Zu Gründungszeiten des Verbands deutscher Berg- und Skiführer (VDBS) in den 1960er-Jahren war Bergführen eher ein saisonales Zubrot. Die Gäste waren Berg-begeistert, solvent und hatten Zeit: 14 Tage Bergsteigen in Wallis war keine Ausnahme, sondern die Regel. Heutzutage müssen Gipfelbesteigungen dagegen für eine wesentlich größere Klientel verfügbar sein, bei weniger Zeit: Statt 14 Tage lang aufzusteigen, sollen die Gipfel in vier Tagen erreichbar sein.
Darüber hinaus haben sich in den vergangenen 50 Jahren viele neue Bergsportarten herauskristallisiert, wie beispielsweise Canyoning und Freeriden. Große Veränderungen, mit denen eine komplette Berufsgruppe Schritt halten muss. Profi-Bergführer sind mittlerweile Risikomanager, Mentaltrainer und Dienstleister für Kicks, Klicks und Likes einer prestigeorientierten Gesellschaft.
Während es früher genügte, einen Gast auf den gewünschten Berg zu führen und sicher wieder ins Tal zu bringen, sind heute die Ansprüche an den Bergführer stark gestiegen. „Der Gast von heute hat mit dem Gast von vor 50 Jahren nur noch gemein, dass er sich alleine die Tour nicht zutraut und sich für ein Entgelt einen Führer nimmt“, sagt Michael Lentrodt, staatlich geprüfter Berg- und Skiführer und Präsident des VDBS.
„Der Kunde von heute erwartet einen kommunikativen und einfühlsamen Führer, der auch in der Lage ist, seine Entscheidungen nachvollziehbar zu begründen. In Zeiten von Facebook und Instagram, in denen einer der Beweggründe für Bergtouren das sofortige Posten des Erlebten ist, um im Wettlauf ‚wer hat am Wochenende den größten Kick gehabt‘ bestehen zu können, ist der Druck dem Gast auch tatsächlich diesen Kick bieten zu können, gewaltig gestiegen.“
Höher, schneller, weiter – das gilt auch auf dem Berg: „Der Bergsportkunde hat, wie in der Gesellschaft allgemein, mittlerweile eine große Erwartungshaltung. Früher waren es überwiegend Bergsteiger, die auch langfristig beim Bergsteigen geblieben sind. Jetzt gibt es immer mehr Kunden, die gezielt einen Gipfel besteigen wollen, weil das ein Prestigegipfel oder eine Prestigetour darstellt, etwa Montblanc oder Matterhorn. Ist das Ziel erreicht, sind viele der Gäste bergsteigerisch nicht mehr viel unterwegs“, sagt Herbert Streibel, der über 25 Jahre als Profi-Bergführer weltweit arbeitete.
Zudem geht der Trend zum verlängerten Wochenende in den Bergen, sprich: hinfahren, Gipfel besteigen, heimfahren. Streibel realisiert die Entwicklung und hat darauf reagiert, auch in der Bergführerausbildung: „Die Führungstechnik hat sich grundsätzlich in den letzten Jahrzehnten weiterentwickelt, allerdings geht man in der heutigen Zeit viel detaillierter beim Führen vor. Wo man beispielsweise früher gleichzeitig mit dem Gast am Seil gegangen ist, wird jetzt häufiger und differenzierter gesichert.“ Auf die Frage nach dem Warum, erklärt Streibel: „Weil der Bergführer natürlich sofort sieht, was der Gast kann und was nicht, und dementsprechend die sicherungstechnischen Maßnahmen abstimmt.“
Wer sich für den Beruf Profi-Bergführer entscheidet, hat dank stark steigender Nachfrage gute Chancen auf ein sicheres Einkommen – ganzjährig. Allerdings ist die Aufgabenstellung durchaus als komplex zu bezeichnen, egal ob man als Profi-Bergführer in einer Bergschule oder selbstständig arbeitet.
Finn Koch, Bergführer-Anwärter und Mitglied des Expeditionskaders des Deutschen Alpenvereins, sieht im neuen Handlungsspektrum eine Chance: „Der Bergführer hat mittlerweile nicht nur die Aufgabe ein passendes Bergerlebnis zu servieren, sondern auch das ‚Drumherum‘ muss passen. Das fängt beim Buchen von Hütten an und geht bis zum Berufsbild des Psychologen in den dunklen und kalten Momenten auf Tour. Der arrogante, klischeehafte Bergführer, der seine Gäste anschreit, wird diesen Beruf nicht lange ausüben.“
Ein buntes Bergsport-Angebotsportfolio wird bei wachsender Konkurrenz immer wichtiger. Zusammen mit den veränderten Voraussetzungen, die die Gäste zur gebuchten Tour „mitbringen“, ergeben sich neue Ausbildungsinhalte, sagt Lentrodt: „Die Ausbildung hat sich den geänderten Anforderungen sukzessive angepasst. Während in den ersten Jahren der Schwerpunkt auf der Vermittlung von bergsteigerischen Fertigkeiten und Bergrettung lag, sind heute die Schwerpunkte im Bereich Führung und Unterrichten angesiedelt. Aber auch Themen wie Umgang mit Gruppendruck und modernen Hilfsmitteln wie GPS, Betriebswirtschaft sowie Fremdsprachen sind Ausbildungsinhalte, die von angehenden Bergführern oder Bergwanderführern beherrscht werden müssen.“
Zudem haben sich die Bergsportarten über die Jahre vervielfacht. Der Bergführer von heute ist etwa beim Freeriden, Skitourengehen, Eisklettern, Schneeschuhwandern, Hochtour, Wandern, Trekking, Expedition, Alpin- und Sportklettern, Canyoning oder auch in der Bergrettung tätig und wird darin auch ausgebildet.
„Überall in den Alpenregionen sprießen Anbieter für Bergsportreisen und -veranstaltungen hervor. Die Nachfrage ist in einer von zunehmendem Freizeitverhalten geprägten Gesellschaft geradezu explodiert“, erklärt Lentrodt. So ist der Bergführer ein Beruf mit Zukunftsperspektiven: Allein die deutschen Berg- und Skiführer bringen es mittlerweile auf 30.000 Führungstage pro Jahr – Tendenz steigend.
Während Finn Koch die klassische und langwierige Ausbildung eingeschlagen hat, muss er sich schon jetzt mit der direkten Konkurrenz auseinandersetzen. Denn: Der Begriff „Bergführer“ ist im Gegensatz zu „staatl. geprüfter Berg- und Skiführer“ nicht geschützt, was bedeutet, dass mit einer anderen Qualifikation, die nicht gleichwertig ist, durchaus geworben werden kann.
Für die Fachsportlehrerausbildung zum staatl. geprüften Berg- und Skiführer, wie sie Koch derzeit macht, zeichnet sich die Technische Universität München (TUM) verantwortlich. Nach Eignungstests müssen die Aspiranten innerhalb von drei Jahren verschiedene Fachlehrgänge durchlaufen und Prüfungen bestehen, deren Standards dank der Mitgliedschaft des deutschen VDBS im Internationalen Vereinigung der Bergführerverbände (IVBV) internationales Renommee genießen.
Michael Lentrodt sieht trotz erstklassiger Ausbildung Nachholbedarf, was das Berufsbild betrifft: „Der Bergführerberuf hat bei denen, die mit diesem Begriff etwas anfangen können, ein überragendes Image. Mit ihm werden Attribute wie Zuverlässigkeit, Ausdauer, Sicherheit, Verantwortung und Führungsqualität assoziiert. Gleichzeitig ist der Beruf aber weitgehend unbekannt, was es anderen Qualifikationen ermöglicht – und diese auch dazu ermuntert – in der Öffentlichkeit den Eindruck zu erwecken, diese seien gleichwertig.“
Die Hauptaufgabe des Verbandes sieht er also in Zukunft darin, das Berufsbild in der Öffentlichkeit zu schärfen. Und sich natürlich wie zuletzt immer wieder neu an den Anforderungen und Entwicklungen der Kundschaft zu orientieren – für weitere 50 Jahre VDBS.
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