Erstelle dir mit KI den digitalen Zwilling deiner Zielgruppe, um Bedürfnisse schneller zu verstehen, Ideen früher abzuklopfen oder Prototypen realistischer zu testen. Das empfiehlt ein Experte Joe Pulizzi in der Folge “Unconventional Content Marketing Strategies“ im Podcast “This Old Marketing” Ende 2024. Pulizzi ist eine Koryphäe der Szene, auf LinkedIn folgen ihm über 250.000 Menschen.
Unterstützt wird Pulizzi von etwa 3.000 Marktforscher*innen aus 14 Ländern. Sie sagen: Bald testen nicht mehr Menschen deine Produkte – sondern ihre KI-Kopien. Bis 2027 “könnte mehr als die Hälfte der klassischen Marktforschung mit Hilfe von KI-erstellten, synthetischen Personas geschehen”, schreiben die Autor*innen des Reports Market Research Trend 2025.
Aber wie gut funktioniert dieses sogenannte Silicon Sampling? Und wie realistisch ist die Prognose? ISPO hat für dich recherchiert, was hinter dem Trend steckt, wie du schon heute davon profitierst – und warum der Einsatz synthetischer Zielgruppen dir einen klaren Vorsprung im Markt verschaffen kann.
Monika Imschloß ist Professorin für Marketing an der Leuphana Universität Lüneburg, forscht seit Jahren zu multisensorischen Marketing und untersucht diesen Bereich nun auch anhand von Künstlicher Intelligenz.

ispo.com: Was weiß die Wissenschaft über synthetische Personas?
Monika Imschloss: Wir untersuchen, ob Large Language Models (LLMs) Effekte nachbilden können, die aus der Marketingforschung bekannt sind. Zum Beispiel haben wir mit ChatGPT 4.0 getestet, ob menschliches Antwortverhalten in synthetischen Befragungen reproduziert wird. Ein Beispiel ist der "Exciting Red and Competent Blue"-Effekt, bei dem Marken mit roten Logos aufregender und Marken mit blauen Logos kompetenter wirken. Wenn wir die Logos separat in ChatGPT prompten, sind die Ergebnisse weniger eindeutig. Zeigt man ChatGPT hingegen beide Logos gleichzeitig, wird der Effekt, den wir auch von menschlichen Versuchspersonen aus früheren Marketingstudien kennen, stärker sichtbar.
Was ist die Schlussfolgerung dieses Experiments mit den beiden Logos?
Eine Schlüsselfrage ist: Wie prompte ich richtig? Im sensorischen Marketing zeigt sich, dass KI konsistente Muster erkennen kann, aber die richtige Prompt-Strategie entscheidend ist. Vergleichende Prompts wie "Hier sind zwei Logos, welches wirkt kompetenter?", funktionieren besser als Einzelbewertungen, zumindest Stand heute.

Wie weit kann KI also Zielgruppen simulieren?
Das hängt von der Fragestellung ab. Wir haben beispielsweise untersucht, ob sich Effekte von Preisreduktionen, die wir aus Studien mit menschlichen Teilnehmenden kennen, auch in synthetischen Samples widerspiegeln. Eine Methode ist, mit Daten einer menschlichen Stichprobe wie Alter, Einkommen oder Produktvorlieben eine synthetische Persona zu erstellen – und das Antwortverhalten dieser künstlichen Zwillings-Stichprobe mit der realen zu vergleichen. Die Haupteffekte blieben meist erhalten, aber manche Variablen, etwa Kaufhistorie, beeinflussten menschliches Verhalten stärker als das von KI-Simulationen.
Gibt es Fälle, in denen KI eine Zielgruppe täuschend echt nachbildet?
Bei assoziativem Lernen – etwa Farbassoziationen – funktioniert das gut. Auch in qualitativen Befragungen, wo KI Personas mit vordefinierten Merkmalen verkörpert, gibt es vielversprechende Ansätze.
Und wo sind die Grenzen der KI-Simulation?
Es gibt psychologische Effekte, die in einer KI schwer abbildbar sind – etwa, wenn viele unbeobachtbare Faktoren, die menschliches Kaufverhalten steuern, nicht in den Textkorpora der KI auftauchen. Das ist noch ein offenes Forschungsfeld.
Wer die KI präzise promptet, kann also in manchen Fällen gute KI-Vertreter seiner Zielgruppe simulieren. Was aber, wenn jemand mehr als eine Person befragen will? Paulo Salem, Doktor für Computerwissenschaft, arbeitet als Senior Data & Applied Scientist. Er hat 2024 die Idee eines personabasierten Multi-Agenten-Systems – das er erst seinen Kolleginnen und Kollegen bei Microsoft vor- und später als Open-Source-Version ins Internet stellt.

ispo.com: TinyTroupe simuliert KI-gesteuerte Personas mit eigenen Persönlichkeiten, Interessen und Zielen – um menschliches Verhalten für Business-Szenarien nachzubilden.
Paulo Salem: Ja. Wir wollen testen: Können simulierte Personas in Brainstormings nützlich sein? Spiegeln sie reale Kundenmeinungen wider? Liefern sie wertvolle Einsichten für Produktentwickler?
Dein Tool verfolgt einen spielerischen, simulativen Ansatz. Was ist die Stärke dieser Methode?
Simulationen ermöglichen schnelles Experimentieren. Unternehmen können verschiedene Szenarien durchspielen, Annahmen testen und Ideen iterieren – ohne echte Fokusgruppen einzusetzen. Und: Fehler sind in der Simulation erlaubt. Sie helfen, Produkte und Strategien frühzeitig zu verbessern, bevor sie in die reale Welt gelangen.
In TinyTroupe interagieren TinyPersons in einer TinyWorld. Wie funktioniert dieses System?
Die Basis sind leistungsfähige Large Language Models. Unser Framework ergänzt diese Modelle um eine Infrastruktur, die es einfacher macht, mit ihnen zu arbeiten. Statt detaillierten Code oder Prompts zu schreiben, kann ein Nutzer definieren: „Ich brauche eine 35-jährige Marketingmanagerin aus München, die preisbewusst einkauft.“ TinyTroupe generiert dann eine passende Persona und lässt sie in einer Simulation agieren. Die Personas erinnern sich zudem an vergangene Interaktionen, was eine Form von Gedächtnis darstellt.
Ein Use Case ist das Testen von Prototypen. Gibt es Unternehmen, die das bereits nutzen?
Ja, eine Firma aus dem Bildungssektor testet gerade TinyTroupe für Brainstormings zu neuen Software-Features. Die KI simuliert Kundendiskussionen, um herauszufinden, welche Ideen ankommen. Die ersten Ergebnisse zeigen, dass diese simulierten Gespräche oft nahe an realen Meetings liegen. Aber das ist noch eine experimentelle Phase – wissenschaftliche Validierung gibt es bislang noch nicht.
Ein weiterer Use Case ist die Werbeanalyse?
Wir haben echte Bing-Werbeanzeigen genommen und sie TinyTroupe-Personas vorgesetzt, die dann ihre Meinung dazu äußerten. Das Prinzip: Werbetreibende testen Anzeigen in der Simulation, bevor sie echtes Geld für A/B-Tests ausgeben. Neben Marketing und Produktentwicklung sehen wir Potenzial in der Marktforschung, Service-Design, in Innovationsprozessen oder der Analyse, wie Kunden digitale Produkte nutzen.
Eine große Herausforderung: Viele unbewusste Faktoren menschlichen Verhaltens lassen sich schwer modellieren.
Das ist ein zentrales Problem. LLMs sind darauf optimiert, höflich, fair und hilfsbereit zu sein – das führt zu Verzerrungen. Eine KI-Persona wird tendenziell nett sein, selbst wenn ein echter Kunde genervt wäre. Wir arbeiten daran, das Verhalten realistischer zu machen, indem wir die Interaktionsregeln der Personas weiterentwickeln.
Die nächsten Schritte in der Entwicklung von TinyTroupe?
Erstens: Wir arbeiten an noch realistischeren Verhaltensmodellen. Zweitens: Wir wollen die Simulation größerer Zielgruppen erleichtern, indem man nicht jede Persona einzeln definieren muss. Drittens: TinyTroupe soll flexibler werden – mit eigenen simulierten Tools für die KI-Personas. Die KI-Personen haben dann zum Beispiel eigene E-Mail-Clients, einen Kalender oder eine To-do-Liste.
Was ist deine Vision?
Menschen handeln nicht immer rational. Sie ändern Meinungen spontan, handeln aus Emotionen heraus oder werden durch persönliche Erlebnisse beeinflusst. Wir stehen erst am Anfang, diese Nuancen in KI-Personas nachzubilden. In ein paar Jahren könnten sich diese Simulationen aber deutlich annähern – und vielleicht sogar überraschende Einsichten über menschliches Verhalten liefern.
Zwischenfazit: Wir erleben den Anfang einer Entwicklung. Welche Erfahrungen machen erste Anwender in der Wirtschaft? Julian Mangold kann antworten. Er arbeitet bei ZEISS Digital Business Innovation, die zusammen mit internen Business-Units neue Produkte entwickelt – von der Medizintechnik bis zur Halbleiterfertigung. Das Team setzt dabei unter anderem auf generative KI und synthetische Personas.

ispo.com: Wie sieht euer KI-gestützter Innovationsprozess aus?
Julian Mangold: Wir kombinieren echtes Kundenwissen aus qualitativen Interviews mit KI-gestützten Simulationen. Unser Research-Team befragt regelmäßig Kund*innen und Nutzer*innen, zum Beispiel Ärzt*innen. Diese Daten nutzen wir, um realitätsnahe, synthetische Personas zu erstellen. Die KI übernimmt dann eine Art Rollenspiel: Sie reagiert auf Produktideen, als wäre sie ein*e echte*r Kund*in.
Kannst du mir ein Beispiel nennen?
Nehmen wir ein neues Medizinprodukt, etwa ein holografisches Display für den OP. Ohne KI würden wir direkt Chirurg*innen befragen, was sie davon halten. Heute haben wir dazu ergänzend ein Panel aus zehn virtuellen Mediziner*innen erstellt. Diese simulieren unterschiedliche Erfahrungslevel – von jung bis erfahren. Dann pitchen wir die Idee und bekommen sofort Feedback: Welche Features sind relevant? Wo gibt es Bedenken und wo sollten wir nochmal bei den echten Nutzer*innen nachhaken?
Welche Zielgruppen-Insights gewinnt ihr mit KI?
Spannend beim oben genannten Beispiel: Wir sehen Unterschiede zwischen Nutzergruppen. Junge Menschen wünschen sich mehr visuelle Unterstützung, erfahrene Ärzt*innen wollen mehr eigene Kontrolle. Andere legen Wert auf Patient*innen-Interaktion oder Effizienz. Die KI hilft uns, diese Segmente zu erkennen und gezielt anzusprechen.
Die Wissenschaft berichtet: KI kann unbewusste Faktoren menschlichen Verhaltens nicht abbilden.
KI ersetzt keine echten Kundeninterviews. Wir machen immer noch klassische Nutzerforschung, weil Menschen oft Bedürfnisse haben, die sie nicht aktiv äußern. In der menschlichen Interaktion sehen wir Verhalten, das im Gespräch nie ein Thema gewesen wäre. Ein Beispiel: Eine Krankenschwester dokumentierte dreimal denselben Vorgang händisch an drei verschiedenen Orten. Es ist ihre Routine. Aber sie hätte das nie als Problem genannt, das hätten wir nicht durch die KI herausgefunden. Unsere Lösung ist eine Mischung: Menschliche Interviews für tiefere Einblicke, KI für schnellere Hypothesen-Tests.
Ein Problem der KI ist: Sie ist zu höflich für eine echte Kundenmeinung. Wie geht ihr damit um?
Mein Kollege und Entwickler Devran “Cosmo” Ünal hat das getestet – anhand seiner eigenen KI-Kopie. Er konnte ihr beibringen, auch kritisch zu sein, eine eigene Perspektive einzunehmen. Daraus haben wir gelernt. Denn Kund*innen sollen sich ja nicht unserem Produkt anpassen. Sondern umgekehrt.
Und in Zukunft?
Wir machen die KI noch kritischer, zudem vielfältiger. Derzeit denkt sie noch sehr deutsch-europäisch. Schließlich arbeiten wir an einer skalierbaren Plattform, damit auch andere Teams sie nutzen können – nicht nur Innovationsabteilungen, sondern auch Marketing oder interne Kommunikation.
KI simuliert Zielgruppen nur teilweise
Synthetische Personas auf Basis von LLMs können Kundenmeinungen in Tests zwar nachbilden, aber unbewusste Faktoren bleiben: unsichtbar.
KI-Zielgruppe braucht genaues Prompting
Studien zeigen, dass KI-Simulationen realistischer sind, wenn sie mit vergleichenden Fragen gefüttert werden. Es ist wie bei jedem Mitarbeitenden: Ein präzises Briefing führt wahrscheinlicher zum gewünschten Ergebnis.
Multi-Persona-Ansätze verbessern Produkttests
Frameworks wie „TinyTroupe“ simulieren ganze Fokusgruppen mit verschiedenen Persönlichkeitsmerkmalen. Unternehmen spielen damit Business-Szenarien durch, analysieren Werbekampagnen oder iterieren Produktideen.
Menschliche und KI-basierte Forschung ergänzen sich
Unternehmen wie ZEISS kombinieren qualitative Kundeninterviews mit KI-gestützten Personas, um Zielgruppen besser zu verstehen. Während KI Hypothesen schnell überprüft, liefern reale Gespräche tiefere Einblicke in nicht explizit geäußerte Bedürfnisse.
Die Zukunft: Kritischere und diversere KI-Modelle
Entwickler*innen arbeiten daran, KI-Personas realistischer zu machen – weniger höflich, emotional nuancierter und kulturell vielseitiger. Ziel ist es, Simulationen zu schaffen, die nicht nur Meinungen abbilden, sondern echte Kundenreaktionen liefern.
Mehr zu diesem Thema gibt’s auf der ISPO Munich – save the date: 30. November bis 2. Dezember 2025 in München.
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