„Wie sauber ist meine Laufbekleidung?” „Äh, ziemlich, schließlich kommt sie gerade frisch aus der Wäsche.” „Nein, ich meine in der Herstellung und für die Umwelt.” „Ach so, gute Frage…” „Und wenn wir schon bei Wäsche sind, was ist eigentlich mit Mikroplastik, wenn ich mein Laufoutfit später verschwitzt in die Maschine werfe?” So oder so ähnlich sah wohl Steffen Ottens Zwiegespräch mit seinem Nachhaltigkeits-Bewusstsein beim Laufen aus. Als der langjährige Freizeitläufer auf das Thema Mikroplastik stößt, lässt ihn das Thema nicht mehr los. Das schlechte Gewissen wiegt von da an bei jeder Laufeinheit bedeutend schwerer als die leichte Performance-Klamotte aus Plastik.
„So richtige Alternativen für Sportler gab es eigentlich nicht. Insbesondere gab es vor allem keine Kleidung, die sich an Läufer gerichtet hatte, die so wirklich ohne konventionelle Poly-Materialien ausgekommen ist“, erzählt Steffen. Die Idee zu runamics war geboren, einer nachhaltigen und umweltfreundlichen Laufmarke als Alternative zur gängigen Sportbekleidung aus Kunststoff.
Poly-Materialien, erklärt Steffen weiter, das sind chemisch auf Erdöl-Basis hergestellte Kunstfasern. Polyester, Polyethylen, Polyamid, Polyacryl… bekannte Begriffe von den Etiketten in unserer Sportkleidung. Sie haben verschiedenste Vorteile, sind oft atmungsaktiv, schnelltrocknend und leicht. Noch dazu in Europa unglaublich günstig in der Herstellung: In Deutschland wird beispielsweise Mineralöl für die industrielle Verarbeitung nicht besteuert. Dazu zählt auch die Produktion von Textilien. Gleichzeitig ist vielen Sportlern nicht bewusst, wie schädlich ihre Kleidung für die Umwelt ist, selbst wenn sie seit Jahren auf die Plastiktüte beim Einkauf verzichten oder bewusst auf ihre Ernährung achten.
Spricht man mit Steffen, merkt man, dass sich der gelernte Betriebswirt ein riesiges Wissen in einer Branche angeeignet hat, aus der er eigentlich gar nicht stammt. Er hat mit vielen Wissenschaftlern und Universitäten gesprochen, um andere Materialien zu finden, die sich ebenso eigneten und die Anforderungen an Funktionskleidung erfüllten.
Außerdem holte er sich mit Lena Rix als Designerin und Branchenkennerin im Bereich der Funktionsbekleidung zusätzliches Fashion Know-how an Bord. Erstes Ziel war es, plastikfreie Sportbekleidung zu entwickeln und auf den Markt zu bringen. Gemeinsam wollten sie das Problem Mikroplastik lösen, das mit jeder Maschinenwäsche in Form feinster Partikel und Kleinstteilchen im Abwasser bis ins Meer schwimmt. Schließlich sind die Teilchen für Klärprozesse oft zu klein und können dementsprechend nicht ausgefiltert werden.
2019 war es dann soweit: Die beiden stellten bei Kickstarter die erste runamics-Kollektion vor, die komplett plastikfrei aus Merino-Wolle und Tencel-Lyocell-Fasern bestand. In der Crowdfunding-Kampagne konnte das Duo 40.000 Euro einsammeln. Genug, um runamics aus der Taufe zu heben und die Produktion der ersten Kollektion zu finanzieren. Kurz darauf stieg Fotograf Henning Heide als Dritter im nachhaltigen Bunde bei runamics ein, der heute für Marketing und PR der Marke zuständig ist.
Je mehr sich die drei mit dem Thema Sportbekleidung aus Kunstfaser befassten, desto bewusster wurde ihnen das Ausmaß der Problematik. „Ein Kleidungsstück aus Kunststoff überlebt seinen Träger um ein Vielfaches“, sagt Steffen. Die Verwendung von bedenklichen chemischen Substanzen beim Färben, die man vielleicht nicht auf der verschwitzten Haut tragen möchte oder sollte, sind noch ein ganz anderes Thema.
Schnell war klar, dass sie neue, bessere Materialien finden mussten, um nachhaltige Laufbekleidung herzustellen. runamics Produkte bestehen heute aus Naturfasern und regenerativen Fasern, wie Merinowolle oder der holzbasierten Lyocell-Faser. Zudem verwendet runamis synthetische Fasern, die so verändert wurden, dass sie keine schädlichen Stoffe enthalten und biologisch abbaubar sind: Beipielsweise biologisch abbaubares Elasthan oder Polyester. Natürlich zählt zu nachhaltigen Naturfasern auch Baumwolle. „Unsere Väter sind ihre Marathons in Baumwoll-T-Shirts gelaufen. Und dabei deutlich unter unseren Bestzeiten.“
Ist das nun ein Kompromiss, also muss ich mich als umweltbewusster Mensch entweder für Nachhaltigkeit oder Performance entscheiden? „Bloß nicht“, meint Henning. Die Produkte sollen nach wie vor ihre Funktion erfüllen, bei Baumwolle mag das eine andere sein als bei Polyester. „Die Saugfähigkeit von Baumwolle sorgt beispielsweise für deutlich weniger Hautirritationen als Polyester im Vergleich, wo Schweiß länger auf der Haut bleibt (…) Perfomance-Nachteile sind Definitionssache“, verdeutlicht Steffen weiter.
Es liege mehr daran, dass wir über die letzten 40 Jahre gelernt haben, Sport mache man in Plastik. „Die Leute wollen ja gerne athletisch aussehen, so wie die Athleten, die sie beeinflussen.“ Henning erklärt, dass glänzendes Material eben visuell auch oftmals mit Sportlichkeit gleichgesetzt werde, denn das tragen Athleten seit Jahren auf Werbeplakaten. Also bringen die Lauf-Tights von runamics den sportlichen Glanz und die Dehnbarkeit von Elasthan mit, auch wenn sie biologisch abbaubar und besser für die Umwelt sind.
Grundsätzlich sieht runamics das Thema Nachhaltigkeit auch als Einstellung. „Wir versuchen, für jede Läuferin und jede Läufern einen Stock anzubieten, also Langarm- und Kurzarmvarianten, Shorts und Tights.“ Außerdem wirbt das Unternehmen für bewussten Konsum, jedes Jahr neue Sportbekleidung muss laut Gründern nicht sein. Das Design ist lässig und zeitlos, in neutralen Farben.So will das Start-up auch einen Impuls gegen Fast Fashion und eine Flut von stetig neuen Produkten mit lediglich anderen Farbvarianten setzen.
Statt Kollektionsdenken verbessert runamics die Produkte kontinuierlich. Langlebigkeit ist das Ziel. Besonders: Die Marke bietet auch einen Reparatur-Service für eigene Produkte an. „Ich persönlich möchte lieber sieben Sportler*innen haben, die ein Shirt von uns haben, als ein Sportler, der sieben Shirts hat. Einfach weil wir versuchen deutlich zu machen, dass Slow Fashion das nachhaltigste ist. Auch wenn ich mich aus finanziellen Gründen natürlich drüber freuen würde, wenn jemand auf einmal sieben Tage die Woche unsere Shirts trägt“, formuliert Henning den Grundgedanken von runamics. Steffen ergänzt: „Wir wollen möglichst viele Sportlerinnen und Sportler erreichen, darüber nachzudenken, dass der Konsum im Sport Implikationen hat, die nicht immer positiv sind.“
Dabei geht es dem Team auch darum, ihr Wissen, dass sie über die letzten Jahre zusammengetragen haben, weiterzugeben und Verständnis zu schaffen. Ein wichtiges Ziel in ihrem Nachhaltigkeitsdenken ist das Konzept Cradle-to-Cradle.
Der Begriff Cradle to Cradle stammt aus dem Englischen und bedeutet wörtlich übersetzt „von der Wiege zur Wiege“ oder auch sinngemäß „vom Ursprung zu neuem Ursprung“. Damit gemeint ist das Prinzip der Kreislaufwirtschaft. Anstelle von Wegwerfprodukten und Müll am Lebensende eines Kleidungsstücks wird so gewirtschaftet, dass es kein Lebensende gibt: Entweder sind Produkte vollständig biologisch abbaubar oder können ohne Verluste endlos recycelt werden. Es entsteht ein geschlossener Kreislauf, in dem Ressourcen vielfach wiederverwendet werden. runamics setzt dabei auf den Ansatz, dass Produkte vollständig biologisch abbaubar sind und somit wieder zu neuen Ressourcen werden. „Du kannst zu Hause also ohne Probleme unsere Produkte vergraben. Im Prinzip ist zwar jedes Material biologisch abbaubar, aber das dauert eben unterschiedlich und ist auf Grund von Schadstoffen nicht immer nachhaltig. Bei uns aber schon“, so runamics-Gründer Steffen Otten.
Cradle-to-Cradle ist gleichzeitig auch eine Zertifizierung. Bei der Vergabe sind fünf Kriterien maßgeblich: Erstens, die Materialgesundheit, hier wird die chemische Zusammensetzung des Produktes analysiert und auf Schadstoffe untersucht. Zweitens, die für die Produktion verbrauchte Energie und ihr Anteil an regenerativen Energien. Drittens, der Wasserverbrauch und die Abwassersauberkeit. Durch Färbeprozesse können beispielsweise Schadstoffe ins Abwasser gelangen. Viertens, soziale Fairness in Arbeitspraktiken und Produktion. Ist eine Produktionsstätte beispielsweise durch die Fairwear Foundation zertifiziert, wird das auch für Cradle-to-Cradle anerkannt. Fünftens und zuletzt spielt die Kreislauffähigkeit von Materialien, also inwiefern sie wiederverwendet werden können, eine Rolle. Nach und nach sollen alle Produkte der Marke zertifiziert und runamics damit die erste komplette Cradle-to-Cradle Sportmarke der Welt werden.
„Es ist halt oftmals der Shortcut zu sagen, wir nehmen Flaschen, die im Ozean schwimmen. Das hört sich zum Teil gut an, ist aber oft nicht die Lösung, denn auch dadurch entsteht wieder neuer Plastikmüll.“ erklärt Markenstratege Henning Heide. runamics sieht sich als kleine Challenger-Marke, die größere Unternehmen zu einem Umdenken herausfordern will.
Charmant an dem norddeutschen Start-up ist die gelassene Herangehensweise: Es geht den Gründern nicht darum, mit dem Finger auf andere zu zeigen und Eco-Shaming zu betreiben. Egal, ob große Marken, die Sport-Industrie für sich oder aber die Fashion-Fans unter den Läufern. Stattdessen wird Schritt für Schritt vorgegangen, akribisch recherchiert und an den eigenen Produkten gearbeitet. Für den Moment sind es Teile wie das Baumwoll-Lauf-Shirt und der Trainingsanzug, die bereits Cradle-to-Cradle zertifiziert wurden. Schon bald soll die erste Cradle-to-Cradle Sport-Shorts der Welt folgen. Das Ziel der Marke: „Unsere Ambition ist, dass man irgendwann, wenn die Branche von Cradle-to-Cradle spricht, an uns denkt.“
Mehr zu runamics, den Hintergründen der Marke sowie ihren verwendeten Materialien auf runamics.com.
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