ISPO.com: Herr Stolzenberger, unter Bergsportlern ist Bergzeit bestens bekannt. Was wissen wohl die wenigsten über das Unternehmen?
Martin Stolzenberger: Dass Bergzeit vor 20 Jahren tatsächlich als Tourenportal gestartet ist und nicht als Onlineshop. Das heißt, wir waren schon damals ganz vorne mit dabei und haben GPS-Touren, Testberichte usw. angeboten. Inzwischen verfügen wir über ein Netzwerk von über hundert Bloggern und Autoren, die uns beim Ausbau unserer 360-Grad-Strategie unterstützen.
Bergzeit feiert gerade sein 20. Jubiläum. Was war die beste Business-Entscheidung der letzten Jahre?
Es fällt mir schwer, da nur eine Entscheidung zu nennen! Ganz wichtig war meiner Meinung nach vor allem Folgendes: Als Bergzeit 2012 gekauft wurde, entschied das Management, dass sich Bergzeit weiterhin eigenständig und unabhängig entwickeln darf.
Das war eine wichtige Voraussetzung für den weiteren Erfolg von Bergzeit. Nur so konnten wir uns spitz am Markt positionieren und das Thema Bergsport-360-Grad - also mit Shop, Magazin und Erlebnis – darstellen.
Welche Entscheidung hat sich im Nachhinein als Fehleinschätzung erwiesen?
Wir haben festgestellt, dass es für uns keinen Sinn macht, für Marken Onlineshops zu betreiben. Das haben wir aber schon 2016 erkannt und damit aufgehört. Damals war das interessant für einige Marken, weil sie kein eigenes B2C-Business machen wollten. Aber der Fokus ist einfach zu unterschiedlich.
Marken wird immer wieder vorgeworfen, dass sie selbst zum Händler werden, stationär oder online. Wie stehen Sie zu Marken, die einen eigenen Onlineshop betreiben?
Ich sehe dazu keine Alternative, deshalb haben wir das auch nie bekämpft wie andere Händler. Im Gegenteil, ich sehe darin sogar einen Vorteil: Marken mit eigener E-Commerce-Expertise wissen wie es läuft. Das schafft Augenhöhe.
Die entscheidende Frage ist aber, wie tritt die Marke im Internet auf? Der einfachste Weg online zu verkaufen, ist der Preis. Da hat die Industrie durch ihre höheren Margen viele Vorteile. Aber ich bin überzeugt, dass viele Marken hier sehr bedacht handeln.
Sie wollen nicht nur Produkte verkaufen, sondern auch Erlebnisse, und zur zentralen Anlaufstation für Bergsportler werden. Wie entwickelt sich das Erlebnis-Business?
Das kommt sehr gut an. Wir liegen hier voll im Plan und das Feedback der Teilnehmer ist positiv. Wir haben diesen Bereich Ende 2018 eingeführt und für uns stellt sich jetzt die Aufgabe, daraus ein skalierbares Geschäftsmodell zu machen, das sich auch internationalisieren lässt. Wir werden hier zunehmend auch lokale Kooperationen mit Veranstaltern eingehen.
Wie wollen Sie Bergzeit darüber hinaus weiterentwickeln?
Wir sind in der unglaublich glücklichen Situation, dass wir viele neue Ideen haben. Die größte Entwicklung werden wir natürlich im Onlineshop sehen und dort beispielsweise die bessere Verknüpfung zwischen Shop, Magazin und Erlebnis. Auch mehr Personalisierung ist ein wichtiges Thema. Wir arbeiten an vielen Details und neuen Lösungen für mehr Service und Beratung - dort sehen wir unsere Kernkompetenz.
Viele Händler prüfen derzeit Marktplatzmodelle als Erweiterung ihres Businessmodells. Ist das auch ein Thema für Sie?
Diese Frage bekomme ich derzeit bestimmt dreimal pro Woche gestellt! Natürlich denken wir darüber nach, aber im Moment sehen wir dafür keinen Anlass und haben auch keine solchen Pläne.
Warum wollen Sie nicht?
Wir haben momentan keine Umsatzprobleme und wachsen im gewünschten Tempo. Wir müssen nicht auf Teufel komm raus wachsen. Deshalb gibt es keinen Grund, ein Geschäftsmodell einzuführen, mit dem wir weniger verdienen als mit dem klassischen Handel. Das ist das eine. Das andere: Die Branche ist noch nicht so weit. Die wenigsten unserer Lieferanten sind derzeit schon in der Lage, sich an einen Marktplatz anbinden zu können. Das kommt erst noch.
Worin haben viele Lieferanten noch Nachholbedarf?
Beispielsweise in der Datenübertragung, die extrem nachhinkt. Nicht nur was die Qualität der Daten betrifft, sondern auch wann sie zur Verfügung gestellt werden. Da ist die Mode schon wesentlich weiter.
Welche Herausforderungen sehen Sie im Onlinehandel heute?
An erster Stelle sehe ich den Mangel an Spezialisten. Im Großraum München sitzen zwar viele Tech-Unternehmen, aber entsprechend hoch ist das Gehaltsniveau. Gleichzeitig steigen die Standards bei Technik und Logistik und damit die Erwartungen der Kunden. Das heißt, es muss kontinuierlich investiert werden, und die Investitionen sind immens.
Deshalb sind – im Vergleich zu vor 15 Jahren – nur noch so wenige Shops übrig. Man muss permanent clever entscheiden, welche Aufgaben man outsourct und was man selbst entwickelt. Unser eigenes Logistikzentrum war definitiv ein entscheidender Schritt für uns. Gerade in der Logistik sehe ich langfristig viele Möglichkeiten für neue Kooperationen mit unseren Lieferanten.
Online-Player haben aktuell ein Interesse an stationären Geschäften. Bergzeit hat bereits zwei Filialen. Sind weitere in Planung?
Wir beschäftigen uns damit, aber es gibt keine Pläne für neue Stores. Unser Fokus liegt wirklich auf dem Onlinebusiness.
Derzeit versuchen viele stationäre Händler, Onlinetools auf der Fläche zu integrieren. Welche Tools nutzen Sie? Wie gehen offline und online zusammen?
Die beiden Läden funktionieren sehr gut und wachsen entgegen dem allgemeinen Trend sehr erfreulich. Wir machen eine Frequenzmessung im Laden, für eine Laufanalyse sind die Geschäfte zu klein. Aber wir betreiben schon immer einen sehr regen Austausch zwischen Onlineshop und stationären Geschäften, was z. B. Trends, Content und Customer Care betrifft. Wir veranstalten auch viele Events auf der Fläche, die online angekündigt werden, was viel zum Wachstum beiträgt.
Zudem war bei uns schon immer die Bereitschaft des Personals sehr hoch, auf der Fläche digitale Tools zu nutzen, wie z.B. den Zugriff auf den Onlineshop, der natürlich viel mehr Produkte vorrätig hält als der Laden. Hilfreich wäre hier noch eine digitale Preisauszeichnung, weil wir online die Preise häufiger ändern müssen. Derzeit ist die Investition für den relativ geringen Umsatzanteil der Läden aber noch zu hoch.
Noch ein Ausblick bitte: Welche Trends im E-Commerce sehen Sie für die nächsten Jahre?
Klar ist, dass sich der Channelshift von stationär zu online weiter fortsetzen wird. Ich kann zumindest kein Zeichen erkennen, dass sich daran etwas ändern wird. Darüber hinaus sehe ich drei große Trends: erstens, die Plattformökonomie mit den daraus folgenden neuen Kooperationen und der Veränderung der klassischen Lieferantenbeziehungen.
Zweitens, die Personalisierung in Kombination mit Künstlicher Intelligenz. Wir können den Verbraucher in Zukunft immer genauer verstehen. Hier ist aktuell sehr viel Dynamik im Markt.
Drittens: Spannend wird, wie sich das Thema Verkaufspreise weiterentwickelt. Bergzeit ist ein Händler im Premiumbereich, wir sind angewiesen auf stabile Preise und starke Marken. Leider ist die Rechtslage so, dass es für Marken immer schwerer wird, sich gegen schwarze Schafe und Amazon zu wehren. Durch die rasante Entwicklung bei Marktplätzen wird der Markt noch unübersichtlicher und es ist schwierig nachzuvollziehen, wo Ware herkommt.
- Umsatz 2018: 66 Millionen Euro, Wachstum über 20 Prozent
- Mitarbeiter: 260
- Kundenstamm: 365.000 im Jahr 2018
- Artikel online: 40.000 Artikel, 500 Marken
- Versand: weltweit, Fokus auf DACH-Raum
- Sports BusinessDesign-Revolution im Outdoor-Sektor
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