Charles Ross legt seinen Mund auf den Stoff einer Jacke und versucht, mit geblähten Backen durch das Gewebe hindurch auf seine Hand zu blasen. Klar, in seinem Labor gebe es dafür hochempfindliche Maschinen, sagt der Stoffexperte aus London. „Für einen ersten Eindruck, ob die Jacke wirklich winddicht sein kann, funktioniert das aber auch so ganz gut.“
Charles lehrt normalerweise Design am Royal College of Art, er ist Experte für Stoffe und nachhaltige Textilien und in der Outdoorbranche bekannt wie ein bunter Hund. An diesem Dezembertag ist er Teil der Apparel-Jury für die ISPO Awards 2020. Mit sieben Kollegen aus aller Welt steht er im Norden der Messe München, um die besten Produkte des kommenden Jahres zu finden.
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Vor der Apparel-Jury liegt ein langer Tag. In schier endlosen Reihen stehen die Kleiderständer im Raum. Vollgehängt mit Hunderten neuen Jacken, Baselayern, Shirts, Hosen und Tops. Die Jury greift, zerrt, reibt, fühlt und probiert an. Es wird ganz genau geschaut, welche Garne verwendet, wie genäht wurde.
Die ersten zwei Stunden des Tages dauert das besonders lang – mehr als 20 Minuten pro Teil sind in den einzelnen Fachgruppen nichts Besonderes. Man muss sich kennenlernen, einen gemeinsamen Ton finden. Besonders zügig fallen Entscheidungen eigentlich nur, wenn sich alle einig sind, dass ein neues Produkt nicht so gut ist. Wobei das in den vergangenen Jahren immer seltener vorkommt. Heute geht es vielmehr darum, unter den fast durchgängig guten Produkten die herausragenden Kandidaten zu erkennen.
Um die zu finden, kann bei den Bekleidungsexperten auch das Gehör eine Rolle spielen. „Ich sehe hier viele tolle Designs und Details“, sagt Louisa Smith, Textile Trend Consultant. Aber nicht alle Stoffe scheinen ihr geeignet. „Mir persönlich sind manche Oberflächen einfach zu laut“, erklärt sie. Immerhin gehe es ja um Sportbekleidung. „Ich mag es nicht, wenn es knattert oder zu sehr raschelt, wenn man sich aktiv bewegt.“
Mit dem ISPO Award werden jedes Jahr herausragende Produktneuheiten im Sport Business ausgezeichnet. Und der Aufwand, der rund um den Award betrieben wird, ist immens. Vier international besetzte Fachjurys begutachten drei Tage lang die Bewerbungen aus den vier Segmenten Snowsports, Outdoor, Running und Fitness & Teamsports. Dazu kommen Experience Days in Obergurgl und Garmisch, bei denen die Jury vor Ort testet.
Doch der Aufwand lohnt sich. Die international und vielfältig besetzte Jury hat den ISPO Award zu einem der wichtigsten Gütesiegel für Hersteller, Händler und Kunden gemacht. Mit dabei: insgesamt 40 Experten aus 14 Ländern; Athleten, Journalisten, Heavy User, Berater, Wissenschaftler und erfahrene Händler. Dazu kommen zwei sogenannte Special Teams: die Bekleidungsexperten sowie eine eigene Sustainability Jury, die sich um die Nachhaltigkeit der Produkte kümmert.
„Es sind die vielen verschiedenen Blickwinkel, die das Urteil so wertvoll machen“, sagt Franziska Zindl, die bei der Messe München für die ISPO Awards verantwortlich ist. „Durch die toll besetzte Jury und durch unsere Transparenz sind wir frei in unseren Entscheidungen. Wir küren einfach die besten Produkte, egal, wer sich noch beworben hat“, so die Messemanagerin.
Denn wie die einzelnen Jurys arbeiten, ist klar geregelt. „Sei offen, sei positiv und sieh die Innovation“, lautet ein Hinweis an die einzelnen Mitglieder. Ein Code of Conduct regelt, wie diskutiert und gestritten wird, dass jeder respektvoll mit den Kollegen umgeht und dass Interessenkonflikte offengelegt werden müssen – kein Juror bewertet ein Produkt, mit dem er oder sie beruflich zu tun hat.
Während sich die Apparel-Jury weiter durch die Kleiderberge arbeitet, wirkt die Stimmung im Snowsport-Saal nebenan fast ein wenig angespannt. Es wird lang und intensiv diskutiert. Im Ton freundlich, in der Sache eisenhart geht es um die Frage: Was macht ein neues Produkt wirklich gut, was ist tatsächlich eine Innovation und was ist einfach nur neu, aber ohne neuen Nutzen? Snowboard-Urgestein Rémi Forsans aus Frankreich zuckt die Schultern. Die Zeit müsse man sich nehmen, erklärt er, dann sei hinterher alles klar. „Wir haben eine Verantwortung. Unser Urteil ist wichtig für die Industrie, für den Handel und für die Kunden.“ Und entsprechend seriös gehe es eben zur Sache, inklusive hitziger Diskussionen über Funktionen, Nutzen und zunehmend auch die Nachhaltigkeit eines Produkts.
Können Sport und Sportprodukte überhaupt nachhaltig sein? „Es findet gerade ein großer Wandel statt“, sagt Professor Mathias Kimmerle, Mitglied der Sustainability-Jury. „Es geht weg von der Fast Fashion hin zu langlebigen hochwertigen Produkten.“ Gerade von den jungen Kunden bekämen die Firmen zunehmend Druck, sagt der Professor, „deutlich mehr als aus der Politik“.
Und so prüfen er und seine sechs Jury-Kollegen nicht nur, wie ein einzelnes Produkt gefertigt wird. Wer die Special Recognition der Sustainability Jury einfahren möchte, muss mehr bieten. Es geht nicht nur darum, ob das Produkt selber nachhaltig produziert worden ist, sondern zum Beispiel auch darum, wie in den Fabriken der Zulieferer gearbeitet wird, welche Rohstoffe verwendet werden. Ob ein Produkt gut recycelt werden kann, wie lange es hält und ob man es reparieren kann.
Und es geht um die Entwicklung hinter der Jacke oder dem Surfbrett. „Für mich ist es immer wichtig, zu schauen, wie sich eine Marke in den vergangenen Jahren entwickelt hat, ob es da eine sichtbare Richtung gibt“, sagt Matthias Kimmerle. Denn schließlich könne heute jeder, der will, mit den vorhandenen Methoden und Rohstoffen nachhaltig und sauber produzieren. „Da haben alle die gleichen Möglichkeiten“, so Kimmerle. Und das mache die Branche gerade so spannend. „Denn jetzt braucht es wieder Pioniere, die etwas Neues entwickeln“, erklärt Kimmerle. Und genau die zu finden ist Aufgabe des ISPO Awards.
Das Besondere an der Arbeit der Sustainability Jury: Die Juroren können eine Special Recognition aussprechen. Sie müssen es aber nicht. „Wir sind nicht gezwungen, den Einäugigen unter den Blinden auszuzeichnen“, bringt es Anna Rodewald auf den Punkt. Seit 2014 leitet sie die ISPO Award Sustainability Jury. Innovation, sagt Anna, müsse nicht nur in der Funktion stecken. „Es kann auch ein neues Businessmodell sein, das Ressourcen spart“, sagt Anna. Oder die Kooperation zwischen Hersteller und Rohwarenlieferant. „Wenn ich den in die Entwicklung integriere, kann ich besser Produkte entwickeln.“ Am Ende zählt natürlich auch, dass ein Produkt eine Geschichte erzählt, mit denen sich die Kunden identifizieren. „Es geht darum, Lieblingsteile zu entwickeln – das ist nachhaltig“, ist Anna überzeugt.
Und wenn das gelingt, könnte aus dem Megatrend eine neue große Chance auch für den Einzelhandel werden. „Das kann ein Kundenmagnet sein“, sagt Matthias Kimmerle. Und Anna ergänzt: Es sei doch ein toller Moment, wenn man mit seinem Lieblingsteil in ein Geschäft komme und es dort repariert werde. Und auch für die Hersteller bieten sich neue Möglichkeiten. „Wenn wirklich viel repariert wird“, ergänzt Matthias Kimmerle, „bekommen die Entwickler viele Daten aus dem Einzelhandel – beispielsweise, was geht am ehesten kaputt, was müssen wir besser lösen.“ Solche Lösungen und Produktinnovationen wollen sie voranbringen. Denn das ist es schließlich, was die ISPO Munich und den ISPO Award antreibt – Motor zu sein für die Sportartikelbranche.
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