Stoff-Flächen zwischen Armen und Beinen, schon wird der Träger zum modernen Batman. Dank der ausgeklügelten Konstruktion des Wingsuits füllen sich die Hohlräume der Stoffbahnen mit Luft und werden so zu Tragflächen. Beim Sprung wird der freie Fall gebremst, die Sinkgeschwindigkeit also im Vergleich zum freien Fall erheblich reduziert. Es gelingt, für einige Minuten horizontal durch die Luft zu gleiten. Die Extremsportler stürzen sich dabei als „Vogelmenschen“ aus Flugzeugen oder von Basejump-Hotspots.
Anbieter des Outdoor-Nervenkitzels sprechen davon, dass bei der richtigen Technik auf einen Kilometer vertikalen Fall mindestens zwei bis drei Kilometer horizontaler Flug kommen. Elegante Vogel-Landungen sind dabei allerdings nicht vorgesehen. Am Ende des Extremsport-Abenteuers ist immer der Fallschirm nötig, um wieder festen Boden unter die Füße zu bekommen.
Action Sports Wingsuit - wie es begann
„Der Mensch ist kein Vogel, es wird nie ein Mensch fliegen“ – diese Worte, die der Dramatiker Bertolt Brecht dem Bischof von Ulm in den Mund gelegt hat, wurden durch den Flugpionier Albrecht Ludwig Berblinger inspiriert. Der Konstrukteur aus Ulm, im Hauptberuf Schneider, wagte Anfang des 19. Jahrhunderts mit seinem Fluggerät einen Gleitflug über die Donau. Er scheiterte und landete im zur Freude der Schaulustigen im Wasser, aus dem er von freundlichen Helfern geborgen werden musste. Der Schneider überlebte also, seine Karriere war mit der Blamage allerdings ruiniert.
Ein unmittelbarer Wingsuit-Vorreiter war der Österreicher Franz Reichelt, wiederum ein Schneider. Mit seinem Fledermaus-Anzug wagte er 1912 ein besonderes Outdoor-Abenteuer – den Sprung vom Eiffelturm – und hatte weniger Glück als Berglinger. Er kam dabei ums Leben. In seiner Nachfolge „flogen“ mehr als 70 Fallschirmspringer – wie etwa 1937 der Amerikaner Clem Sohn oder der Franzose Léo Valentin – bei solchen „Birdman“-Versuchen in den Tod. Valentin, ein erfahrener Fallschirmausbilder, experimentierte mit Körperhaltungen und Flügelkonstruktionen und konnte durchaus erste diagonale Landungen vorführen, bevor er 1956 in Liverpool scheiterte.
Peter Böttgenbach, ein deutscher Antennenbauer, imponierte Anfang der 1970er mit seinem selbstentwickelten Wingsuit bei Flugschauen. Noch ließen Nachahmer auf sich warten. Ein wichtiger Wegbereiter war dann Patrick de Gayardon aus Frankreich. Aber auch dessen neuartiger Anzug mit Rückenspoiler bewahrte ihn schließlich 1998 bei einem Sprung auf Hawaii nicht vor dem Tod.
Wingsuit - Trend für Fans von Action Sports
Eines der Hauptprobleme der verunglückten „Birdmen“ lag neben unberechenbaren Winden in der Fallschirmkonstruktion selbst, da die Bewegungsfreiheit des Fliegenden durch den Anzug erheblich eingeschränkt wurde. Ab 1998 arbeiteten Jari Kuosma aus Finnland und Robert Pečnik aus Kroatien an einem leicht zu handhabenden Modell. Das Ergebnis, BirdMan, ist seit 1999 auf dem Markt.
Je nach Fluggeschwindigkeit und Wingsuit lassen sich längere oder kürzere Gleitstrecken in der Luft zurücklegen. Dem Schweizer Extremsportler Remo Läng ist es beispielsweise gelungen, nach einem Start in 8.500 Metern Höhe den Alpenhauptkamm von Verbier nach Aosta zu überfliegen: 26 Kilometer. Der 2015 verunglückte Bergsteiger Dean Potter aus New Hampshire in den USA glitt 2009 nach einem Basejump vom Eiger mehr als sechs Kilometer.
Extremsport Wingsuit - ein Risiko bleibt
Der mythologische Ikarus musste scheitern. Auch das Fliegen im Wingsuit bleibt als Extremsport bis heute ein schwer kalkulierbares Spiel mit dem Risiko. Die oft tödlichen Unfälle, von denen auch die renommiertesten Sportler der Branche betroffen sind, beweisen es in tragischer Form.
Zunächst ist der Sprung im Wingsuit von der Gefährlichkeit her zwar mit dem Fallschirmsprung vergleichbar, doch es kommen mehrere Risikofaktoren hinzu. So wächst de facto die Gefahr, sich im Anzug zu verheddern und damit den Fallschirm nicht optimal bedienen zu können. Das ist auch der Grund, weshalb die Reißleine laut Reglement eher gezogen werden muss als beim Sprung mit dem Fallschirm. Eine zusätzliche Gefahr ergibt sich aus der teils wahnwitzigen Wahl der Flugrouten, etwa durch schmale Felsspalten, die für zusätzlichen Nervenkitzel sorgen sollen.
Für Basejumper im Wingsuit gelten wegen der großen Unfallgefahr besondere Auflagen. In Deutschland braucht jeder Sprung eine Genehmigung. Nur wenn der Absprungort behördlich freigegeben wurde, darf geflogen werden.
Wer das Risiko dennoch nicht scheut und selber Wingsuit fliegen möchte, braucht zunächst Erfahrung im Fallschirmspringen. 200 Sprünge müssen während der vergangenen 18 Monate absolviert worden sein, dann kann es mit einer Wingsuit-Einweisung losgehen.
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