Die Diskussion, die Ende der 80er-Jahre mit dem Mountainbike-Boom begann, lebt jetzt wieder auf: Was hat ein Fahrrad in den Bergen zu suchen? Elektrisch betriebene Mountainbikes öffnen Höhenlagen und eröffnen Bergerlebnisse, die für viele Menschen aus eigener Muskelkraft nie erreichbar gewesen wären. Dadurch steigt der Druck auf die Bergwelt, zudem wirkt die Corona-Pandemie wie ein Brandbeschleuniger. Aber: Die gegenseitige Rücksichtnahme von Mountainbikern und Wanderern scheint zu funktionieren. Und: Tourismusverbände und Gemeinden steuern schon seit einigen Jahren gegen. Sie werben mit Kampagnen für Toleranz und umweltbewusstes Verhalten. Auch die Lenkung von Besucherströmen ist ein wichtiges Thema.
Aktuelle Zahlen bestätigen den Trend, dass immer mehr Deutsche mit Pedelecs unterwegs sind: Der Zweirad-Industrie-Verband spricht von einem erfolgreichen 2021 – nach dem Rekordjahr 2020. Die Zahl der verkauften Pedelecs sei von 1,95 auf 2 Millionen gestiegen. Demnach wurden im vergangenen Jahr 680.000 E-MTBs in Deutschland verkauft. Dies entspricht einem Anteil von 34 Prozent am gesamten e-Bike-Markt und ist damit die größte Modellgruppe innerhalb der e-Bikes.
In der Sommersaison 2021 musste die Bergwacht Bayern in den bayerischen Alpen und Mittelgebirgen rund 250 Personen mehr retten als im vergangenen Jahr. Auch die Zahl der tödlichen Unfälle nahm zu – vor allem in Berchtesgadener Alpen. Bei 75 Prozent der Einsätze handelte es sich um Rettungen von Bergsteiger*innen und Mountainbiker*innen.
Der Deutsche Alpenverein (DAV) sieht in seiner aktuellsten Statistik (2020) folgende Tendenz: Während die Unfallzahlen bei Bergwandern und Skitourengehen rückläufig seien, würden diese beim Klettersteiggehen und Mountainbiken steigen. Die häufigste Unfallursache beim Mountainbiken ist nach DAV-Angaben: Stürze ohne Fremdeinflüsse. Dabei sind die e-Bikes mit zwölf Prozent bis dato unterrepräsentiert. Außerdem sei bemerkenswert: Seit Erhebungsbeginn seien keine Kollisionsunfälle zwischen Wander*innen und Mountainbiker*innen gemeldet worden.
„Wir akzeptieren e-Mountainbiken in den Bergen, aber wir befördern es nicht“, mit diesen Worten beschreibt Pressesprecher Thomas Bucher die Position des Deutschen Alpenvereins. Den Sektionen werde empfohlen, keine eigenen e-Mountainbike-Kurse anzubieten, und auch keine gesonderten e-Bike-Touren zu organisieren. „Wir bevorzugen den Bergsport aus eigener Muskelkraft: Wandern, Klettern und Biken“, sagt Bucher. Außerdem habe die Hauptversammlung des Alpenvereins bereits 2018 an die Sektionen appelliert, das Aufladen von Akkus auf ihren Hütten nicht anzubieten. Viele DAV-Hütten hätten sich daher bereits bewusst dagegen entschieden, Ladestationen für e-Bikes zur Verfügung zu stellen.
Allerdings: Einige Regionen werben explizit mit e-Bike-Ladestationen auf dem Berg, wie beispielsweise die Region Silberkarwendel, in der die Weidener Hütte liegt: „Energie Tanken – für sich selbst und das Bike, damit es mit vollem Akku weitergehen kann!“ – heißt es auf der Website.
Einen etwas anderen Weg beschreiten die Pächter der Priener Hütte in den Chiemgauer Alpen. „Will jemand bei uns sein Ladegerät an den Strom hängen, dann fragen wir, ob er nur nach unten fahren will, und dann sein Rad aufs Auto packt, oder ob er noch heimradeln muss“, erklärt Sebastian Lohrmann. Wenn jemand sein e-Mountainbike als umweltbewusste Anfahrtsmöglichkeit nutze, dann unterstütze er das gerne mit dem selbst erzeugten Strom. Generell würden sie sich an der Position des DAV orientieren. „Wir sehen in e-Mountainbikes eine Chance für Menschen die körperlich nicht mehr so fit sind, unseren beeindruckenden Ausblick hier oben live zu erleben.“ Denn er fände es eine prima Sache, wenn auch ältere Menschen die Chance hätten, „mit einer Akku-Ladung zu uns herauf zu kommen“.
Auch wenn die Positionen bezüglich Ladestationen sehr unterschiedlich sind, jeder e-Mountainbiker muss seine Tour gut planen. Er muss das Thema „Wie lange reicht die Akkuladung“ unbedingt im Blick haben. Bei einer längeren Tour hilft es nicht, sein Pedelec nur im Tal aufladen zu können, wie zum Beispiel entlang des länderübergreifenden Innradwegs, der in einer Mobilitätskarte alle Ladestationen entlang des Weges auflistet.
Normalerweise helfen bei der Planung einer Mountainbike-Tour diverse Apps, bezüglich Auswahl einer Ladestation gibt es aber noch wenig Angebot. Aktuell sind 4000 Ladestationen in Deutschland, Österreich und der Schweiz in der App von Fahrrad.de (Lade.station) hinterlegt. Über 5000 Ladestationen sind in der App E-Station erfasst. Deshalb: Bei einer längeren Mountainbike-Tour am besten Kontakt mit den Hüttenbetreiber*innen aufnehmen, und bezüglich Lademöglichkeiten nachfragen.
„Der Zuspruch zu bergsportlichen Aktivitäten war im Sommer 2021 vor dem Hintergrund der Pandemie wie erwartet sehr groß. Trotz eindeutiger fehlender Erhebung für den gesamten bayerischen Alpenraum und die Mittelgebirge ist davon auszugehen, dass noch mehr Menschen als in den Vorjahren ihre Freizeit im Gebirge verbrachten“, sagt Roland Ampenberger, Sprecher der Bergwacht Bayern. In seinen Augen ist das einer der Gründe, warum der Druck auf die Bergwelt zunimmt: Immer mehr Menschen gehen oder fahren in die Berge, deshalb passieren nach seinen Worten auch prozentual mehr Unfälle.
Die Anzahl der e-Biker am Berg steige seit Jahren kontinuierlich. Entsprechend nehme auch der Anteil der Verunfallten mit e-Bike bei der Gesamtzahl der Radunfälle zu, so der Bergwacht-Sprecher. „Für unsere Arbeit ist es allerdings unerheblich, mit welchem Rad jemand einen Unfall hat, egal ob mit oder ohne elektrischer Subvention.“ Außerdem dürfe nicht vergessen werden, dass die Nutzung von e-Mountainbikes ganz unterschiedlich sei, Kletterer würden sie beispielsweise als Zustiegshilfe nutzen, andere sind im Bikepark unterwegs oder ganz klassisch auf einer Alpenüberquerung. Und nicht zu vergessen, das e-Bike werde von Einheimischen als Verkehrsmittel genutzt.
Trotzdem appelliert Ampenberger an jede*n, mit der notwendigen Ernsthaftigkeit am Berg unterwegs zu sein, egal ob zu Fuß oder auf dem Rad. „Denn ein Fehler, ein Unfall, hat in den Bergen immer dramatischere Folgen als im Tal.“
Hubert Mayer von Bikesport Mayer in Waging a. See bestätigt, dass nicht nur unerfahrene E-Biker in den Bergen unterwegs seien. Er verkaufe auch viele e-MTBs an Umsteiger*innen, die bereits viele Jahre mit dem Mountainbike unterwegs sind. Nichtsdestotrotz sollten nach seinen Worten Anfänger auf Fahrten ins hochalpine Gelände verzichten. Vor allem die fehlende Erfahrung und mangelnde Bremstechnik seien problematisch. Hin und wieder hätte er Kund*innen beim Kauf eines e-MTBs ein Techniktraining empfohlen, aber die Antwort sei oft gewesen: „Ich kann doch Fahrradfahren.“
Der Boom von Fahrrädern mit elektrischem Antrieb stellt nach Worten des Bund Naturschutz auf der Straße einen Beitrag zur Verkehrswende dar. Doch die Erfindung treibe auch andere Blüten: In alpinen Räumen revolutioniere das e-Bike die Erreichbarkeit von bisher ungenutzten Räumen. „In diesem Zusammenhang rückt das Naturerlebnis in den Hintergrund, verkommen die Berge zu Kulisse und Funpark – mit ungewünschten Nebenwirkungen für alpine Flora und Fauna.“
Die Situation im Sommer und Herbst 2020 in den Alpen ist nach Worten des Bund Naturschutz geprägt gewesen von unglaublichen Menschenmassen, die vorwiegend mit dem eigenen Auto anreisten. Parkplätze seien überfüllt gewesen, Wiesen zugeparkt und Sportlerinnen und Sportler auf (e-)Mountainbikes seien häufig in Gruppen auf schmalsten Steigen gefahren und hätten Bergwanderinnen und Bergwanderer verdrängt.
Ziel muss es laut Bund Naturschutz sein, aus den Corona-Erfahrungen zu lernen und die richtigen Schlüsse für die Tourismusentwicklung zu ziehen. Vor allem der Tagestourismus mit dem Auto müsse zugunsten eines etwas ruhigeren und verkehrsärmeren Übernachtungstourismus begrenzt werden.
Ebenso empfiehlt der Bund Naturschutz Regeln und eine gute Besucherlenkung. Nur dann könnten Ruheräume für Tiere und Pflanzen bewahrt werden. Diesen Weg geht beispielsweise der Tourismusverband Kufsteinerland. „Besucherlenkung ist hier das Schlüsselwort“, bestätigt TVB-Obmann Georg Hörhager. „Das heißt es gibt gut und klar ausgeschilderte Wege, die auch die Nutzung der jeweiligen Strecke klar ausweisen.“
Auch im Kaisergebirge als Naturschutzgebiet sei das Mountainbiken nicht komplett verboten, sondern man habe hier auf der Südseite – also der Kufsteiner Seite – zwei MTB-Touren geschaffen. Wichtig sei die klare Kommunikation und auch ein Nachdenken, welche Nutzung wo Sinn habe. „Tourismus von heute und morgen denkt gesamtheitlich und es geht um ein faires Miteinander mit der Natur.“
Ein klares Bekenntnis für den Naturschutz sei das Mountainbike-Verbot im tirolerischen Kaisertal. Dieses ist nur über 300 Stufen erreichbar. Deshalb habe man „durch diese eingeschränkten Zufahrmöglichkeiten eine gute Kontrolle über Radfahrer“, so TVB-Obmann Hörhager.
Auch in Fuschl am See gilt beispielsweise rund um den See ein Verbot für Radfahrer: „Dieser Rundweg darf ausschließlich als Wanderweg genutzt werden“ – heißt es auf den Schildern.
Allerdings werde man das Mountainbiken nicht überall verbieten können – da sind sich Tourismusverbände einig. Deshalb brauche es klare Lenkung und Struktur. So werde auch versucht, neue Strecken mit ins Angebot aufzunehmen, um dem Bedürfnis der Gäste im Sinne der Umwelt nachzukommen.
Um genau das zu erreichen, dass (e-)Mountainbiker nur bestimmte Strecken nutzen, hat zum Beispiel das Land Tirol eine eigene Rad-App entwickelt, die einen Überblick unter anderem über Mountainbike- und Singletrail-Routen enthält.
Eine weitere Maßnahme ist für TVB-Obmann Hörhager die Wartung von besonders sensiblen Bereichen in der Open Street Map (OSM), „dass diese Bereiche für Rad-Touren gar nicht erst vorgeschlagen werden“.
Der Tourismusverband Chiemsee-Alpenland (CAT) startete bereits im Mai 2021 eine großangelegte Kampagne, die für mehr Verständnis und gegenseitige Rücksichtnahme in den Bergen wirbt. Bereits 2020 Jahr hätten nämlich vielerorts die Probleme aufgrund des gesteigerten Ausflugsaufkommens zugenommen. „Mit einem Gesamtpaket möchten wir das gute Miteinander und den gegenseitigen Respekt zwischen Einheimischen und Gästen, zwischen Lebens- und Freizeitraum fördern“, so CAT-Geschäftsführerin Christina Pfaffinger.
Bereits 2019 startete die Fair-Bike-Kampagne von Tourismus Oberbayern München (TOM). Das klare Ziel: Akzeptanz zwischen den beteiligten Nutzergruppen und eine Aufbesserung des Images der Mountainbiker. „Berge erleben MITNAND“ lautet das übergeordnete Motto.
Die Initiative in Kooperation mit zwölf oberbayerischen Tourismusregionen und Orten richtet sich an Mountainbiker und beinhaltet 15 im bayerischen Dialekt verfasste Verhaltensregeln, die sich auf die drei Gruppen Natur, Wanderer und am Berg arbeitende Gruppen beziehen.
Für Bergwacht-Sprecher Ampenberger steht eines fest: „Draußen unterwegs zu sein, Bergsport zu betreiben, die Natur zu genießen, bleibt auch vor dem Hintergrund der Einsatz- und Unfallzahlen gesund und wünschenswert.“ Auch gerade deswegen, weil die Berge einen Erfahrungsraum eröffnen würden, in dem „wir uns weitgehend frei bewegen können – mit Respekt gegenüber der Natur und mit Rücksicht und Verantwortung gegenüber unseren Mitmenschen“.
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