalen Fitnessstudio angeboten wurde. „Ich hatte schon lange Lust, einmal bei einem dieser Events an den Start zu gehen. Nach dem Fitness-Test war ich mir aber eigentlich sicher, dass ich dafür noch mindestens ein Jahr Vorbereitung brauchen würde“, sagt Maurice-André.

Challenge accepted und geschafft: Maurice-André nach erfolgreicher Hyrox-Teilnahme
Bildcredit:
Sportograf
OutDoor 2025
Vom 19. bis 21. Mai 2025 erwartet dich die OutDoor in völlig neuem Gewand! Erlebe flexible Erlebnisräume wie The Village, die wandelbare Freestyle Area und die inspirierenden New Spaces – alles designt, um zu verbinden und neue Ideen zu wecken.

Erste Hyrox-Challenge in den Staaten

Als er einen Monat später noch einmal in die USA flog, um sich einer weiteren Therapie-Einheit zu unterziehen, besuchte er einen Freund in Chicago. „An diesem Wochenende kämpften wir uns durch das 105-stöckige Treppenhaus des Willis Towers. Als ob das nicht schon genug gewesen wäre, überredete mich mein Kumpel auch noch dazu, an meinem ersten Hyrox-Wettkampf teilzunehmen. Und was soll ich sagen? Es war einfach fantastisch und zu diesem Zeitpunkt die größtmögliche Challenge“, erinnert sich Maurice-André. Er war sich sicher, dass die Wettkämpfe in Deutschland nicht an die Veranstaltungen in den Staaten anknüpfen können: „Dennoch habe ich mich im Dezember direkt für das nächste Event in Frankfurt angemeldet und festgestellt, dass die Wettkämpfe auf deutschem Boden sogar noch mehr Spaß machen. Spätestens dann hat es mich einfach gepackt.“

Push your limits: Hier verschiebt Maurice-André seine Grenzen

Neben den vielen schönen Erfahrungen sind Hyrox-Wettkämpfe auch mit einer enormen körperlichen Belastung für den 24-Jährigen verbunden. „Für mich stellt die größte Herausforderung definitiv die Dauer der Wettkämpfe dar. Über zwei Stunden auf absoluter Höchstleistung zu performen, ist unfassbar anstrengend. Da muss ich teilweise über mein Limit hinausgehen“, sagt Maurice-André. Um sich bestmöglich auf die Wettkämpfe vorzubereiten, arbeitet er stetig an der Optimierung seiner Laufleistung. Im Vergleich zu anderen Disziplinen wie dem Ski-Erg oder dem Rowing, in denen er der Konkurrenz bereits auf Augenhöhe begegne, könne er im Laufen nach wie vor die meiste Zeit herausholen. „Dadurch bin ich bereits bei einer Zeit von unter zwei Stunden angekommen. Im Vergleich zu meinen ersten Events in Frankfurt oder Chicago habe ich mittlerweile ein konstantes Niveau gefunden und meine Zeit dadurch deutlich verbessert“, so der Deutsche.

Erfolgreicher Zieleinlauf von Maurice-André
Bildcredit:
Sportgraf

Motivation und Vorbild für seine Mitmenschen

Neben seinen sportlichen Erfolgen freut sich Maurice-André auch über den positiven Effekt auf seine Mitmenschen: „In den letzten Jahren habe ich es geschafft, eine Menge Menschen zu motivieren, ihren inneren Schweinehund zu überwinden. Wenn sie mich mit meinen Krücken auf der Laufbahn sehen, realisieren viele, dass sie eigentlich keinerlei Ausreden haben.“ Für viele Sportler*innen ist Maurice-André ein echter Hero, weil er das scheinbar Unmögliche möglich macht.

Hyrox-Anfänger*innen und Menschen, die mit einer Teilnahme liebäugeln, rät Maurice-André, den Physical Fitness Test in einem Fitnessstudio zu absolvieren. Hier könne man sich ein Bild von den Workouts machen und sich auf die Belastung einstellen: „Und dann sollte man sich einfach anmelden und es durchziehen. Denn im Endeffekt ist es völlig egal, welche Zeit man läuft. Bei Hyrox wird jeder für seine Leistung abgefeiert“. In Zukunft warten auf Maurice-André bereits die nächsten spannenden Herausforderungen. 

Im kommenden Jahr soll eine eigene Hyrox-Adaptive-Division für Menschen mit körperlichen Einschränkungen an den Start gehen. „Für diese Veranstaltungen bin ich aktuell auf der Suche nach einem passenden Partner, um ein Double laufen zu können. Allgemein freue ich mich auf die Serie und möchte natürlich einige starke Ergebnisse erzielen“, sagt Maurice-André.

Autor: Nicolas Gayer

Themen dieses Artikels