Louroupe wuchs auf wie viele Kinder in ihrer Heimat, der Hochlandregion Pokot in Westkenia. In ihrer Familie gab es 24 Geschwistern und selten genug Nahrung für alle. Feldarbeit und schnelle Barfuss-Sprints beim Viehhüten waren ihr Kindheitsalltag. Trotzdem gelang ihr eine spektakuläre Laufkarriere: Von 1998 bis 2001 hielt sie den Marathon-Weltrekord. Sie ist bis heute Weltrekordhalterin über 20, 25 und 30 km und dreifache Weltmeisterin im Halbmarathon.
Zudem war sie die erste Frau aus Afrika, die den New York City-Marathon gewann. Sie hat außerdem Marathonläufe in London, Rotterdam, Hongkong, Berlin und Rom gewonnen. Heute setzt sie sich für Frieden in ihrer Heimat ein. Im Interview mit ISPO.com spricht sie über Sport und Frieden, die „Tegla Loroupe Peace Foundation“, die Peace Races Friedensrennen und das Refugee-Team der olympischen Spiele 2020, das sie als „Chef de Mission“ nach Tokyo begleiten wird.
ISPO.com: Frieden durch Sport ist Ihre Mission. Welche besondere Kraft sehen sie im Sport?
Tegla Loroupe: Sport ist grenzenlos. Bei Sportveranstaltung öffnen sich die Menschen. Das ist eine einzigartige Sache! Sport verbindet weltweit: unabhängig von Rasse, Religion, Stämmen oder Geschlecht. Mitzuerleben, mit welcher Kraft der Sport Frieden schaffen kann…ist unbeschreiblich.
Im Jahr 2003 gründeten Sie die Tegla-Loroupe-Friedensstiftung (TLPF). Was tut die Stiftung genau und was sind die aktuellen Projekte?
Die Stiftung zielt auf eine friedliche und gerechte Welt, in der der Sport ein verbindender Faktor ist. Sie soll Menschen eine Lebensgrundlage schaffen, die von Konflikten und Bürgerkriegen betroffen sind. Unser Ziel: eine friedliche Koexistenz der kriegführenden Gemeinden in Nordkenia, Südsudan, Nordost-Uganda, Äthiopien und anderen unbeständige Gebiete der afrikanischen Region.
Innerhalb der TLPF setzen wir auf drei Säulen: Erstens auf die Friedenskonsolidierung und Konfliktminderung durch Projekte wie dem Tegla Loroupe Friedensrennen oder auch dem Rehabilitationsprogram für die reformierten Krieger, jugendliche Kämpfer, die die Waffen niedergelegt haben. Zweitens auf die Erziehung zum Frieden in unserem Bildungs- und Friedenszentrum für Waisenkinder und schutzbedürftigen Mädchen. Und im Sport- und Trainingszentrum Tegla Loroupe, der dritten Säule, unterstützen wir talentierte Flüchtlinge. Leistungssport und angemessene Förderung der Besten stehen dabei an erster Stelle.
Ihre 2012 gegründete Friedensschule bietet Kindern neben Schutz und Bildung auch Zugang zu Sport. Wie ist die Schule aufgebaut, was sind noch notwendige Schritte?
Die „Tegla Loroupe Education and Peace“ – Schule (TLE&PC) eröffnete im Januar 2012 in Siyoi - Kapenguria, West Pokot. Wir haben derzeit 460 Schüler – noch befinden wir uns im Aufbau. Ziel ist die Kapazität von 1000 Schüler in der Internatseinrichtung auszuschöpfen. Die Kinder sollen in einem liebevollen Umfeld leben, in dem sie lernen, sich anzunehmen: mit gegenseitigem Respekt, Verständnis und „Sportsgeist“. Der Lehrplan beinhaltet neben den klassischen Fächern auch Friedenserziehung.
Bildung ist essenziell für Fortschritt. Nelson Mandela sagte einmal: "Bildung ist das beste Instrument, das man zur Veränderung der Welt einsetzen kann.“ Langfristig soll das Zentrum auch Ausbildungsstätte für sportlich talentierte Jugendliche werden, die eine Karriere im Profisport anstreben. Damit kann und soll Sport auch ein wirtschaftlicher Ausweg für einige privilegierte Kinder werden – mit weiterreichenden positiven Konsequenzen für ihr Leben, das ihrer Familien und für die Region.
Ein weiterer sportlicher Baustein der TLPF: Das „Friedensrennen“, ein 10-Kilometer-Distanzlauf, das seit 2001 jährlich in Kenia stattfindet. Nicht nur Elite-Langstreckenläufer sind geladen, sondern auch Krieger rivalisierender afrikanischer Stämme. Wie darf man sich die Rennen vorstellen?
Lassen Sie mich erzählen, wie es dazu kam: 2003 wurde ich als Gastläufer zu einem Friedensrennen nach Bali, Indonesien geladen. Damals herrschten politische Unruhen im Land. Die Regierung wollte mit dem Lauf wieder Vertrauen für Land und Leute schaffen. Mich ergriff die aufkommende positive Dynamik während des Laufs, die Energie und die Freude der Menschen: Muslime, Buddhisten, Christen – alle kamen miteinander aus. Ich beschloss ein Peace Race für mein Heimatregion Pokot, Kenia auszurichten.
Noch im Herbst 2003 fand das erste Tegla-Loroupe-Friedensrennen in Kapenguria, Pokot statt. In meinem Landesgebiet ist Viehhaltung für viele afrikanischen Stämme die Lebensgrundlage. Tiere, Weideland, Wasser und alternative Perspektiven sind jedoch knapp. Die Folge: Bewaffnete Hirten, Viehraub und harte Kämpfe unter den Stämmen der Region. Ich sah den Sport als friedenstiftende und wirtschaftliche Perspektive.
Die Stimmung, die beim Rennen aufkam, ähnelte der in Indonesien: Krieger feindlicher Stämme liefen gemeinsam, begannen sich gegenseitig anzufeuern – und im Ziel zu umarmen. Menschen, die sich bis dahin nur auf Schlachtfeldern trafen, redeten miteinander und lernten sich schätzen.
Welche Veränderungen stellten sich in der Region durch die Peace Races ein?
Innerhalb von drei Jahren gab es in der Region um Kapenguria fast keine Toten mehr. Wir konnten dabei helfen, dass zwei der meist gesuchtesten Krieger Kenias, dessen Rivalitäten viele Opfer gefordert hatte, ihre Waffen niederlegten. Der Krieger „Matanda“ nahm nicht nur an unserem Rehabilitationsprogramm teil, er ist heute dessen Chairman.
Über die Jahre hat sich das Miteinander der Stämme verbessert: negative Haltungen, Stereotypen und Spannungen wurden abgebaut; es wurden Plattformen für Interessenvertretung und die freiwillige Abgabe von Schusswaffen geschaffen. Gleichzeitig hat das Rennen den Sport als verbindenden und lebenswichtigen perspektivischen Faktor aufgezeigt.
Das IOC hat Sie für die olympischen Spiele 2020 in Tokyo - nach Rio 2016 - erneut zum "Chef de Mission" der Flüchtlingsmannschaft ernannt. Erzählen Sie uns darüber.
Die Initiative des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) eine olympische Flüchtlingsmannschaft für Tokio 2020 zu schaffen, erfüllt mich mit Freude.
Im Jahr 2016 hatte ich bereits die große Ehre als „Chef de Mission“ die olympische Flüchtlingsmannschaft zu betreuen. Das war das erste Mal überhaupt, dass an den olympischen Spielen ein Refugee-Team teilnahm. Ich leitete das Team von 10 Athleten, die bei diesen Spielen als Leuchtturm der Hoffnung für Vertriebene weltweit antraten. Ihre Geschichten zeigen das Ausmaß globaler Probleme, die Menschen zur Flucht aus ihrer Heimat zwingen. Aber sie zeigen auch, was Menschen erreichen können, wenn sie die Chance dazu bekommen.
In meinem Amt als „Chef de Mission“ 2020 werde ich dafür sorgen, dass die qualifizierten Athleten erfolgreich und als Team antreten - Seite an Seite mit den 206 antretenden Nationen. Die (angehenden) Olympioniken kommen aus Afghanistan, Kamerun, der Demokratischen Republik Kongo, Eritrea, Äthiopien, der Islamischen Republik Iran, dem Südsudan, dem Sudan und Syrien. Das UNHCR hat allen den Flüchtlingsstatus bestätigt. Sie treten in acht Sportarten an: Leichtathletik, Badminton, Boxen, Judo, Karate, Schwimmen, Taekwondo und Gewichtheben.
Wie werden die Athleten auf Olympia 2020 vorbereit? Welche Rolle spielt dabei die Tegla Loroupe-Stiftung?
Über das Sport- und Trainingszentrum Tegla Loroupe in Ngong - Nairobi trainieren wir 25 Flüchtlinge und 5 kenianische Sportler. Im Vergleich zum Jahr 2016 sind die Erwartungen an die Refugee-Sportler für die olympischen Spiele 2020 erhöht. Ohne Kompromisse hinsichtlich der Standards. Die Sportler-Auswahl basiert auf höchster Performance – und wird hart umkämpft sein.
Beim bereits begonnen Athleten-Training fokussieren wir uns auf Methodiken zur Erreichung der hohen Anforderungen. Neben einer strengen Diät gehören Teilnahmen an lokalen, regionalen und internationalen Wettkämpfen ebenso dazu, wie intensive, strategische Trainings und die Trainerexposition.
Welche Rolle kann die gesamte Sportindustrie in diesem Zusammenhang spielen?
Der Abschluss der olympischen Spiele in Tokyo soll für die Refugee-Sportler kein Ende sein: Wir wollen die Athleten nicht nur in der Hoffnung auf die Qualifikation für die olympischen Spiele trainieren. Wir wollen den Athleten langfristig helfen, ihre sportliche Karriere zu entwickeln – für eine positive Zukunft. Ich bin stolz, Teil unserer Friedensmission zu sein und freue mich, wenn weitere Partner aus der internationalen Sport-Industrie mir auf dieser Reise die Hand reichen - um das Leben der Flüchtlingsjugend durch Sport zu verändern.
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