Unpolitisch ist an Olympia 2022 längst nichts mehr. Spätestens, seitdem die USA Anfang Dezember den diplomatischen Boykott der Winterspiele in Peking angekündigt hatte. Anschließend haben auch das Vereinigte Königreich, Australien und Kanada bestätigt, keine politischen Delegationen zu den Spielen in Peking zu schicken.
Chinas Regierung wiederum kontert, angesichts der weltweiten Corona-Pandemie seien ohnehin keine Einladungen an Politiker ausgesprochen worden. Der Boykott verletzte laut Zhao Lijian, Sprecher des chinesischen Außenministeriums, „die politische Neutralität des Sports“ und basiere „auf Lügen und Gerüchten“.
Zwar betonten alle Seiten, dass die Athletinnen und Athleten von Boykotten nicht betroffen seien. Doch eine junge Freeskierin mit besonderer Vorgeschichte wird durch den Konflikt der Weltmächte plötzlich ins Rampenlicht gerückt. Eileen Gu ist 18 Jahre jung, gebürtige Kalifornierin, ab 2022 Studentin an der Stanford University – und Chinas größte Gold-Hoffnung im Freeskiing.
„Seit ich klein war, habe ich es immer so gehalten: Wenn ich in den USA bin, bin ich Amerikanerin. Wenn ich in China bin, bin ich Chinesin“, beschrieb Gu bei „ESPN“ ihr Selbstverständnis. „Ich bin stolz auf meine Herkunft und ebenso stolz auf meine amerikanische Erziehung“.
2003 kam sie in San Francisco als Tochter eines US-Amerikaners und einer Chinesin zur Welt. Ihre Mutter Yan Gu migrierte in ihren 20ern für ein Studium aus China in die USA, blieb dort und meldete Eileen im Kleinkindalter für einen Skikurs an. Der Start einer fulminanten Karriere: Schon im Nachwuchsbereich buhlten sowohl der US-amerikanische als auch chinesische Skiverband um Gu, die ihr Talent auf den Pipes, Ramps und Rails dieser Welt schon früh andeutete.
2019 entschied sie sich im Alter von 15 Jahren schließlich, unter chinesischer Flagge zu starten. Eine Wahl, die in den USA auch auf Unverständnis stieß, die sie aber vor allem für junge Chinesinnen traf.
„Die Möglichkeit, während der Olympischen Winterspiele 2022 in Peking, dem Geburtsort meiner Mutter, Millionen junger Menschen zu inspirieren, ist eine einmalige Gelegenheit, den Sport, den ich liebe, zu fördern“, schrieb Gu auf Instagram: „Wenn ich dazu beitragen kann, auch nur ein junges Mädchen dazu zu inspirieren, ihre Grenzen zu überwinden, sind meine Wünsche in Erfüllung gegangen.“
Bei Olympia wird sie unter ihrem chinesischen Namen Gu Ailing antreten, und will dann durch den Sport ein wenig US-Lifestyle nach China bringen. „Sport ist ein fester Bestandteil der Jugendkultur in den USA. Fast jedes amerikanische Kind hat irgendwann mindestens eine Sportart ausgeübt. Ich hoffe, dass ich das auch in China anregen kann“, so Gu, die fließend Englisch und Mandarin spricht.
Tatsächlich hat Gu als Medaillenkandidatin dafür gute Chancen: Als erste Chinesin gewann sie 2021 Gold bei den X Games. Bei der Freestyle-WM 2021 in Aspen räumte sie Halfpipe- und Slopestyle-Gold sowie Bronze im Big-Air-Contest ab.
Im November 2021 gelang ihr als erster Frau auf diesem Planeten ein Double Cork 1440 – ein Sprung mit vier Schrauben und zwei Salti.
Abseits der Bretter pflegt sie ihre Rolle als Brückenbauerin im Kleinen zwischen den beiden Supermächten durch „Freunde und Kommunikation mit den Menschen. Denn das ist der beste Weg, Kultur zu übermitteln“. So war Gu bereits das Cover-Gesicht der chinesischen Ausgabe der „Elle“ im Outfit von Louis Vuitton und mit Schmuck von Tiffany & Co.
Klare politische Statements hat Gu dagegen bislang vermieden. Auch auf ihren Social-Media-Kanälen steht – neben Posts für Werbepartner aus der ganzen Welt – der Sport und der Glaube an das Überwinden der eigenen Grenzen im Vordergrund. Ein Kurs, der angesichts des schwelenden politischen Konflikts immer schwieriger zu halten ist.
So muss Eileen Gu bei den Olympischen Spielen 2022 ihr wohl größtes Kunststück meistern, noch vor dem Double Cork 1440: den Spagat zwischen zwei Weltmächten.
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